Mundschutz kann Zahnverletzungen verhindern
Seit 15 Jahren ist zu beobachten, dass Schädelverletzungen bei Fahrradstürzen und bei Trendsportarten, wie Inlineskating oder Skateboard-Fahren, deutlich zugenommen haben im Vergleich zu Gesichtsverletzungen bei Straßenverkehrsunfällen. Die Auswertung von 6 000 Patienten mit Gesichtstrauma ergab bei 33 Prozent der Patienten als Unfallursache eine sportliche Betätigung und bei nur zehn Prozent einen Verkehrsunfall [Gassner et al., 1999]. Bei Schädelverletzungen sind häufig auch Zähne beteiligt (Abb. 1). Tuli et al. [2005] stellten in einer retrospektiven Auswertung über zehn Jahre fest, dass bei etwa 50 Prozent der Patienten mit Schädeltraumata auch Zahnverletzungen vorlagen.
In einer Pilotuntersuchung am Universitätsklinikum Dresden über den Zusammenhang zwischen Schädelverletzungen und Zahntrauma zeigte sich, dass ein Viertel der traumatisierten Zähne kurzfristig nicht erhaltungsfähig war und im weiteren Verlauf prothetisch ersetzt werden musste, beziehungsweise ein kieferorthopädischer Lückenschluss erforderlich war. Die daraus entstehenden, meist erheblichen Folgekosten werfen die Frage nach einer Prävention von Zahnverletzungen auf.
Die Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen zur Verhütung von Unfallverletzungen ist nachgewiesen. Ein typisches Beispiel ist der Straßenverkehr. Seit Einführung der Sicherheitsgurtpflicht im Jahr 1976 ist trotz des steigenden Fahrzeugbestandes die Anzahl der Verkehrstoten stark rückläufig. So konnte die Zahl der Verkehrstoten pro 100 000 Kraftfahrzeuge von 265 Toten im Jahr 1953 auf zwölf Tote im Jahr 2002 gesenkt werden [Verband der Automobilindustrie, www.vda.de].
Die Ziele der Prävention bestehen einerseits in der Verhütung von Unfällen und andererseits in der Verminderung der Verletzungsschwere im Falle eines Unfalls. Um dies zu erreichen, kommen verschiedene Präventionsmaßnahmen und Hilfsmittel zur Anwendung. Neben der Aufklärung der Bevölkerung über die Unfallprävention werden verschiedene Schutzvorrichtungen verwendet.
Aufklärung
In der zahnärztlichen Praxis weiß der behandelnde Zahnarzt oft über Freizeitaktivitäten und sonstige Vorlieben seiner Patienten Bescheid. Er sollte mit den meist jungen Patienten und ihren Eltern über die Risiken der verschiedenen Sportarten in Bezug auf Schädel- und Zahnverletzungen sprechen und auf deren Gefährlichkeit hinweisen. Besonders Inlineskaten und Skateboard- Fahren werden häufig ohne entsprechende Schutzvorkehrungen, wie Helm und Protektoren für Arme und Beine, durch die Kinder und Jugendlichen betrieben (Abb. 2). Es ist sehr wichtig, über das Verletzungsrisiko zu sprechen, den Sinn der Schutzmaßnahmen nicht nur im Bereich des Schädels, sondern auch der Extremitäten zu erläutern und die Anwendung der Hilfsmittel zu propagieren.
Schutzvorrichtungen
Unterschieden werden installierte und körpergetragene Schutzvorrichtungen. Zu den installierten Schutzvorrichtungen zählen Sicherheitsgurt und Airbag im Auto. Diese beiden Bestandteile moderner PKW haben deutlich zu einer Reduktion der Häufigkeit und der Schwere von Gesichtsschädelverletzungen, insbesondere von Mittelgesichtsschädelfrakturen, geführt [Murphy et al., 2000; Major et al., 2000; Mouzakes et al., 2001; Simoni et al., 2003]. Ein weiteres Beispiel für eine installierte Schutzvorrichtung ist der abgerundete Handgriff am Fahrradlenker. Im Falle eines Sturzes auf den Lenker kann besonders bei Kindern die Schwere des stumpfen Bauchtraumas reduziert werden. Durch die größere Oberfläche des knaufförmigen Lenkerendes mit abgerundeten Kanten sind auch Gesichtsverletzungen weniger schwer. Die bekannteste körpergetragene Schutzvorrichtung ist der Helm. Je nach Anwendung und Personenkreis gibt es verschiedene Formen des Helms, wie Schutzhelm für Bauarbeiter, Eishockeyhelm, Motorradhelm und Fahrradhelm. Bei Motorradfahrern wurde in einer Untersuchung zur Wirksamkeit des Helms gezeigt, dass Gesichtsschädelverletzungen um etwa 65 Prozent und Schädeldachfrakturen um 90 Prozent zurückgegangen sind [Johnsen et al., 1995].
