Zeit für den Kassensturz
„Empty Nester“, so lautet eine der vielen mehr oder weniger fantasievollen Bezeichnungen für die Bewohner dieses Landes, die die Fünfzig überschritten haben und deren Kinder das heimische Kuschelnest verlassen haben. „Silver Surver“, „Best Ager“, die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Ihre Länge zeigt nur, dass die Medien bislang noch keinen gescheiten Umgang mit den Fünfzigern gefunden haben. Tatsache ist: Industrie, Banken und Versicherungen haben diese Klientel bis vor kurzem einfach ignoriert. Dabei gehört sie zu den am schnellsten wachsenden Teilen der Bevölkerung. Sie verfügt über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen, von dem sie gern einen großen Teil ausgeben möchte.
Wohl betucht
So liegt das Nettoeinkommen der 45- bis 55-Jährigen bei monatlich 3 383 Euro, das der 55- bis 65-Jährigen bei 3 015 Euro. Damit überschreiten beide Werte deutlich das Durchschnittseinkommen der gesamten Bevölkerung von 2 771 Euro pro Monat.
Kein Wunder, dass sie mit 60 Prozent über den größten Vermögensanteil der deutschen Sparer verfügen – rund 2 200 Milliarden Euro haben die über 50-Jährigen auf der hohen Kante. Sie sind kaum noch mit Krediten belastet – die meisten Hypotheken sind abgezahlt – und können es sich erlauben, Geld für Bildung, Reisen und Konsum auszugeben. Entsprechend dürfen sie eine gute Beratung verlangen und müssen sich nicht mit unerfahrenen jungen Ehrgeizlingen hinter dem Banktresen oder bei der Versicherung zufrieden geben.
Denn Beratungsbedarf besteht auf jeden Fall, wenn das Vermögen umstrukturiert werden soll. Die meisten Zahnärzte im Alter von 50 Jahren oder kurz darüber, die Tag für Tag ihren Job in der Praxis erledigen, denken kaum darüber nach, wie sie ihre finanzielle Zukunft planen können. Zirka zehn Jahre, bevor der weiße Kittel an den Nagel gehängt werden soll, ist der richtige Zeitpunkt für einen Kassensturz.
In der Vergangenheit haben sie die Praxis und das Eigenheim abgezahlt, den monatlichen Obolus für das berufsständische Versorgungswerk geleistet, die Ausbildung der Kinder finanziert und den Rest des Einkommens in mehr oder weniger gute Anlagen gesteckt. Dafür haben sie dank der anstrengenden Arbeit meistens wenig Zeit investiert und häufig die scheinbar günstigen Angebote der Hausbank oder des Steuerberaters akzeptiert. Hauptsache, jemand hat sich gekümmert. Herausgekommen sind dabei die Beteiligungen an Abschreibungsmodellen, die Steuern sparen sollten, vielleicht ein paar Aktien und Investmentfondsanteile sowie Immobilien, vermietet oder selbst genutzt. Kunstliebhaber haben sicherlich einen Teil des Vermögens in schöne Bilder oder Antiquitäten investiert. Nur wenige haben einen genauen Überblick über ihre Anlagen.
Auf dem Prüfstand
Doch eine genaue Übersicht ist unbedingt erforderlich, wenn es um die Planung der nächsten Jahre geht. Auf den Prüfstand gehören jetzt alle Einnahmen und Ausgaben. Zu den Einnahmen gehören das Gehalt oder der Gewinn aus der Praxis, aber auch Zinsen, Dividenden und Mieteinnahmen. Sie werden ohne Ausnahme systematisch aufgelistet. Das gleiche gilt für die Ausgabenseite. Auf die Liste kommt alles, wofür regelmäßig Geld ausgegeben wird sowie geplante Anschaffungen: Lebenshaltung, Steuern und Versicherungen, Hobbys, Bildung, Auto und so weiter. Dann geht es ans Streichen. Denn mit zunehmendem Alter ändern sich die Interessen. So könnte mancher Zahnarzt, der sich seinem 60. Geburtstag nähert, auf den Gedanken kommen, dass er seine Arbeitszeit reduzieren und auf einen Teil seiner Einnahmen verzichten will. Bei den Ausgaben fallen vielleicht die Unterstützung für Sohn und/oder Tochter weg. Darüber hinaus gehören auf alle Fälle die Ausgaben für die Versicherungen unter die Lupe genommen.
Die wichtigste Versicherung für einen Zahnarzt bleibt bis zum Ruhestand die Berufsunfähigkeitsversicherung. Steht der Zeitpunkt für das Ende des Berufslebens fest, ist zu diesem Datum die Kündigung der Police fällig. Gleiches gilt für die Risikolebensversicherung.
