Kongress „Health Inequalities“

Arm und krank

Heftarchiv Gesellschaft
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Dass Chroniker, Raucher und Dicke vermehrt aus sozial schwachen Familien kommen, ist nicht neu. Auch dass gerade diese Gruppe die Vorsorge zu wenig nutzt, ist kein Geheimnis. Wie man die soziale Ungleichheit trotz des Präventionsdilemmas verringern kann, diskutierten Wissenschaftler auf dem Kongress „Health Inequalities“ am 19. und 20. Mai an der Uni Bielefeld.

Gesund leben? Gut behandelt auch im Krankheitsfall? Eigentlich kein Problem, sollte man meinen. Alle Patienten in Deutschland haben schließlich den gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung und damit zur Gesundheit. Dennoch ist der Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit signifikant: Menschen ohne Geld, Bildung und Beruf erkranken häufiger und sterben früher als die anderen. Und obwohl sich das Gros der Präventionsmaßnahmen genau an diese Gruppen richtet, erreicht man sie nicht.

Wie will man es vor dem Erfahrungshorizont trotzdem schaffen, das Verhalten der Betroffenen zu ändern? Diese Frage stellten sich in Bielefeld Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Gesundheitliche Ungleichheit sei nicht mehr akzeptabel, stellte Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Leiter der Fakultät Public Health an der Uni Bielefeld, vorab klar. Nicht nur, weil sie gigantische, aber unnötige Kosten verursacht. Sondern auch, weil die auseinander gehende Schere zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft der Idee eines gerechten Staates widerspricht, der fair für seine Bürger sorgt.

Alles im Angebot...

„Nehmen wir die Gesundheitskiller schlechthin: Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes – die unteren Statusgruppen sind hier durch die Bank überproportional vertreten und gefährdet“, resümierte Dr. Andreas Mielck vom Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Neuherberg, den Stand der Dinge. „Fest steht: Die Lebensbedingungen der Betroffenen bestimmen maßgeblich deren Gesundheitsverhalten.“ Das gelte für die Medizin wie für die Zahnheilkunde. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Prävention genau hier ansetzt und zuerst die Ursachen für das vermeintlich destruktive Verhalten versteht bevor sie Maßnahmen ergreift. Für Mielck ist das Problem in erster Linie eine Frage der Wahrnehmung: „Das Angebot der GKV ist zwar für alle gleich, aber nicht alle nehmen es gleich gut an.“ Statistiken belegen: Vorsorgeprogramme erreichen vor allem die Bevölkerungsteile, die sich ohnehin intensiv um ihre Gesundheit kümmern, die eigentliche Zielgruppe macht indes kaum mit. Eine Bilanz mit verheerenden Folgen: Die Gruppe der Gebildeten wird noch gesünder, der Arme noch kränker, die soziale Ungleichheit noch größer.

Hurrelmann gab Mielck Recht: „Alles in der Public Health Forschung spricht dafür, das Gesundheitsverhalten in den Ausgangsbedingungen zu beeinflussen.“ Zwar hätten sich verhaltenspräventive Ansätze bewährt: Ärzte gehen dabei auf die Patienten zu und versuchen sie vor Ort in ihrem Lebensumfeld zu erreichen – im Job, an der Schule, auf dem Spielplatz und am Arbeitsplatz. Gerade in der Zahnheilkunde habe man frühzeitig auf den Settingansatz gesetzt und damit für Furore gesorgt. Damit allein sei es jedoch nicht getan. Hurrelmann: „Will man in der Prävention größere Erfolge feiern, muss man das Setting der Betroffenen ändern!“

... aber nicht jeder kann es nutzen

In jüngster Zeit unterhielte man sich in Fachkreisen darüber, neben dem Setting verstärkt auch die personalen Bedingungen der Kranken zu beachten. „Genetische Faktoren, Persönlichkeit, Psyche und Geschlecht sind Faktoren, die ebenfalls auf den sozialen Hintergrund und das Gesundheitsverhalten abfärben“, bekräftigte Hurrelmann. Nur, wenn die Forschung alle Strategien kombiniert und in die Gesamtpolitik einbettet, ließen sich die Erfolge noch vergrößern. Fünf Thesen formulierten die Forscher auf dieser Basis, um die gesundheitliche Benachteiligung zu verringern:

• Forschung und Politik benötigen präzise Ausgangsdiagnosen, das heißt, eine verlässliche Datenbasis für die präventive Arbeit, also für Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. Erstere diagnostiziert Pathogenetiken; letztere stärkt Gesundheitspotenziale, um Krankheitsimpulse zu unterdrücken.

• Der Gesundheitsstatus der Bevölkerung ist in der gesundheitspolitischen Debatte zurzeit kein Kriterium. Doch gesundheitliche Ungleichheit kostet. Den immensen ökonomischen Schaden für die gesamte Gesellschaft sollte die Politik stärker bedenken und daraus Konsequenzen ziehen, im Klartext, mehr Geld für Präventionsmaßnahmen parat stellen.

• Schlüsselfaktor für die präventive Arbeit ist das Gesundheitsverhalten. Strategie aller Maßnahmen muss deshalb sein, das Gesundheitsverhalten positiv zu beeinflussen, und zwar im Hinblick auf Bildung, Einkommen, Ernährung, Hygiene und Bewegung.

• Forscher und Praktiker sollten das „Präventionsdilemma“ im Bewusstsein behalten.

• Alles spricht dafür, das Gesundheitsverhalten in den Ausgangsbedingungen, will heißen, in den sozialen und personalen Strukturen, zu verändern.

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