Narkolepsie – ständig vom Schlaf übermannt
Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine chronische, neurologische Erkrankung. Grundlage ist eine Schlaf-Wach-Störung, die sowohl den REM-Schlaf (Rapid-Eye- Movement, Traumschlaf) als auch den Non-REM-Schlaf betrifft. An der Störung leiden Schätzungen zufolge rund 40 000 Menschen in Deutschland. Nur etwa 2 000 von ihnen erhalten eine adäquate Behandlung, eine Zahl, die bereits eindrucksvoll verdeutlicht, dass bei der Narkolepsie, die sich meist in der zweiten Lebensdekade manifestiert, noch ein erheblicher diagnostischer und auch therapeutischer Handlungsbedarf besteht.
Erstmals beschrieben wurde das Krankheitsbild 1880 durch den französischen Neurologen und Psychiater Gélineau. Die Bezeichnung Narkolepsie stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „von Schläfrigkeit ergriffen“.
Extreme Tagesschläfrigkeit
Das wichtigste Merkmal der Erkrankung ist die extreme Tagesschläfrigkeit, die entweder ständig vorhanden ist oder sich durch anfallsartige Einschlafattacken von meist nur wenigen Minuten bemerkbar macht. Die Tagesmüdigkeit ist oftmals das zuerst auftretende Symptom und beruht auf dem fragmentierten Nachtschlaf. Denn die Mehrzahl der Patienten hat reduzierte Tiefschlafphasen, der Schlaf beginnt oft mit vorzeitigem REM-Schlaf (Sleep-Onset- REM), die Schlafstadien wechseln sehr oft, und es kommt zu häufigen Arousels (Aufweckreaktionen), die zum Teil vom Patienten unbemerkt ablaufen, zum Teil aber auch mit langen Phasen verbunden sind, in denen der Betroffene nicht wieder einschlafen kann.
Der gestörte Nachtschlaf hat zur Folge, dass die Patienten sich während des Schlafs nur bedingt erholen und tagsüber eine exzessive Einschlafneigung besteht. Menschen mit Narkolepsie schlafen deshalb immer wieder ungewollt und zu unpassenden Zeiten und Gelegenheiten für Sekunden beziehungsweise für längere Zeiten ein, was vor allem bei monotonen Tätigkeiten, beim Lesen oder beim Fernsehschauen geschieht. Sie fühlen sich anschließend meist für mehrere Stunden wieder erfrischt..
Viele Betroffene kämpfen aber regelrecht gegen den Schlaf an. Durch die extreme Müdigkeit kommt es dann fast zwangsläufig zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, zu Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindel. Nicht selten gehen die Erkrankten in eine Art Halbschlaf über und verrichten ihre Tätigkeiten wie in Trance. Sie zeigen ein automatisches Verhalten – führen also ihre begonnene Handlung trotz des Einschlafens wie automatisiert fort –, an das sie sich später nicht erinnern können.
Infolge der hohen Einschlafneigung besteht bei Menschen mit Narkolepsie eine erheblich gesteigerte Unfallgefährdung im Straßenverkehr, beim Arbeiten an Maschinen am Arbeitsplatz oder auch im privaten Umfeld beispielsweise beim Kochen. Abgesehen von der erhöhten Unfallgefährdung haben die Erkrankten aber keine Einschränkung ihrer Lebenserwartung durch die Narkolepsie zu befürchten.
Plötzlicher Verlust des Muskeltonus
Ein zweites Charakteristikum der Narkolepsie ist die Kataplexie. So kommt es vorwiegend bei starken Gefühlsregungen, wie großer Freude, Ärger und bei Überraschungen, beim Erschrecken, bei großem Stress oder auch bei besonderen körperlichen Anstrengungen zu einem plötzlichen Verlust des Muskeltonus. Das kann zur Erschlaffung der Gesichtsmuskulatur führen, zum Herunterfallen des Unterkiefers, zum Innehalten beim Sprechen oder zum völligen Verlust der Stimme. Je nachdem, wie schwer die kataplektische Episode verläuft, kann der Patient sogar zu Boden sinken oder direkt hinfallen. Die Narkolepsie wird daher nicht selten mit der Epilepsie verwechselt, obwohl es bei den kataplektischen Episoden nicht zur Bewusstseinstrübung kommt, sondern die Patienten meist voll bei Bewusstsein sind.
