Karlsruher Vortrag 2006: Auszeichnung für Mohamed el Baradei

Mit Mut zum Weltfrieden

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Heftarchiv Gesellschaft
zm
Dr. Mohamed el Baradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), erhielt im Dezember 2005 zusammen mit seinen Mitarbeitern den Friedensnobelpreis. Schon Wochen vorher hatte die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe den IAEO-Leiter als Vortragsredner zur Auszeichnung mit dem „Mund auf“-Preis 2006 eingeladen. El Baradei sagte zu: Am 25. März erläuterte der Wächter und Mahner für internationale Sicherheit vor über 1500 Gästen seine Ansätze zur Abrüstung und Kontrolle von Atomwaffen und zur Sicherung friedlicher Kernenergienutzung.

Ein frisch gekürter Friedensnobelpreisträger als Gastredner vor Deutschlands Zahnärzten war sicherlich ein besonderer Höhepunkt des seit 1993 vergebenen „Mund auf“-Preises der Akademie Karlsruhe. Dr. Mohamed El Baradei, als Träger des internationalen Friedenspreises am 10. Dezember 2005 in besonderer Weise für seine internationalen Leistungen hervorgehoben, steht damit in der Reihe der früheren Referenten wie Kardinalstaatssekretär Casaroli, der ehemalige Präsident des Staates Israel Yitzak Navon, der Erzbischof von Canterbury George Leonard Carey, der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse oder auch Jehan Sadat.

Die Wahl der Akademie Karlsruhe für den Preisträger El Baradei wurde Monate vor Vergabe des Friedensnobelpreises getroffen. El Baradei stehe in der Tradition der bisherigen Preisträger, derjenigen, „die den Mund aufmachen, um mit der Kraft der Worte Unrecht anzuprangern und mit der Kraft der Gedanken der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen“. Ein hoher Anspruch an die Vortragsredner, der mit der Wahl El Baradeis mit hoher Beachtung weit über die zahnärztliche Berufsgruppe hinaus Akzente für eine bewusst wahrgenommene gesellschaftliche Verantwortung setzt.

Eine hohe Verantwortung

Entsprechend waren Akademiedirektor Prof. Dr. Michael Heners und die an der Preisvergabe Beteiligten „auch ein bisschen stolz“, dass ihre diesjährige Wahl für den seit 1993 vergebenen „Mund auf“-Preis auf Mohamed el Baradei gefallen war: „Unsere Hochachtung und Wertschätzung für Ihren persönlichen Einsatz und Ihre Handhabung von politischer Verantwortung waren identisch mit den Überlegungen des Nobelpreiskomitees“, stellte Heners in seiner Begrüßungsansprache fest.

Die „Mund auf“-Auszeichnung sei denjenigen Persönlichkeiten gewidmet, „die durch ihr Lebensbeispiel, ihren Mut sowie die Kraft ihrer Sprache und Gedanken den immer währenden Prozess der Wertebildung schöpferisch gestalten, indem sie den ‘Mund auf’ machen und dadurch zum gesellschaftlichen Brückenbau beitragen“. Schließlich sei eine offene und möglicherweise sogar global offene Gesellschaft „nur so lange offen, wie die Offenheit durch Transparenz der Entscheidungsprozesse gefordert und täglich verteidigt wird. Hierzu leiste der IAEO-Generaldirektor seinen Beitrag: El Baradei sei „rastlos bemüht, die furchterregenden Namen Kernkraft, Macht und Machtmissbrauch zu entschärfen“, betonte Heners.

Plädoyer für Abrüstung

Eine hohe Erwartungshaltung, der der seit 1997 innerhalb der UNO zum dritten Mal mit der Leitungsaufgabe der IAEO betraute Ägypter El Baradei aber mehr als gerecht wurde: Sein mutiges Auftreten gegen den Missbrauch von Kernbrennstoffen für militärische Zwecke und für maximale Sicherheitsstandards in der friedlichen Nutzung von Kernenergie kumuliert in Forderungen, die im nach dem kalten Krieg nicht mehr ausbalancierten Machtgefüge dieser Welt andere Akzente setzen als die nach seiner Ansicht einzig verbleibende Weltmacht USA oder der Verbund der NATO.

Das atomare Wettrüsten brauche, so El Baradei, gerade in einer Welt, in der über eine Billion Dollar für Rüstung, aber weniger als zehn Prozent davon für die öffentliche Förderung entwicklungsbedürftiger Länder ausgegeben werden, verstärkten öffentlichen Druck. Nicht allein die weitere Verbreitung von Kernwaffen, sondern gerade auch die weitere Abrüstung durch die jetzigen Atommächte einschließlich Pakistan, Israel und Indien sei, so El Baradei, für die Sicherheit der Menschheit erforderlich.

