Mit Feuerstein und Bogensehne
Als die Forscher um die beiden Anthropologen Roberto Macchiarelli und Andrea Cucina die 7500 bis 9000 Jahre alten Skelette untersuchten, staunten sie nicht schlecht. An den Kauflächen und Zahnhälsen von neun menschlichen Gebissen fanden sie bis zu 3,5 Millimeter tiefe Löcher. Der Blick durch das Elektronenmikroskop brachte eine erstaunliche Entdeckung: Die Höhlungen waren perfekt geformt und zeigten an den Rändern konzentrische Rillen. Diese könnten von einem Bohrgerät stammen, schrieben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Nature“ (Bd. 440, S. 755).
Bakterien schlossen die Forscher als Ursache aus. Die Stellen seien zu akkurat, so ihre Begründung. Auch rituelle Bohrungen post mortem kamen für sie nicht als Erklärung in Frage, weil die Höhlungen abgerundete Kanten vorwiesen – ein Beweis dafür, dass die Zähne nach der Behandlung weiter zum Kauen verwendet wurden. Als unwahrscheinlich wurde auch die Vermutung abgetan, dass es sich um Verzierungen handelt. Grund: Die Bohrlöcher tauchten nur an Backenzähnen auf, also an einer kaum sichtbaren Stelle. Damit erledigte sich auch der Ansatz, die Löcher seien möglicherweise Statussymbole für die oberen Schichten. „Die Gräber von Menschen mit Bohrlöchern sind nicht aufwändiger als die von unbehandelten Personen“, führte Macchiarelli aus.
Die Anthropologen setzten stattdessen auf die Bohrgerät-Theorie. Vieles spricht ihrer Ansicht nach dafür. Zum Beispiel, dass Perlenschmuckstücke von derselben Grabungsstelle ähnliche Bohrspuren tragen. Für diese Arbeiten wurden Bohrer mit Köpfen aus Feuerstein verwendet. Auch für die Zahnbehandlung eine Option, dachten sich die Forscher, und bauten ein mögliches Werkzeug nach. An einem Holzschaft mit Griff befestigten sie zu diesem Zweck eine Feuersteinklinge, die mithilfe einer Bogensehne in den Zahn getrieben wird.
Der Bohrer war’s
Das Experiment glückte: Mit dem nachgebauten Bohrer durchdrang Macchiarelli in weniger als einer Minute den Schmelz. Ob die steinzeitlichen „Zahnärzte“ die kranken Stellen anschließend mit einem Medikament behandelten, konnten die Wissenschaftler nicht endgültig klären. Spuren von Bitumen an den Skeletten deuten ihrer Meinung nach darauf hin, dass es auch Füllungen gegeben hat. Fest steht jedoch nur: Nach 1500 Jahren hörten die Zahnbohrungen in Mehrgarh auf. In Gräbern, die jünger als 7500 Jahre sind, konnten die Anthropologen keine behandelten Molaren mehr entdecken. sth