Da die glatte Muskulatur und damit die respiratorische Muskulatur und die Zungen- /Schlundmuskulatur von der Muskellähmung nicht betroffen sind, ist die Kataplexie nicht vital bedrohlich.
Wie häufig kataplektische Episoden auftreten, ist von Patient zu Patient ebenso unterschiedlich, wie die Dauer der Kataplexie. Es gibt kurze Phasen von nur fünf bis 30 Sekunden Dauer, aber auch längere Episoden, die mehr als 30 Minuten anhalten. Dauert die Kataplexie jedoch Stunden bis sogar Tage, liegt ein Status Kataplektikus vor. Er tritt vor allem nach dem plötzlichen Absetzen von Medikamenten, die sich gegen die Kataplexie richten, auf.
Schlaflähmung und Halluzinationen
Als besonders bedrohlich wird von den Narkolepsie-Patienten ein weiteres Symptom empfunden: Die Schlaflähmung, also eine vor dem Einschlafen oder auch direkt nach dem Aufwachen einsetzende Bewegungsunfähigkeit. Die Betroffenen nehmen zwar ihre Umgebung wahr, können sich aber nicht bewegen. Im Gegensatz zu den Kataplexien kann die Schlaflähmung (Schlafparalyse) von Angehörigen durch eine kurze körperliche Berührung unterbrochen werden.
Rund die Hälfte der Patienten leidet darüber hinaus unter hypnagogen Halluzinationen, die sich als lebhafte und zum Teil angstvolle Trug- und Traumwahrnehmungen äußern. Sie treten vorzugsweise beim Übergang vom Wach- in den Schlafzustand auf, wobei die Erkrankten oftmals fremde Gestalten wahrnehmen und zudem die Sinnestäuschungen zum Teil als sehr wirklichkeitsnah erleben. Dies wird von Menschen mit Narkolepsie aber häufig verschwiegen, aus Sorge, sonst leicht als „verrückt“ angesehen zu werden.
Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzinationen werden auch als „narkoleptische Tetrade“ bezeichnet.
Genetische Grundlagen
Grundlage der Narkolepsie ist wahrscheinlich eine genetische Veränderung, die konkret in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschrieben wurde. Rund 98 Prozent der Patienten weisen bestimmte genetische Marker im Bereich des HLA-Systems (Gewebeverträglichkeitskomplex) auf, die allerdings auch bei rund 30 Prozent der gesunden Bevölkerung nachzuweisen sind. Dass genetische Grundlagen der Erkrankung bestehen, belegt auch die Beobachtung eines erhöhten familiären Risikos. So weisen Angehörige ersten Grades von Narkolepsie- Patienten ein rund 40-mal höheres Risiko auf, ebenfalls zu erkranken.
Aufgrund genetischer Veränderungen scheint es neueren Erkenntnissen zufolge zu einer reduzierten Bildung oder einem verminderten Ansprechen auf den Neurotransmitter Orexin (auch Hypocretin genannt) zu kommen, der den Schlaf- und Wachzustand reguliert. Die Orexin-produzierenden Zellen im Hypothalamus scheinen zudem im Verlaufe der Erkrankung zugrunde zu gehen. Denn bei Obduktion wurden im Gehirn verstorbener Narkolepsie-Patienten nur noch vergleichsweise wenige dieser Zellen nachgewiesen.
Diagnostische Schwierigkeiten
Relativ rasch steht die Verdachtsdiagnose „Narkolepsie“, wenn mehrere Symptome vorliegen, der Patient also beispielsweise durch eine exzessive Tagesmüdigkeit auffällt sowie durch eine Kataplexie. Das aber ist nur selten der Fall. In aller Regel manifestiert sich die Erkrankung zunächst mit der Tagesmüdigkeit, die jedoch meist nicht mit einer Narkolepsie, sondern mit verschiedenen anderen Ursachen in Zusammenhang gebracht wird. Die Patienten werden leicht als Drückeberger oder Faulenzer abgestempelt und es vergehen oft zehn Jahre und mehr, ehe die richtige Diagnose gestellt wird. Nicht selten wird in die Richtung der Schlafapnoe, die ja erst in den letzten zehn bis 15 Jahren richtig bekannt geworden ist, untersucht.