Ein Muss ist weiterhin die Haftpflichtversicherung. Führen die Kinder inzwischen ein selbständiges Leben, brauchen sie eine eigene Haftpflicht. Vielleicht kommt für die Eltern jetzt ein günstigerer Tarif in Frage? Gute Versicherungen bieten sogar einen Seniorentarif an.
Ist das Haus ohne Kinder zu groß geworden und steht ein Umzug in eine kleinere Wohnung an, gehört auch die Hausratversicherung ebenso wie die Gebäudeversicherungen auf den Prüfstand.
Im Visier der Versicherer
Ruheständler, die auf die 65 zusteuern, bewegen sich im Visier der Versicherer. Um auch sie noch als Kunden zu gewinnen, haben sich die Assekuranz-Strategen neue Produkte ausgedacht. Ihrer Meinung nach brauchen ältere Menschen unbedingt eine spezielle Unfallversicherung. Das zeugt zwar von einer neuen Denkweise. Denn man hat Kunden, die die 65 überschritten hatten, eine Unfallpolice verweigert beziehungsweise bestehende Verträge mit 75 Jahren gekündigt. Der Grund ist das steigende Verletzungsrisiko mit zunehmendem Alter. Jetzt bieten die Versicherer Produkte an, die sie mit Extras speziell für Senioren ausgeschmückt haben. Dazu gehört beispielsweise ein täglicher Menü-Service, Begleitung bei Arzt- und Behördengängen, Unterstützung bei Einkäufen. Kritik ist angebracht: Viele der versprochenen Extras dürfen die Versicherten oft nur für begrenzte Zeit in Anspruch nehmen, unabhängig davon, ob ihre Gesundheit wieder hergestellt ist oder nicht. Serviceleistungen dieser Art treiben die Beiträge in die Höhe. Versorgen beispielsweise Verwandte das Unfallopfer, werden derartige Handreichungen sowieso überflüssig.
Die wichtigsten Risiken, zum Beispiel die Höhe der Invaliditätssumme bei einem Unfall, sind mit einer herkömmlichen Unfallversicherung besser abgedeckt und zudem günstiger. Die Experten von „Finanztest“ nennen Kriterien für eine gute Unfallversicherung: „Sie hat mindestens eine Versicherungssumme von 100 000 Euro, eine Progressionvon 300 Euro und kostet etwa 200 Euro im Jahr.“
Wer also Interesse an einer günstigen Unfallversicherung hat, sollte sie noch vor dem Pensionsalter abschließen und auf eine möglichst lange Laufzeit achten.
Ballast abwerfen
Der 62-jährige Finanzexperte Joachim Schwer verabschiedete sich vor vier Jahren aus dem Bankgeschäft und gründete die Beratungsfirma „Die alten Hasen“, die sich speziell mit den Finanzfragen von Menschen ab 50 Jahren beschäftigt.
Er hält Unfallversicherungen für grundsätzlich überflüssig: „95 Prozent der Fälle sind mit der Haftpflicht- oder Krankenversicherung abgedeckt.“ Ein ehemaliger Vertreter einer hessischen Versicherung hatte ihm gegenüber aus dem Nähkästchen geplaudert. Danach habe dieser in zehn Jahren nur zwei Fälle gehabt, bei denen er für eine Unfallversicherung mehr als 100 000 Euro habe auszahlen müssen.
Als Insider erkannte Schwer den grundsätzlichen Handlungsbedarf. Denn Senioren treffen bei Banken und Versicherungen meistens auf Verkäufer, die sich in ihre Situation nicht hineinversetzen können. „Meine Kollegen und ich sprechen die gleiche Sprache wie unsere Kunden. Ich habe auch Enkel und habe mein Leben auch neu geordnet. Jetzt diskriminieren wir einfach die Jungen“, macht er sich für die Belange seiner Klientel stark. Er will sie davor schützen, dass sie Geld „zum Fenster rauswerfen“ für schlechte Leistungen. Um unabhängige Ratschläge geben zu können, arbeiten er und seine Kollegen auf Honorarbasis.
Zu den überflüssigen Angeboten zählt auch die Sterbegeldversicherung. Sie funktioniert wie eine kleine Kapitallebensversicherung. Der Bund der Versicherten rät davon ab, weil sie eine noch schlechtere Rendite bringt als die herkömmliche Lebensversicherung. Den traurigen Angehörigen bieten die ausgezahlten Summen keinen allzu großen Trost, zumal sie wissen, dass der Verstorbene jahrelang hohe Beiträge dafür gezahlt hat. Hätte er das Geld angelegt, stünde den Erben eine deutlich höhere Summe zur Verfügung, mit der sie eine ordentliche Beerdigung bezahlen können.
