Nach starker Verbrennung

Neues Gesicht aus dem eigenen Bauch

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Lebensqualität vom OP-Tisch. Mikrochirurgen der TU München formen das entstellte Antlitz eines chinesischen Mädchens neu

Als Xiao Liewen ein Jahr nach ihrem Unfall aus dem Rui-Shin-Hospital in Shanghai entlassen wurde, wagte sie sich nur noch mit einem völlig verhüllten Kopf auf die Straße. Ihr Gesicht war durch schwere Verbrennungen derart grauenvoll entstellt, dass sich selbst ihre Mutter geweigert hatte, ihre Tochter anzuschauen. Dass die damals 17- Jährige sich heute wieder unter Menschen traut, verdankt sie der Kunst von Professor Dr. Dr. Edgar Biemer und seinem Team von der Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie der TU München. Der renommierte Mikrochirurg rekonstruierte das Gesicht des jungen Mädchens und formte ihr – weltweit vermutlich erstmalig – eine neue Nase aus ihrem Bauchgewebe.

Sturz auf den Heizbrenner

Der Unfall geschah am späten Abend. Liewen, wie die meisten der heutigen Kindergeneration in China ein Einzelkind, will ihre Eltern später einmal versorgen können. Die fleißige Schülerin steht vor einer Prüfung so stark unter Druck, dass sie nach ihren anstrengenden Vorbereitungen im häuslichen Bad in Ohnmacht fällt – genau auf die rot glühenden Spiraldrähte eines Heizstrahlers. Als sie nach einer halben Stunde von ihrem Vater Xiao Fenglein entdeckt wird, sind Gesicht und Kopfhaut des Mädchens bereits verbrannt und selbst die knöcherne Schädeldecke durchgeschmort.

Den Ärzten der Shanghaier Klinik gelingt es zwar, das Leben des verunglückten Mädchens zu retten. Sie verschließen auch den Knochendefekt des Schädels mit Haut und Muskeln aus dem Rücken. Viel mehr können sie jedoch nicht tun. Bei ihrer Entlassung aus der Klinik hat das damals 14- jährige Mädchen eine immer noch offene Kieferhöhle und eitrige Wunden im Gesicht. Ihr rechtes Auge fehlt und eine Nase hat Liewen auch nicht mehr.

OP-Team gefunden

Mithilfe einer Lehrerin einer deutschen Schule in Shanghai, der Ärzte-Hilfsorganisation „Interplast“, der Katholischen Erziehergemeinschaft und eines privaten Reiseveranstalters wird Liewen an Professor Biemer nach München vermittelt. Seine Abteilung für Plastische- und Wiederherstellungschirurgie gehört zu den ersten klinischen Einrichtungen in Deutschland, die sich ausschließlich auf diesem Zweig der Chirurgie spezialisieren.

Professor Biemer selbst ist maßgeblich an der Entwicklung hoch spezialisierter mikrochirurgischer Operationsverfahren beteiligt. Er wagte sich 1975 als erster deutscher Mikrochirurg an die Replantation eines Fingers, bei der ein türkischer Arbeiter seinen abgetrennten rechten Daumen wiederbekam. Aufsehen erregte auch eine Operation des Münchner Chirurgenteams, bei der sie den bei einem Unfall verlorenen Daumen einer Pianistin durch eine ihrer Zehen ersetzt haben. Schon ein Jahr nach dem Eingriff konnte sie wieder Konzerte geben.

Bei der Rekonstruktion des zerstörten Gesichts von Xiao Liewen ist es allerdings mit einem einzigen Operationstermin nicht getan: Mindestens fünfmal muss das entstellte Unfallopfer wieder unter das Messer, damit ihr Anblick bei ihren Mitbürgern kein Entsetzen mehr hervorruft.

Neue Haut aus dem Bauch gezüchtet

Für das neue Gesicht des Mädchens Liewen züchtet das Münchner Chirurgenteam ein Transplantat auf der Bauchhaut. Oberarzt Dr. László Kovács scannt zuvor zur 3D-Computerrekonstruktion eine Aufnahme von der Nase der Mutter ein. Nach diesem Muster soll, wie nach einem Schnittbogen, die neue Nase des jungen Mädchens entstehen. Neben der Züchtung der neuen Nase wollen die Ärzte mit dem Bauchgewebe gleichzeitig die offene Kieferhöhle füllen.

