Dem Patienten Raum geben
oft steiniger, aber auch lohnender Weg.
Dem Patienten Raum geben, ihm zuhören, sich ihm öffnen und ihn erzählen lassen – das seien Faktoren, auf die es heute im Arzt-Patienten-Verhältnis ankomme, betonte Prof. Dr. Jozien Bensing von der Universität Utrecht. Anlässlich des vierten Kongresses zum Thema Shared Decision Making vom 30. März bis 1. April an der Medizinischen Universitätsklinik in Heidelberg machte sie mit vielen Beispielen klar, dass Kommunikation das entscheidende Mittel sei, um evidenzbasierte und patientenzentrierte Medizin zu verbinden. Kommunikationsaspekte gehörten ihrer Meinung nach zu medizinischen Curricula genauso wie zu Forschungsprogrammen im Gesundheitswesen.
Weg von der Angst des Patienten vor dem Halbgott in Weiß und hin zu einer stärkeren Einbindung des Patienten in den medizinischen Entscheidungsprozess – darum ging es bei der Heidelberger Tagung. Zahlreiche Wissenschaftler und Experten aus dem Inund Ausland waren zusammengekommen, um den Status quo zu diskutieren und vor allem um Wege zu zeigen, wie man wissenschaftliche Erkenntnisse zur Partizipativen Entscheidungsfindung PEF – so lautet die etwas sperrige deutsche Übersetzung des englischen Fachbegriffs Shared Decision Making – in die ganz praktische Umsetzung bringt. Denn das Herunterbrechen in den medizinischen Versorgungsalltag bedeutet die eigentliche, große Herausforderung.
Die Heidelberger Tagung steht im Zusammenhang mit einem längeren Prozess, Patienten stärker im Gesundheitswesen zu beteiligen. In diesem Bereich hat sich die deutsche Gesundheitspolitik in den letzten Jahren schwerpunktmäßig engagiert. Dazu gehört zum Beispiel die beratende Einbindung von Patientenvertretern in den Gemeinsamen Bundesausschuss, die Gründung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und die Berufung von Helga Kühn-Mengel als Patientenbeauftragte der Bundesregierung.
Förderschwerpunkt
Trotz alledem steckt aber die Diskussion um Mitentscheidung im Gesundheitswesen in Deutschland – ganz im Gegensatz zu beispielsweise den USA oder Großbritannien – noch in den Kinderschuhen. Das machte auch der Heidelberger Kongress wieder ganz deutlich. In England oder den USA gibt es solche Projekte schon seit den 80er Jahren.
Das Bundesgesundheitsministerium hat als Maßnahme zur weiteren Verankerung den Förderschwerpunkt „Patient als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess“ gegründet. Von 2001 bis 2004 hatten zehn geförderte Projekte konkret die Möglichkeit, zu erproben, wie eine partnerschaftliche Behandlungsentscheidung von Patient und Arzt umgesetzt werden kann. Die Modelle haben laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums gezeigt, dass die partizipative Entscheidungsfindung die medizinische Versorgung stark verbessert. Deshalb hat das Ministerium beschlossen, zum Beispiel Transferprojekte in Freiburg (Bereich Depression) und Heidelberg (Bereich chronischer Schmerz) bis 2007 weiter mit Fördermitteln zu unterstützen. Ziel der Projekte soll es sein, Erkenntnisse aus der Forschung in den medizinischen Alltag zu übertragen.
Beschäftigte sich die Wissenschaft anfangs noch mit Themen wie Messbarkeit oder mit ökonomischen Fragen beim Shared Decision Making, so stehen nun ganz konkrete Themen auf der Agenda, wie Information, Kommunikation und der Transfer in die Praxis. Prof. Dr. Wolfgang Eich, Tagungsleiter und Leiter der Sektion „Psychosomatik des Bewegungssystems“ der Heidelberger Uni-Klinik für Psychosomatische und Allgemeine Klinische Medizin, erläuterte, dass man zur Umsetzung mehrstufig vorgehe. Zunächst werde wissenschaftlich herausgearbeitet, welche Effekte Shared Decision Making überhaupt hat. Danach erfolge eine Erprobung in Modellprojekten. Über Presse und Internet werde die Öffentlichkeit eingebunden. In die medizinische Ausbildung sowie in die ärztliche Fortbildung würden kommunikative Elemente verstärkt integriert. Nicht zuletzt würden diese Modelle auch auf Kongressen zur ärztlichen Fortbildung weiter bekannt gemacht.
Konkrete Ansätze
Doch bis Shared Decision Making in den Köpfen der Ärzteschaft ganz praktisch und umfassend greift, dürfte noch einige Zeit vergehen. Der Heidelberger Kongress zeigte Ansätze, wie dies konkret vonstatten gehen könnte.
Am Universitätsklinikum in Jena zum Beispiel wurde ein Modellvorhaben in der Palliativmedizin durchgeführt. Konkret ging es darum, zu untersuchen, inwieweit sich Tumorerkrankte am Lebensende eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit ihrem Arzt wünschen. Hierzu wurden unter anderem Kommunikationstrainings für Ärzte entwickelt.
Als ein Ergebnis hat sich herausgestellt, dass gerade in der Situation am Lebensende PEF eine Option sein kann, sie sollte aber nicht nach dem Gießkannenprinzip erfolgen. Die TU München beschäftigt sich mit Shared Decision Making in der Akutpsychiatrie (Schizophrenie). Dort wurde herausgearbeitet, dass spezielle Programme für psychisch kranke Patienten, die krankheitsspezifische Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit berücksichtigen, die positiven Effekte der PEF noch verstärken.
Die Medizinische Klinik der Psychosomatischen und Allgemeinen Klinischen Medizin Heidelberg führt im Rahmen des Transferprojekts des Bundesgesundheitsministeriums ein PEF-Kommunikationstraining mit Ärzten durch. Das mittlerweile sechsstündige Training wird aktuell in zwei Modulen bundesweit in CME-zertifizierten Ärzteschulungen angeboten. Außerdem hat die Medizinische Klinik ein Kommunikationstraining in der medizinischen Ausbildung entwickelt. Heicumed (Heidelberger Curriculum Medicinale) fördert – gemäß den Forderungen der neuen ärztlichen Approbationsordnung – die kommunikative Kompetenz der Studierenden. Mit einem speziellen Training (Rollenspiel, standardisierte Patienten) wird die Arzt-Patienten-Kommunikation bei schwierigen Situationen in zehn klinischen Fächern eingeübt und am Ende abgeprüft. Die Erfolge sind deutlich, das Konzept soll jetzt auch anderen Universitäten angeboten werden.
Im Transferprojekt Freiburg beschäftigt man sich mit Maßnahmen des E-Learnings und Internets zum Transfer der partizipativen Entscheidungsfindung. In der Lehre wird das Thema in Kooperation mit ärztlichen Fachgesellschaften per Multiplikatorenschulung verbreitet. In der ärztlichen Fortbildung werden unterschiedliche Konzepte entwickelt und auf Veranstaltungen, Kongressen und über Fachzeitschriften zugänglich gemacht.
Mehr zum Förderschwerpunkt „Der Patientim medizinischen Entscheidungsprozess“unterhttp://www.patient-als-partner.de