Gastkommentar

Manipulierter Wettbewerb

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Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt will die Anzahl der Krankenkassen verringern. Ihre Pläne stärken die Branchenriesen, aber nicht die Wirtschaftlichkeit.

Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin
der Welt, Berlin

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat ein einfaches Rezept, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Die Zahl der Krankenkassen sollte reduziert werden, meint die SPD-Politikerin. 20 bis 30 Kassen wären vollkommen genug. Dass sich mit knapp 300 gesetzlichen Krankenversicherungen heute viel zu viele Konkurrenten auf dem Marktplatz tummelten, findet auch SPD-Parteichef Matthias Platzeck.

Für viele Bürger klingt das logisch. Jede Kasse leistet sich schließlich einen Vorstand und oft auch repräsentative Immobilien – alles auf Kosten der Beitragszahler. Die Schlussfolgerung: Weniger Kassen bedeuten weniger Verwaltungskosten. Doch stimmt diese Rechnung überhaupt? Und sollte der Staat Einfluss auf die Anzahl der Krankenversicherungen nehmen?

Tatsächlich vollzieht sich in dieser Branche seit Mitte der neunziger Jahre ein massiver Wandel. Gingen 1994, bei der Einführung der freien Kassenwahl, noch 1 146 Wettbewerber an den Start, sind mittlerweile nur noch rund ein Viertel von ihnen im Rennen. Vor allem im Bereich der Betriebskrankenkassen findet ein rascher Konzentrationsprozess statt. Durch Zusammenschlüsse haben viele der ehemals kleinen Kassen beachtliche Mitgliederstärken erreicht. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Doch bislang entscheidet allein der Markt über das Fusionstempo – so wie in anderen Wirtschaftszweigen ebenfalls.

Ein Blick auf die Verwaltungsausgaben der Kassen zeigt, dass es keinen Zusammenhang zwischen Größe und Sparsamkeit der Bürokratie gibt. Auch die Wettbewerbsfähigkeit hängt ganz offensichtlich nicht von der Größe ab. Denn zu den teuersten Kassen zählen etliche der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die in den meisten Regionen eine dominante Marktstellung von rund 40 Prozent haben. In Südwürttemberg beträgt der Marktanteil der AOK sogar über 50 Prozent. Sicherlich steht diese Kassenart bezüglich ihrer Mitgliederstruktur nach wie vor schlechter da als die meisten ihrer Konkurrenten. Doch dafür erhalten die Allgemeinen Ortskrankenkassen den Löwenanteil aus dem milliardenschweren Finanzausgleich zwischen den Kassen. Wer, wie viele Betriebskrankenkassen, eine bessere Versichertenstruktur hat, zahlt hingegen kräftig in diesen Topf ein.

Die Bundesregierung plant jetzt, im Zuge der angekündigten Gesundheitsreform erstmals auch kassenartenübergreifende Fusionen zuzulassen. Die Union lehnte einen solchen Schritt bislang ab, hat aber diesem Punkt im Koalitionsvertrag nun doch zugestimmt.

Damit ist die Gesundheitsministerin ihrem Ziel, die Anzahl der Kassen mithilfe des Gesetzgebers zu reduzieren, einen großen Schritt näher gekommen. Was auf den ersten Blick nach mehr Wettbewerb zwischen Krankenkassen aussieht, läuft in Wirklichkeit auf die einseitige Stärkung der Großkassen hinaus. Rein theoretisch mag es künftig zulässig sein, dass eine Betriebskrankenkasse eine regionale AOK schluckt – realistisch ist es nicht. Nicht nur der Größenunterschied dürfte einer solchen Übernahme entgegenstehen. Hinzu kommt, dass die AOK politisch über enormen Einfluss verfügt. Es ist bezeichnend, dass im Bundesgesundheitsministerium hochrangige AOK-Fachleute mitarbeiten, die somit direkt an der Ausarbeitung von Gesetzen beteiligt sind.

Kein Wunder, dass die Neuregelungen der letzten Jahre, wie etwa die Einführung spezieller Versorgungsprogramme für chronisch Kranke oder die Ausweitung des Risikostrukturausgleichs zwischen den Kassen sich stets günstig für die AOK ausgewirkt haben. Auch in den Ländern ist die Großkasse politisch gut vernetzt. Hier würde es die Politik, gleich welcher Couleur, ebenfalls nicht hinnehmen, wenn eine AOK von einer anderen Kasse übernommen würde. Von gleichen Wettbewerbsbedingungen kann also keine Rede sein.

Die Zulassung kassenartenübergreifender Fusionen wird die Stellung von Branchenriesen wie AOK, Barmer oder DAK weiter stärken. Sie werden in Zukunft die Möglichkeit haben, sich unliebsame Konkurrenten, die ihnen bisher mit günstigeren Beitragssätzen das Leben schwer machten, einzuverleiben. Im Sinne der Versicherten ist diese Art der Konzentration bestimmt nicht.

 

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