Dies liegt auch daran, dass die Narkolepsie- Diagnose erst sicher mit dem Auftreten der Kataplexie gestellt werden kann. Diese aber manifestiert sich bei der Mehrzahl der Patienten zeitlich deutlich nach der pathologischen Tagesschläfrigkeit.
Diagnostizieren lässt sich die Erkrankung über polysomnographische Untersuchungen im Schlaflabor. Während des Schlafs wird dabei das EEG (Elektroenzephalogramm) abgeleitet, das EOG (Elektrookulogramm) und das EMG (Elektromyelogramm) sowie das EKG, die Atmung und die Beinbewegungen.
Da bei Narkolepsie-Patienten typischerweise die Zeit des Übergangs vom wachen Zustand in den Schlaf verkürzt ist, kann auch ein multipler Schlaflatenz-Test Aufschluss über die Diagnose bringen. Dabei wird der Patient mehrmals am Tage aufgefordert, unter polysomnographischer Kontrolle einzuschlafen. Zeigt sich eine verkürzte Schlaflatenz, also ein sehr rasches Einschlafen (unter acht Minuten), so kann dies als ein Kriterium auf eine Narkolepsie hinweisen.
Differenzialdiagnostisch sind allerdings als Ursache der exzessiven Tagesmüdigkeit eine ganze Vielzahl von Erkrankungen auszuschließen. Das sind zum Beispiel ZNSTumoren, eine Enzephalitis, eine Multiple Sklerose, ein Restless-Legs-Syndrom, eine Schlaf-Apnoe, psychiatrische Ursachen sowie andere neurologische Erkrankungen wie der Morbus Parkinson, die Epilepsie, eine Chorea Huntington und eine myotone Dystrophie. Auch an ein Chronic-Fatigue- Syndrom oder eine Fibromyalgie als Ursache muss gedacht werden.
Diagnostische Schwierigkeiten ergeben sich ferner, weil viele Patienten ihre Symptome zu kaschieren versuchen. So stellen sich die Patienten in aller Regel erst zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr dem Arzt vor – dann, wenn die Symptome kaum mehr verborgen werden können. Oftmals ergibt sich anamnestisch, dass sie bereits im Kindes- und Jugendalter auffällig waren, dass Schulprobleme bestanden oder eine Hyperaktivität, mit der die Tagesmüdigkeit überspielt wurde. Bei so manchem Narkolepsiepatienten wurde folglich in der Kindheit ein hyperkinetisches Syndrom diagnostiziert.
Ratsam sind häufige Nickerchen
Eine kurative Behandlungsmöglichkeit gibt es bei der Narkolepsie nicht. Es gibt allerdings eine ganze Reihe allgemeiner und auch medikamentöser Optionen, mit denen sich die Symptomatik lindern lässt. So wird Menschen mit Narkolepsie das Einhalten regelmäßiger Schlafzeiten geraten, um einer übermäßigen Müdigkeit am Tage vorzubeugen. Günstig ist es ferner, während des Tages kleine Nickerchen zu halten und zwangsläufig monotone Tätigkeiten in Phasen besonders hoher Wachheit zu legen, also zum Beispiel möglichst kurzfristig nach dem Schlafen oder nach einem Nickerchen zu erledigen.
Darüber hinaus sind einige allgemeine Maßnahmen ratsam, um den Schlafanfällen vorzubeugen. Dazu gehört eine regelmäßige körperliche Aktivität sowie eine ausgewogene Ernährung mit reduziertem Fettund Kohlenhydratanteil. Denn viele Narkolepsie- Patienten sind übergewichtig, und durch solche Maßnahmen kann eine Gewichtsreduktion erwirkt werden. Außerdem sollten möglichst mehrere kleine statt einer großen Mahlzeit verzehrt werden, da dies die postprandiale Müdigkeit begrenzt. Auf kohlenhydratreiche Snacks, die ebenfalls langfristig die Müdigkeit verstärken, wird besser verzichtet.
