Die totale Umverteilung
Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin der Welt, Berlin
Die Gesundheitsreform ist nicht nur das schwierigste, sondern auch das komplizierteste Vorhaben der großen Koalition. Denn das Gesetzespaket sieht Veränderungen an allen Ecken und Enden des Gesundheitswesens vor. Ein Punkt, der für Konfliktstoff sorgt, ist der Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen, der so genannte Risikostrukturausgleich (RSA). Nicht nur Union und SPD haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Umverteilung zwischen den Kassen organisiert werden soll. Auch die Bundesländer verfolgen eigene Interessen und mischen sich rege in die Auseinandersetzung ein. Denn die beabsichtigte RSA-Reform trifft die Versicherten in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich. Und wie immer, wenn es um viel Geld geht, hört – auch bei gleichem Parteibuch – die Freundschaft auf. Der Risikostrukturausgleich soll verhindern, dass eine Krankenversicherung mit vielen alten und kranken Mitgliedern Wettbewerbsnachteile hat. Über den RSA werden derzeit die Unterschiede in der Finanzkraft zu rund 95 Prozent ausgeglichen. Dies hat zur Folge, dass der wirtschaftlich stärkere Süden der Republik mehr in den gemeinsamen Finanztopf einzahlt, als er an Ausgleichszahlungen wieder herausbekommt. Die Umverteilung hat mittlerweile ein Volumen von fast 15 Milliarden Euro im Jahr erreicht. Allein die Versicherten in Bayern zahlen etwa 1,4 Milliarden Euro mehr an Krankenkassenbeiträgen als sie an Leistungen erhalten. Die regionale Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ist inzwischen doppelt so groß wie der allgemeine Finanzausgleich, dessen Aufgabe es ist, für bundesweit gleiche Lebensverhältnisse zu sorgen. Während der allgemeine Finanzausgleich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückgeführt wird, soll der RSA im Rahmen der Gesundheitsreform weiter ausgebaut werden.
Die Umverteilung erfolgt derzeit noch nach allgemeinen Kriterien wie Alter und Geschlecht. In Zukunft werden sich die Zahlungen an dem Krankheitsrisiko jedes Versicherten orientieren. Eigentlich sollte ein solcher morbiditätsorientierter RSA Anfang des kommenden Jahres eingeführt werden. Diese Zielmarke steht bereits im Sozialgesetzbuch. AOK, Barmer & Co. sehen sich bisher nicht in der Lage, das Krankheitsrisiko ihrer Mitglieder zu ermitteln. Der Zeitpunkt der Einführung des „Morbi-RSA“ ist deshalb auf Anfang 2009 verschoben worden. Fest steht, dass nicht nur auf der Ausgabenseite, sondern auch auf der Einnahmenseite die Umverteilung ausgeweitet wird. Über den geplanten Gesundheitsfonds soll es in Zukunft zu einem hundertprozentigen Finanzkraftausgleich kommen. Die Kassen sollen für jeden ihrer Versicherten einen pauschalen Betrag erhalten. Für kranke und alte Mitglieder gibt es Zuschläge.
Es hatte einige Wochen gedauert, bis die Landesregierungen erkannten, welche Auswirkungen die Pläne für ihre Bürger haben werden. Doch dann hagelte es Proteste. Die Bayern errechneten, dass sich ihre Nettozahlungen verdoppeln würden. Ähnlich träfe es Baden-Württemberg. Auch hier liegt das Einkommensniveau über dem Bundesdurchschnitt. Sachsen wiederum muss befürchten, dass die Ausgleichszahlungen für die AOK-Sachsen drastisch gekürzt werden. Bislang ist die Kasse, die knapp die Hälfte der sächsischen Bevölkerung versichert, eine der günstigsten der Republik – dank der Tatsache, dass sie rund ein Drittel ihrer Einnahmen aus dem RSA bezieht. Wirtschaftlich starke Länder argumentieren zudem, dass ihre Kassen den Leistungserbringern in der Regel höhere Vergütungen zahlen müssen, zumal die Lebenshaltungskosten in diesen Regionen auch höher sind als etwa in Mecklenburg-Vorpommern.
Doch nicht nur aus regionalen Eigeninteressen stemmen sich unionsregierte Landesregierungen gegen den in den Eckpunkten zur Gesundheitsreform vereinbarten totalen Finanzausgleich. Kritiker befürchten zu Recht, dass mit der Ausweitung der Umverteilung der Wettbewerb zwischen den Kassen zum Erliegen kommt. Aufhalten lässt sich der Zug wohl nicht mehr. Schließlich gibt es auch unter unionsregierten Ländern etliche, die zu den Gewinnern der RSA-Reform gehören. Dies gilt für das strukturschwache Nordrhein-Westfalen ebenso wie für das Saarland oder Thüringen. Von einer einheitlichen Ablehnungsfront der C-Länder kann deshalb keine Rede sein.
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