Den Zahnärzten rät Schwer von einer zusätzlichen Pflegeversicherung ebenfalls ab. Geht man davon aus, dass ein alter Mensch für seine letzten drei Jahre eine intensive Betreuung braucht, kostet ihn das im Durchschnitt 2 000 Euro im Monat zusätzlich. Macht insgesamt 75 000 Euro. So viel sollte zur rechten Zeit abrufbar auf der hohen Kante schlummern. Mit diesem Geld lässt sich eine individuelle Pflege finanzieren.
Mit in die Planung für das Ruhestands- Budget gehört die wahrscheinliche Inflationsrate der nächsten Jahre. So rechnen Experten damit, dass für Güter und Dienstleistungen im heutigen Wert von 5 000 Euro und bei einer Geldentwertung von zwei Prozent jährlich bereits in zehn Jahren 1 100 Euro mehr aufgewendet werden müssen. Entsprechend hoch müssen die zukünftigen Ausgaben angesetzt werden.
Riskante Faktoren entfernen
Wenn Einnahmen und Ausgaben sauber aufgelistet sind, geht es an die Aufstellung des Vermögens. Dabei wird sich vielleicht herausstellen, dass für die damals so attraktive Steuer sparende Abschreibung eine Nachschusspflicht besteht, die eventuell eingefordert werden kann, weil das Projekt, in das man investiert hat, in Schwierigkeiten ist. Vielleicht bietet sich eine Möglichkeit, die Beteiligung zu verkaufen. Liegt ein Teil des Kapitals in Aktien fest, dürfen nur die Papiere im Depot bleiben, die zu den internationalen Standardwerten gehören. Zu den Tabus im Ruhestands-Depot gehören risikoreiche Anlagen wie Hedge-Fonds und auch Zertifikate.
Wer im eigenen Haus wohnt, sollte ganz nüchtern überlegen, ob er die vielen Quadratmeter im Alter noch benötigt und die für die Erhaltung notwendigen Kosten weiterhin bezahlen will. Dazu gehören notwendige Reparaturen sowie die Ausgaben für eine Haushilfe und den Gärtner. Joachim Schwers Credo lautet: „Das Vermögen muss man behandeln wie einen Butler. Das heißt: Es muss für mich arbeiten und nicht umgekehrt.“
Der dickste Batzen auf der Guthabenseite eines Zahnarztes ist seine Praxis. Auch sie sollte zur Disposition stehen. Als Möglichkeiten zur Verwertung bietet sich unter anderem der Verkauf an. In diesem Fall wäre es von Nachteil, mit der Veräußerung so lange zu warten, bis die Einrichtung veraltet ist und die Patienten abgewandert sind.
Wer alle Besitztümer einschließlich der Kunstwerke und Antiquitäten mit ihren jeweiligen Schätzwerten aufgeschrieben hat, wird feststellen, wie gewichtig jede einzelne Position ist, welche Mittel gebunden sind und welche frei zur Verfügung stehen. Wird beispielsweise eine Immobilie verkauft oder eine Lebensversicherung fällig, kann sich der Besitzer schon jetzt Gedanken über die Verwendung der Mittel machen und hat so genügend Zeit, sich um eine sinnvolle Anlage zu bemühen.
Zu Beginn jeder Vermögensplanung für das Alter aber steht die Überlegung: Will ich mein Geld verleben und damit einen möglichst schönen Ruhestand gestalten? Oder reichen mir die Erträge aus meinem Vermögen, um damit meine notwendigen Ausgaben zu finanzieren? Entscheidet sich der Anleger für die dritte Variante, nämlich seinen Reichtum im Alter noch zu mehren, freuen sich vor allem die Erben. Damit sich nicht auch der Finanzminister die Hände reibt, wenn der fleißige Sparer das Zeitliche segnet, kann der jetzt schon einen Teil des späteren Erbes in Form von Schenkungen an Kinder und Enkel übertragen. Zumal Fachleute für den Herbst verschärfte Bedingungen fürs Erben erwarten.
Die wichtigste Überlegung aber sollte dem angehenden Pensionär selbst gelten: Sicherheit für sich und die Familie, finanzielle Unabhängigkeit bis ins hohe Alter sowie die Absicherung aller Lebensrisiken.
Profi an Bord
Um alle diese Wünsche umsetzen zu können, benötigt der angehende Ruheständler sehr gute professionelle Beratung. Noch längst nicht haben sich alle Banken auf diese anspruchsvollen Kunden, die einen neuen Lebensabschnitt planen, eingestellt.
Trendforscher wie Matthias Horx sprechen vom Phänomen des zweiten Aufbruchs. Jetzt wird Neues geplant und Versäumtes aufgeholt. Deshalb sollte der Vermögensberater auf jeden Fall unabhängig sein und auf Honorarbasis arbeiten. Für Zahnärzte, die über ein Vermögen von mehr als 250 000 Euro verfügen, lohnt es sich, die Verwaltung ganz in ausgewählte professionelle Hände zu geben.