Der Mundschutz
Eine körpergetragene Schutzvorrichtung im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich ist der Mundschutz. Bei Kontaktsportarten, etwa Boxen, ist das Tragen eines Mundschutzes schon lange üblich und die Verhinderung von Zahnverletzungen ist hinreichend bekannt [Newsome et al., 2002; Bemelmanns et al., 2000]. Die gute Wirksamkeit des Sportmundschutzes konnte aber auch bei Spielern verschiedener Ballsportarten gezeigt werden. Bei Basketballspielern in den USA wurden neben 82 Prozent weniger Zahnverletzungen auch weniger Weichgewebstraumen und weniger Gehirnerschütterungen beobachtet [Labella et al., 2002]. Auch ist die Akzeptanz des Mundschutzes gestiegen, besonders, wenn schon eine Zahnverletzung vorgelegen hat [Cornwell et al., 2003]. Im Vergleich zu 1993, wo nur 67 Prozent aller Neuseeländischen Rugbyspieler einen Mundschutz trugen, waren das im Jahr 2003 immerhin 93 Prozent [Quarrie et al., 2005]. Die Reduktion der traumabedingten Zahnbehandlungen führte in Neuseeland zu einer jährlichen Kosteneinsparung von etwa zwei Millionen Neuseeland-Dollar [Quarrie et al., 2005].
Bei einer Umfrage unter Zahnärzten in Singapur wurde festgestellt, dass die meisten Zahnärzte wissen, dass der Mundschutz Zahnverletzungen verhindert. Diese Kenntnisse stammen meist aus dem Zahnmedizinstudium. 74 Prozent der befragten Zahnärzte hatten den Mundschutz bereits empfohlen, aber lediglich 26 Prozent hatten einen Mundschutz angefertigt und eingesetzt [Stokes et al., 1993].
Der Mundschutz fungiert als Abstandhalter zwischen Zahnreihe, Wange und Lippen, und verhindert somit Weichgewebsverletzungen im Mundbereich. Durch eine Verteilung und Dämpfung der einwirkenden Kraft wird das Frontzahntrauma verhindert. Der Mundschutz reduziert außerdem das Auftreten von Unterkieferfrakturen und Schädelkontusionen [Takeda et al., 2005]. Durch die Trennung der Zahnreihen wird ein Aufeinanderprallen der Zähne im Moment der Krafteinwirkung verhindert. So können Verletzungen der Zähne des Oberkiefers, zum Beispiel beim Sturz auf das Kinn, vermieden werden. Die United States Joint Committee on Mouth Protectors stellt folgende Anforderung an einen Mundschutz:
1.sicheren Sitz und Halt
2.angenehmes Tragen
3.geringe Beeinträchtigung beim Sprechen und Atmen
4.Bruchfestigkeit
5.sicheren Schutz von Zähnen, Zahnfleisch und Lippen.
Arten des Mundschutzes
Je nach Herstellung werden verschiedene Arten des Mundschutzes unterschieden. Der Konfektionsmundschutz ist in Einheitsgrößen preisgünstig in Sportgeschäften erhältlich, bietet aber keine oder eine wenig sichere Verankerung an den Zähnen. Einen besseren Sitz hat der individuell angepasste Konfektionsmundschutz (boil-and-bite). Der thermoplastische Kunststoff passt sich nach dem Erwärmen individuell an die Gegebenheiten der Zahnreihen und der Mundhöhle an. Der individuell angefertigte Mundschutz (Abb. 3) wird nach Abformung der Zahnreihen im zahntechnischen Labor am Modell hergestellt. Dabei sind folgende Konstruktionsprinzipien zu beachten: Alle Kauflächen sollten bedeckt sein, der Mundschutz sollte bis drei Millimeter an die Umschlagsfalte heranreichen, palatinal sollte er dünn auf der Gaumenschleimhaut in einer Breite von vier bis sechs Millimetern auslaufen. Üblicherweise wird der Mundschutz bei Regelokklusion im Oberkiefer eingegliedert und umfasst die Zahnkronen komplett. Im Gegenkiefer sollte ein leichtes Finden der Einbisse möglich sein. Bei Angle- Klasse III kann der Mundschutz auch im Unterkiefer getragen werden. Von Sportlern wird generell der individuell angefertigte Mundschutz bevorzugt [Bemelmanns et al., 2000].
Anfertigung eines individuellen Mundschutzes
Nach Abformung im Ober- und Unterkiefer werden die Modelle einartikuliert. Der Mundschutz wird dann mit einer Bisssperre von drei bis vier Millimetern aus Wachs modelliert, in Kunststoff überführt, ausgearbeitet und poliert. Üblicherweise kommen weichbleibende Acrylkunststoffe und thermoplastische Vinylkunststoffe zur Anwendung. Ein Mundschutz kann auch mittels einer entsprechend ergänzten Tiefziehschiene hergestellt werden [Lauer et al., 2000] (Abb. 4a,b).
Bei der Verwendung des Mundschutzes gilt die alte Volksweisheit „Vorbeugen ist besser als Heilen“. Allerdings sollte im Zeitalter knapper werdender Ressourcen und Ökonomisierung der Medizin der Spruch noch ergänzt werden: „Vorbeugen ist besser und billiger als heilen.“ Die Anfertigung eines Mundschutzes kostet lediglich ein Zehntel im Vergleich zu einer implantatgetragenen Krone, und er stellt somit ein einfaches und wirksames Mittel zur Prävention dar
Prof. Dr. Dr. Günter LauerDr. Winnie PradelKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum Carl Gustav Carusan der Technischen Universität DresdenFetscherstraße 7401307 Dresdenguenter.lauer@uniklinikum-dresden.de