Bernd das Brot ist der Hit
Laut Ernährungsbericht aus dem Jahr 2000 wissen Kinder und Jugendliche ziemlich genau, was zu einer gesunden Ernährung gehört. „Klarheit herrscht auch darüber, was Zähnen schadet“, so Prof. Dr. Jörg Diehl von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Der eigentliche Knackpunkt in Sachen Ernährung und Gruppenprophylaxe ist seiner Meinung nach ein anderer. „Es herrscht eine krasse Lücke zwischen Wissen und Essgewohnheiten. Wir müssen uns auf das Ernährungsverhalten konzentrieren und es formen“, führte der Psychologe auf der zweitägigen DAJ-Fortbildung unter dem Motto „Sorge für den Körper, und die Seele hat Lust, darin zu wohnen!“ aus. Deshalb dürfe Gesundheitsvorsorge nicht bei der Aufklärung enden. Hinzu kommen müssten praktische Tipps für Kinder und Erwachsene, wie gesunde Ernährung ohne große Mühe in den Alltag integriert werden kann.
Der zuckerfreie Vormittag
Regeln wie „Kinder dürfen keine Süßigkeiten essen“ oder „nach jedem Naschen Zähne putzen“ sind in der Praxis kaum umsetzbar. Und auch gar nicht nötig, wie das Konzept „Der zuckerfreie Vormittag“ der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH) vorschlägt. Denn Zähne und Zahnfleisch bleiben gesund, solange Angriff und Abwehr im Gleichgewicht sind. Das bedeutet: Den Zähnen entsteht kein Schaden, wenn Zuckerimpulse 16 Stunden lang ausbleiben und der Speichel in dieser Zeit die nötigen Reparaturund Schutzarbeiten leisten kann. Erreichbar ist das, indem nach dem Zähneputzen abends und am Vormittag in Kindergarten und Grundschule auf Süßigkeiten verzichtet wird, erklärte Referentin Dr. Ulrike Freund von der LAGH. „Ein süßes Dessert zur Mittagszeit oder ab und zu etwas Süßes am Nachmittag ist dann kein Problem.“ Die Ökotrophologin empfiehlt ein vollwertiges Frühstück, das die Kinder zusammen mit ihren Betreuern zubereiten. Ihre Hoffnung: Wenn so ein Bewusstsein für gesunde Ernährung entsteht, ändern Kinder vielleicht auch Zuhause ihr Essverhalten.
Besonders wichtig für einen gelungenen zuckerfreien Vormittag sind die richtigen Getränke. Dr. Freund rät, auf gezuckerte Getränke zu verzichten und ausschließlich Wasser oder ungesüßte Tees anzubieten: „Allein dadurch lassen sich am Tag 1 500 Kalorien einsparen.“ Über den Erfolg entscheide außerdem das Engagement der Erzieher und Lehrer: „Wir müssen das Personal vor Ort mit ins Boot holen. Sie müssen die Problematik kennen und den Mut haben, klare Regeln aufzustellen“, fordert die Expertin. Nur so könne der zuckerfreie Vormittag langfristig Wirkung erzielen.
Das Auge isst mit
Eine wichtige Zutat darf bei keinem Rezept fehlen: Fantasie. Das Auge isst ja bekanntlich mit – auch bei Kindern. Richtet man gesundes Essen bunt und erfinderisch an, gewinnen Obst und Gemüse viel leichter an Attraktivität. In Freunds Workshop gab es daher eine Menge Rezeptideen, die man in kurzer Zeit und mit den Kindern zusammen umsetzen kann: aus Gurkenscheiben und Cocktailtomaten wurde ein Drache gebaut, Äpfel und Möhren verwandelten sich in Schildkröten, Paprikastreifen und Gurken in Schiffe. Und was ist mit anderen Lebensmitteln wie Vollkornbrot? „Ein totaler Hit ist Brot in Form von „Bernd das Brot“. Danach sind die Kinder absolut verrückt“, erzählt die Referentin. Die Zusammensetzung unterscheide sich dabei nicht wesentlich von Vollkornbrot.
Schwer erreichbar
Wie schwierig Prophylaxe sein kann, wenn der richtige Zugang zu einer Gruppe fehlt, war ein weiteres Thema auf der DAJ-Tagung. Vor allem Fachleute, die sich um die Gesundheitsvorsorge bei sozial schwachen Bevölkerungsschichten oder Migranten bemühen, kennen dieses Problem. Wie man Hindernisse ausräumt, war Inhalt des Workshops „Kulturspezifische und soziale Aspekte der Prävention am Beispiel der Ernährung und Zahngesundheit“ unter der Leitung von Ilana Tautz.
Nach Ansicht der Berliner Soziologin muss eine sinnvolle Prophylaxe zwei Voraussetzungen erfüllen. Erstens: Sie muss sich der Kultur der jeweiligen Gruppe anpassen. In punkto Ernährungsaufklärung heißt das vor allem, typische Essgewohnheiten und Nahrungsmittel zu berücksichtigen. Zweitens: Aufklärung muss da stattfinden, wo sich die Adressaten täglich aufhalten. „Für türkische Mitbürger sind das zum Beispiel Moscheen oder Gemeindezentren“, erklärt Tautz. Die Erfolgsaussichten vergrößern sich ihr zufolge um ein Vielfaches, wenn man Mitglieder der Gemeinde für die Prophylaxearbeit gewinnt. Diese „Schlüsselpersonen“ – besonders geeignet seien Krankenschwestern, Lehrer oder Hebammen – genießen das Vertrauen ihres Umfelds und können sich leichter Gehör verschaffen. Egal wie man vorgeht, ein Aspekt sollten sich Prophylaxehelferinnen immer vor Augen halten: „Wichtig ist es, die Leute da abzuholen, wo sie leben. Ihre Lebensart – dazu gehören auch Essgewohnheiten – darf man nicht verurteilen.“
Die „Sorge für den Körper“, da waren sich alle Teilnehmer der Fachtagung einig, muss früh beginnen. Möglichst schon bei den werdenden Müttern. Für Praxisteams und Zahnärzte, aber auch für Hebammen und Kinderärzte, bedeutet das, schwangere Patientinnen gezielt auf das Thema Prophylaxe anzusprechen und Aufklärungsarbeit zu leisten.