Die Voraussetzungen dafür sind nach Ansicht des Nobelpreisträgers keineswegs optimal: Die IAEO selbst müsse beispielsweise mit einem Etat von „nur rund 100 Millionen Dollar“ weltweit 900 Nuklearanlagen kontrollieren. Ein schmales Budget für die höchst sicherheitsempfindliche Aufgabe, dass radioaktives Material nicht in falsche Hände gelange. Zurzeit verzeichne die Datenbank der Organisation weltweit 650 Fälle, in denen es um Schmuggel mit Nuklearmaterial geht. El Baradei: „Wir sollten uns immer daran erinnern, dass Sicherheitsmaßnahmen nur so stark sind wie das schwächste Glied. Nur eine gemeinsame Anstrengung aller Staaten kann die im Zuge der Globalisierung immer kleiner werdende Welt sicherer machen.“ Die Regierungen, so mahnte El Baradei, müssten der Organisation die Unterstützung geben, die dieser Aufgabe entspricht.

Der Festredner – ein Anwalt des Ausgleichs zwischen den Großmächten und den von ihm als „Outsider“ bezeichneten Staaten, die keinen Zugang zur Atomenergie haben – forderte dazu auf, im Falle anstehender Sicherheitsfragen nicht nur die Struktur der jeweiligen Regierung, sondern auch das soziale und sicherheitspolitische Umfeld der Nationen zu berücksichtigen. El Baradei erinnerte daran, dass der Abstand zwischen Nord und Süd inzwischen keineswegs enger, sondern im Gegenteil „deutlicher erkennbar“ geworden sei.

Fünf Punkte für mehr Sicherheit

Als Maßnahmen, die geeignet sind, den gegenwärtigen Herausforderungen gerecht zu werden, nannte El Baradei

• einen international zu kontrollierenden Zugang zu allen Kernbrennstofftechniken zwecks friedlicher Nutzung für alle Staaten,

• eine international getragene Sicherheitssystematik zum Schutz kerntechnischer Materialien vor Terrorismus und anderem Missbrauch,

• eine weltweit breitere Unterstützung der IAEO zur effektiven Ausübung ihrer Kontrollrechte,

• die Wiederaufnahme und Verstärkung weltweiter atomarer Abrüstung

• und insbesondere eine Erneuerung, Erweiterung und Stärkung des UN-Sicherheitsrates im Auftrag zur Wahrung von internationaler Sicherheit und Frieden. Gerade in diesem Punkt wurde El Baradei sehr deutlich: „Im spezifischen Bereich der Rüstungskontrolle waren die Anstrengungen des Sicherheitsrates weder ausgesprochen systematisch noch erfolgreich.“

Harte Anforderungen

Von einem UN-Sicherheitsrat, der reformiert und gestärkt aus den derzeitigen Anstrengungen hervorgeht, den Vereinten Nationen mehr Gewicht zu verleihen, verspricht sich El Baradei einen zusätzlichen Impuls für noch größere atomare Sicherheit. Denn angesichts der internationalen Entwicklung sei klar, dass künftig immer mehr Länder versuchen würden, „in der ‘Oberliga’ zu spielen“.

In seinem Resümee stellt der IAEO-Leiter entsprechend harte Anforderungen: „Wir werden nicht erfolgreich sein, wenn wir weiterhin nur Symptome kurieren und die wirklichen Ursachen ignorieren oder nur mit reinen Lippenbekenntnissen besetzen. Unser Ansatz für mehr Sicherheit darf nicht weiter vom Prinzip der Ungleichheit dominiert werden.“

Vielmehr gehe es darum, die Sicherheitsbestrebungen aller Länder und Regionen anzuerkennen und anzusprechen. Schließlich sei Globalisierung in dieser Hinsicht „ein zweischneidiges Schwert“.

Eine neue Kultur als Ziel

Hinter dieser Kritik steckt ein von den Möglichkeiten des friedlichen Miteinanders überzeugter Denker: „Was uns verbindet, ist viel mehr als das, was uns trennt. Je früher wir das erkennen, desto besser,“ mahnt El Baradei: „Wir müssen eine neue Kultur erschaffen, die die Menschheit als eine Familie betrachtet, die auf die Unverletztlichkeit des menschlichen Lebens gründet und auf die wichtigsten aller gemeinsamen Werte – auf eine Zivilisation, die menschlich und gerecht ist.“ Große Worte, die allerdings durch das beständige Wirken El Baradeis mit Taten untermauert werden.

Eine couragierte Haltung, die der Tradition des „Karlsruher Vortrags“ gerecht wurde, mit der man aber, so der Präsident des Bundesgerichtshofes Prof. Dr. Günter Hirsch bei der Preisübergabe, „nicht nur Freunde gewinnt“. In seinem Schlusswort sprach Hirsch aus, was das Plenum wohl weitgehend dachte: „Ihre Arbeit und die der IAEO machen das Leben auf der Erde und damit die Existenz von uns allen ein bisschen sicherer. Dafür danken wir Ihnen.“ zm

 

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