Gastkommentar

Schleichende Rationierung

Das Arzneimittelgesetz ist ein weiterer Schritt in Richtung Zwei-Klassen-Medizin. Die Politik sollte offen über Rationierung debattieren, statt sie schlichtweg zu leugnen.

Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin der Welt, Berlin

Das von der schwarz-roten Regierung beschlossene Arzneimittel-Sparpaket hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Ärzte, Klinikbetreiber und Kassenmanager hatten im Vorfeld vergeblich versucht, das Gesetzeswerk zu Fall zu bringen. Zwar stoppte der unionsdominierte Bundesrat das Vorhaben zunächst. Doch da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, kann die Länderkammer nicht mehr als eine Verzögerung bewirken. Somit werden die Neuregelungen zeitverzögert, statt zum 1. April wohl im Mai oder Juni, in Kraft treten. Dann aber dürften auch die Patienten merken, dass ihre Versorgung mit Arzneimitteln spürbar eingeschränkt wird.

Das „Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz“ bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung Rationierung medizinischer Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser schleichende Prozess ist schon seit Jahren zu beobachten. So erhalten Kassenpatienten mit schweren Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson im Regelfall nicht die Medikamente, die international als bester Standard gelten. In den Krankenhäusern müssen mitunter sogar Tumorpatienten Wartezeiten in Kauf nehmen. Auch räumen Klinikärzte ein, dass bei Operationen an Privatversicherten oftmals höherwertige Materialien eingesetzt werden, als dies bei gesetzlich Versicherten der Fall ist. Obwohl diese Fakten offenkundig sind, wird von den politisch Verantwortlichen vehement bestritten, dass es Rationierung im deutschen Gesundheitswesen gibt. Tendenzen zu einer Zwei-Klassen- Medizin werden als Fehlverhalten von einzelnen Ärzten und Kliniken gebrandmarkt.

Die bisherigen Ansätze von Rationierung sind indes nur ein Vorgeschmack auf das, was in der Zukunft droht. Noch ist die Versorgung hierzulande im Großen und Ganzen durchaus gut. Doch die bevorstehende Überalterung der Gesellschaft und der medizinische Fortschritt werden die Kosten in den kommenden Jahren in die Höhe treiben. Unabhängig von der anstehenden Finanzreform im Gesundheitswesen ist es nötig, in der Gesellschaft offen die Debatte zu führen, welche Gesundheitsleistungen künftig noch für alle solidarisch finanziert werden sollen und können. Statt weiterhin die heimliche Rationierung hinzunehmen, muss die Politik mehr Ehrlichkeit wagen. Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe hat dies schon vor Jahren vergeblich angemahnt. Auch der CDUJungpolitiker, Philipp Mißfelder, unternahm einen, allerdings sehr ungeschickten Versuch, die Debatte anzustoßen. Seine Frage, ob es in Zukunft noch vertretbar sei, alten Menschen eine künstliche Hüfte einzusetzen, löste allgemeine Empörung aus. Dabei ist die Überlegung, wie die knappen Mittel am effektivsten verteilt werden können, völlig legitim. In Großbritannien gibt es die von dem CDU-Mann vorgeschlagenen Altersgrenzen für medizinische Leistungen längst. Wenn wir in Deutschland diesen Weg nicht gehen wollen, müssen wir uns Alternativen überlegen. Wo kann der Leistungskatalog der Krankenkassen ausgedünnt werden? In der Schweiz ist beispielsweise die Zahnbehandlung kein Bestandteil der obligatorischen Krankenversicherung. Auch Selbstbehalte wären ein gangbarer Weg, die Balance zwischen solidarischer Finanzierung und Eigenverantwortung neu zu justieren.

In Deutschland werden derartige Vorstöße meist reflexartig als unsozial gebrandmarkt. Tatsächlich aber sind die Folgen einer schleichenden Rationierung viel fataler. Denn dagegen, dass man aus Kostengründen zu früh aus dem Krankenhaus entlassen wird oder hochwirksame Arzneimittel nicht erhält, kann sich keiner schützen. Hingegen ist private Vorsorge in Form von Zusatzversicherungen oder einer Ansparung möglich, wenn klar ist, dass manche Leistungen von der Solidargemeinschaft nicht mehr finanziert werden. Außerdem kann der Einzelne dann selbst wählen, ob er auf manche Leistungen ganz verzichten will, sich dafür aber andere wie etwa homöopathische Angebote hinzukauft. Ein solches System mit mehr Eigenverantwortung, aber auch mehr Wahlfreiheit ist allemal sozialer als ein Gesundheitswesen, das durch Rationierung ausgezehrt wird.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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