Auf das Rauchen sollten Narkolepsie-Patienten ebenfalls verzichten. Dies hat zwei Gründe: Neben den allgemeinen Gesundheitsgefahren besteht bei Menschen mit Narkolepsie das Risiko, mit brennender Zigarette einzuschlafen, was bei ihnen selbst zu Verbrennungen, aber auch zu größeren Bränden führen kann. Zweitens verhindert Rauchen das Lumen der Gefäße und führt oft zur Mangelversorgung mit Sauerstoff.
Sozialen Rückzug Vermeiden
Wenig sinnvoll ist dagegen der soziale Rückzug, den viele Patienten antreten – nicht zuletzt, um emotionale Belastungssituationen zu vermeiden. Der Rückzug führt zu zunehmendem Problemen im Beruf und im Privatleben, was einem eingeschränkten Selbstwertgefühl und Depressionen den Weg bahnt. Auf die neurologische Erkrankung propfen sich so leicht psychische Störungen auf.
Viel sinnvoller ist es, die Familienmitglieder sowie Freunde und auch die Kollegen am Arbeitsplatz über die Erkrankung zu informieren und über die möglicherweise dadurch bedingte Leistungseinschränkung. Im sozialen Umfeld sollte bekannt sein, dass die Kataplexien nicht vital bedrohlich sind und dass man dem Patienten am besten in einer solchen Situation hilft, indem man ihn in der jeweiligen Lage stützt.
Besondere Vorsicht ist beim Autofahren geboten, da bei unbehandelter Narkolepsie eine erhebliche Gefährdung für den Betroffenen wie auch für Fremde infolge von Einschlafattacken oder kataplektischen Episoden besteht.
Medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung. Es kann mit Stimulanzien behandelt werden, wobei Wirkstoffe vom Amphetamin-Typ wegen ihrer kardiovaskulären Nebenwirkungen und der Toleranzentwicklung mehr und mehr in den Hintergrund treten. Behandelt wird nur bei Bedarf, wobei vor allem die Substanz Modafinil eingesetzt wird, welche nicht von Amphetaminen abstammt und die Tagesmüdigkeit mindert. Gegen die Tagesschläfrigkeit wird häufig außerdem Methylphenidat (besser bekannt als Ritalin®) verordnet.
Ist der Nachtschlaf gestört, so können kurzwirksame Hyponotika wie Zolpidem oder Zopiclon hilfreich sein.
Gegen Kataplexien, schlafbezogene Halluzinationen und Schlaflähmungen werden Wirkstoffe eingesetzt, die den REM-Schlaf unterdrücken. Verordnet werden vor allem Antidepressiva, etwa trizyklische Antidepressiva, die SSRI (selektive Serotonin- Reuptake Inhibitoren, selektive Serotonin- Wiederaufnahmehemmer) sowie die Monoaminooxidase- Hemmer (MAO-Hemmer). Diese Wirkstoffe müssen regelmäßig eingenommen werden, da bei abruptem Absetzen mit vermehrten Kataplexien zu rechnen ist. Sie können bei der Narkolepsie in der Regel aber weit niedriger dosiert werden als es zur Behandlung von Depressionen üblich ist. Mit dem Wirkstoff Natriumoxybat ist außerdem eine Substanz eigens zur Behandlung der Kataplexien verfügbar. Sie mindert auf Dauer die Häufigkeit von Kataplexien und hat davon abgesehen eine praktisch Schlaf erzwingende Wirkung, wird aber im Körper rasch metabolisiert, so dass es nicht zu einem Hang-over-Effekt am nächsten Morgen kommt.
Prognose der Narkolepsie
Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine lebenslange Erkrankung, die jedoch in ihrem Schweregrad abnehmen kann. Vor allem die Kataplexie lässt mit zunehmendem Lebensalter meist nach und ebenso die Halluzinationen und die Schlaflähmung, während die Tagesmüdigkeit meist als Symptom erhalten bleibt. ■