Ein gänzlich neuer Ansatz
Zum Hintergrund: Um Bildungsabschlüsse in Europa besser vergleichen zu können und eine Harmonisierung der Anerkennung von im europäischen Ausland erworbenen Qualifikationen zu fördern, sollen nach Meinung der Kommission zwei Instrumente geschaffen werden:
• ein europäischer Qualifikationsrahmen (European Qualification Framework EQF),
• ein Leistungspunktekatalog für die berufliche Bildung (European Credit Transfer System for Vocational Education and Training ECVET).
Dazu hat die Kommission am 8. Juli 2005 einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Da in Europa viele verschiedene Bildungssysteme existieren, gleichzeitig aber auf Basis der Lissabon-Strategie die Mobilität der Beschäftigten erhöht werden soll, sollen die Systeme transparent gemacht werden. Um die Systeme vergleichen zu können, soll der EQF als Raster mit verschiedenen Qualifikations- und Kompetenzniveaus (derzeit sind acht Niveaus vorgeschlagen) entwickelt werden.
Die Diskussion muss im Gesamtkontext mit der Debatte um einen europäischen Bildungsraum gesehen werden. Sie umfasst Gesichtspunkte wie den Bologna-Prozess im Hochschulbereich (Bachelor- und Mastergrade) genauso wie die Berufsqualifikationsrichtlinie und Fortbildungsregelungen in den dualen Ausbildungsberufen, zum Beispiel den Gesundheitsberufen.
Auf den ersten Blick scheinen die Freien Berufe mit ihren sieben Ausbildungsberufen (Medizinische Fachangestellte, Zahnmedizinische Fachangestellte, Tiermedizinische Fachangestellte, Steuerfachangestellte, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, Patentsanwaltsfachangestellte und Pharmazeutisch- Kaufmännische Angestellte) weniger betroffen zu sein, aber letztlich können auch sie sich dem Prozess nicht entziehen, da der EQF alle Ausbildungen erfasst. Ähnlich dem Bologna-Prozess in der Hochschullandschaft handelt es sich bei dem EQF um einen gänzlich neuen systematischen Ansatz zur Darstellung der Bildungsbereiche. Er wird das Bildungssystem in Deutschland verändern und Auswirkungen auf zukünftige Neuordnungsverfahren haben.
Der Prozess befindet sich zurzeit im Stadium der Meinungsfindung. Auf nationaler Basis sind alle relevanten nationalen Institutionen und Verbände aufgefordert, Stellung zu beziehen. Die Bundeszahnärztekammer hat aus ihrer Sicht Argumente zusammengetragen, die in eine Stellungnahme des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB) eingeflossen sind. Aus Sicht der Freien Berufe ist die europäische Entwicklung zwar grundsätzlich zu begrüßen, jedoch sind folgende Kernpunkte zu bedenken:
• Im EU-Entwurf, der den Schwerpunkt auf kognitives Wissen legt, sind die deutschen dualen Berufsbildungsgänge (im zahnärztlichen Bereich also die ZFA-Ausbildung) im europäischen Kontext unterbewertet. Schulische Fähigkeiten sollten nicht zu hoch bewertet werden, praktische Fähigkeiten dafür aber einen höheren Stellenwert erhalten.
• Ein Großteil der Freien Berufe fällt unter die so genannten reglementierten Berufe, für deren Ausübung nationalstaatliche Rechtsvorgaben verbindlich sind. Die Berufsabschlüsse und die Erlaubnis zur Berufsausübung können nicht im Rahmen der beruflichen Bildung erworben werden. Eine Vergleichbarkeit mit anderen Qualifikationen beziehungsweise Niveaus innerhalb eines EQF ist also nicht herstellbar.
• Für die akademischen Heilberufe, namentlich für den zahnärztlichen Beruf, sind die Bachelor- und Master-Studiengänge abzulehnen. Die Konzeption passt nicht zu den Anforderungen in diesen Berufen und ist von ihrer ursprünglichen Idee her auf den Bereich der Heilberufe gar nicht bezogen.
Mittlerweile liegt eine erste deutsche Stellungnahme zum EQF vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Kulturministerkonferenz (KMK) vor. Darin wird zwar die Perspektive der Freien Berufe nicht explizit verfolgt, dennoch wird dort die Freiwilligkeit der Annahme und Nutzung des EQF sowie die davon unberührte Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Gestaltung ihrer Bildungssysteme betont. Außerdem wird eine mehrjährige Testphase eingefordert, um die Praxistauglichkeit des EQF zu überprüfen. Angesichts der Vielfältigkeit der Bildungslandschaft in Europa dürfte sich dieser Prozess zwar spannend, aber auch sehr langwierig gestalten.