Warum eine Nase gerade aus dem Bauch? Professor Dr. Edgar Biemer: „Das Bauchgewebe eignet sich für derartige Vorhaben deshalb besonders gut, weil dort jeder Mensch über ausreichende Reserven verfügt.“

Die neue Nase

Beim Verpflanzen der neuen Nase ins Gesicht des Mädchens operieren zwei Ärzteteams gleichzeitig. Für die Stabilität der neu gebildeten Nase aus Haut und Fettgewebe sorgt Knorpelspan aus der Gewebebank. Er enthält keine lebenden Zellen mehr und wird damit auch von Liewens Körper nicht abgestoßen. Später, nach dem das tiefe Loch in Liewens Gesicht endlich verschlossen ist, wird ihr verlorenes Auge durch eine so genannte Epithese, ein Kunstauge mit Lidern und Augenbrauen, ersetzt.

Professor Dr. Edgar Biemer über die Schwierigkeiten des weltweit vermutlich erstmaligen Eingriffs: „Das Wichtigste ist dabei, dass die Blutgefäße in dem zu transplantierenden Gewebeblock aus dem Bauch intakt sind. Nur so lässt es sich erreichen, dass die neue Nase später nicht abstirbt“.

Rümpfen kann Liewen ihre neue Nase derweil allerdings noch nicht. Professor Biemer: „Das feine Nervengewebe von Nase, Mund oder Ohren lässt sich kaum rekonstruieren. Es dauert etwa zwei Jahre, bis eigene Nerven in das transplantierte Gewebe hineinwachsen und das neu geformte Organ gewisse Gefühle empfinden kann.“

Xiao Liewen verkriecht sich heute nicht mehr in ihrem Zimmer. Sie ist von ihrem entsetzlichen Unfall zwar nach wie vor schwer gezeichnet und trägt in der Öffentlichkeit meist Hut und Perücke, hat sich aber an ihr neues Aussehen gewöhnt. Wenn es ihr gelingt, für einen weiteren Aufenthalt im Münchner Klinikum Rechts der Isar genügend Geld für Flug und Unterbringung zu sammeln – Professor Biemer und seine Mitarbeiter operieren sie unentgeltlich – soll im Zuge eines weiteren Eingriffs die Kopfhaut mithilfe eines Expanders gedehnt werden. Ihr jetzt noch weit zurückliegender Haaransatz kommt damit nach vorn und die junge Frau braucht dann keine Perücke mehr.

Lebensqualität „rekonstruiert“

Die Galileo-Redakteurin Petra Jahn kümmert sich auch nach einer von ihr über den Patientenfall zusammengestellten Sendung weiter um die Hilfe für die mittlerweile zur jungen Frau herangereiften Chinesin: „Ihr Gesicht ist zwar soweit wieder hergestellt wie es die moderne plastische Chirurgie erlaubt. Ihr augenblickliches Problem ist es jedoch, dass sie ihre Ausbildungspläne nicht verwirklichen kann. Durch die wiederholten Operationsaufenthalte in München hat sie den schulischen Anschluss in ihrer Heimat verloren und wegen ihres Alters kann sie nicht mehr in die dortige Regelschule zurückkehren. In China selbst können Menschen wie sie nicht mit der gleichen Hilfsbereitschaft rechnen, wie in Europa. Frau Xiao hofft deshalb auf weitere Unterstützung aus Deutschland. Vielleicht findet sich ein Weg, um der intelligenten und strebsamen jungen Frau in Deutschland eine Ausbildung zu ermöglichen.“

Lajos SchöneGestäckerstraße 981827 München

„Interplast“ hat für die Hilfsaktion ein Spendenkonto eingerichtet. Es lautet: „Interplast Germany e.V.“ Stichwort: Hilfsaktion Xiao Liewen, Spendenkonto: Postbank München, Konto 10 666 800, BLZ: 700 100 80. Mehr Informationen über die gemeinnützige Ärzteorganisation gib es im Internet unterwww.interplast-germany.de

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