Was bin ich?
Eltern malen sich die Zukunft ihrer Kinder gerne aus: Krakelt der Nachwuchs mit dem Buntstift seinen Namen auf Papier, sehen sie ihn schon als Literaturprofessor. Umgekehrt legen sie die Latte alsbald tiefer, wenn das I-Dötzchen mit dem Einmaleins auf Kriegsfuß steht. Nur – was ist wirklich dran an dieser Denke? Ist schon im Sandkastenalter vorbestimmt, was aus dem Dreikäsehoch wird? Oder endet der Klassenclown vielleicht doch als braver Steuerbeamter und die schüchterne Brillenschlange arbeitet als Moderatorin bei MTV?
Anfang der 80er Jahre trieben Wissenschaftler vom Max Planck-Institut für psychologische Forschung in München genau diese Schicksalsfragen um. In der „Longitudinalstudie zur Genese individueller Kompetenzen“, kurz LOGIK-Studie, beobachteten sie zwanzig Jahre lang Kinder, die zu Beginn der Erhebung in den Kindergarten kamen und zwischen drei und vier Jahren alt waren.
Drei Mal pro Jahr besuchten die Pädagogen und Psychologen ihre Schützlinge und testeten Intelligenz, Motorik, Temperament und Sozialverhalten. Sie ließen sie Bruchrechnen, Geschichten nacherzählen und rückwärts über den Schwebebalken balancieren, sie fragten Eltern und Erzieher, welche Kids andere triezen und welche abseits in der Ecke stehen.
Inzwischen sind aus den Knirpsen junge Erwachsene geworden. Was also sagt die Studie zum Thema Persönlichkeitsentwicklung? Wer jetzt markige Thesen erwartet, den wird die Bilanz enttäuschen. Wissen die Forscher doch selbst nicht so genau, wie sie ihre Ergebnisse interpretieren sollen
Aber der Reihe nach. Eines scheint zumindest festzustehen: Die Persönlichkeit ist in der Tat schon beim Kind geformt. Ist im Alter von vier bis sechs Jahren noch vieles offen, sind von da an viele Bereiche der Persönlichkeit weitgehend festgelegt. Verschüchterte Kids wurden von ihren Eltern auch zwanzig Jahre später als zurückhaltend beschrieben. Die kleinen Intelligenzbestien galten auch als Erwachsene als Überflieger, umgekehrt standen die Begriffsstutzigen nach zwei Jahrzehnten immer noch auf der Leitung.
Schlau sein will gelernt sein
Dass die hellen Köpfe laut Versuch auch helle blieben und die Dusseligen dusselig, heißt aber nicht, dass Intelligenz nicht beeinflussbar ist. Im Gegenteil. Die Studie offenbart nämlich auch, dass die Nachzügler oft aus Elternhäusern mit niedriger Bildung und wenig Geld kamen. Denkbar ist, dass sie einfach weniger gefördert wurden als die anderen. Andere Studien stützen diese Überlegung: Wenn Kids regelmäßig üben und Nachhilfe erhalten, steigt schon nach kurzer Zeit ihr IQ. Studienleiter Prof. Wolfgang Schneider von der Uni Würzburg: „Intelligenz ist sicherlich zu einem großen Teil genetisch bedingt, lässt sich aber auch gezielt fördern.“
Als erschütternd richtig erweisen sich die Prognosen jedoch beim Aspekt Aggressivität: „Sehr aggressive Kinder werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsene aggressiv sein“, sagt Psychologe Dr. Jens Asendorpf von der Humboldt-Uni Berlin. „Hier lassen sich erschreckend gute Vorhersagen treffen.“ Wer als Kind schon extrem angriffslustig ist, greift als Erwachsener schneller zu Drogen und wird insgesamt schneller kriminell. Ein Drittel der Versuchspersonen, die laut Studie im Kindesalter als überaus aggressiv eingestuft wurden, hatte eigenen Angaben zufolge schon mal eine Strafanzeige kassiert, meist wegen Drogendelikten. Lässt sich denn durch die Erziehung verhindern, dass aggressive Kids auf die schiefe Bahn geraten? Jein, so Asendorpf.
Zwar hänge es stark vom Kontakt mit anderen aggressiven Heranwachsenden ab, ob Rabauken wirklich kriminell werden, doch einen gezielt positiven Einfluss hält er für unwahrscheinlich: „Durch Erziehungsmaßnahmen sind stark aggressive Kinder und Jugendliche kaum erreichbar.“