Gleichschaltung der Krankenkassen
Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin der Welt, Berlin
Unter Deutschlands Interessenverbänden gibt es einen neuen Riesen: den Bund der Krankenversicherung. Der Spitzenverband, der Ende Mai aus der Taufe gehoben wurde, ist künftig nicht nur das politische Sprachrohr der 241 Kassen. Der Koloss wird ab Juli 2008 auch die wichtigsten Verträge mit den Kassenärzten, Zahnärzten, Kliniken und anderen Leistungserbringern aushandeln.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zeigte sich auf der Gründungsversammlung überzeugt davon, dass der neue Spitzenverband mehr Effizienz und weniger Bürokratie bringen werde. Tatsächlich wird aber das Gegenteil der Fall sein. Mit der Gleichschaltung der bisher sieben Spitzenverbände gibt es noch weniger Wettbewerb auf Seiten der Krankenkassen. Monopolstrukturen haben jedoch noch nie die Effizienz erhöht. Auch die Hoffnung auf weniger Bürokratie ist eine Schimäre. Denn die sieben alten Spitzenverbände werden nicht abgeschafft, sondern nur in ihrer Bedeutung erheblich gestutzt. Es gibt also nicht weniger Verwaltung, sondern eine Großbürokratie zusätzlich.
Ohnehin verfolgt die Ministerin mit der Zentralisierung im Krankenkassenwesen ein anderes Ziel. Für die SPD ist der Spitzenverband lediglich ein Zwischenschritt auf dem Weg zur angestrebten Einheitskasse. Dass ab 2009 erstmals die Politik und nicht mehr die einzelne Krankenkasse den Beitragssatz festlegt, passt ebenfalls ins Bild. Der Wettbewerb und die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung werden Schritt für Schritt abgeschafft. Der Spitzenverband Bund ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und untersteht der Aufsicht des Ministeriums. Die bisherigen Interessenvertretungen waren für die jeweiligen Minister oft unbequeme Partner. Insbesondere der wettbewerblich orientierte Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) hielt sich mit seiner Kritik nie zurück. Doch auch die Spitzenverbände von AOK und Ersatzkassen bezogen oftmals Positionen gegen Ulla Schmidt und ihre Vorgänger. Im vergangenen Jahr kritisierten sie massiv die Beschlüsse zur Gesundheitsreform und warnten – unisono mit den Leistungserbringern – vor einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung.
Künftig wird der bislang so vielstimmige Chor der Verbandsfunktionäre nicht nur eintöniger, sondern auch leiser werden. Die Spitzenjobs des neuen Spitzenverbands werden paritätisch aus den verschiedenen Kassenarten besetzt. Diese Struktur garantiert, dass die politischen Positionen, die in gesundheitspolitischen Fragen bisher oft konträr waren, weichgespült werden. Kein Wunder, dass der für klare Worte gefürchtete BKK-Chef Wolfgang Schmeinck schon im Vorfeld der Vorstandswahlen verkündet hatte, er stehe für einen Chefposten beim Spitzenverband nicht zur Verfügung.
Noch weit bedenklicher als die Einschränkung des Meinungsspektrums ist die wirtschaftliche Konsequenz der Zentralisierung. Die sieben Spitzenverbände steuern die Rahmenbedingungen für Ausgaben im Volumen von rund 140 Milliarden Euro. Schon bisher gibt es im Verhältnis zwischen den Leistungserbringern und den Kassen ein erhebliches Kräfteungleichgewicht. Mit dem so genannten Wettbewerbsstärkungsgesetz wird das Problem noch verschärft. Denn der Monopolisierung auf Kassenseite steht eine zunehmende Atomisierung bei den Leistungsanbietern gegenüber. Mit der Gesundheitsreform erhalten die Kassen mehr Möglichkeiten, Einzelverträge, etwa mit medizinischen Versorgungszentren oder Praxisnetzen, auszuhandeln. Somit wird der Konkurrenzdruck auf Ärzte oder Kliniken in den kommenden Jahren immer größer werden.
Wettbewerb kann aber immer nur dann funktionieren, wenn er auf beiden Seiten des Marktes gleichermaßen gilt: bei den Anbietern und den Einkäufern. Künftig kann von einem gesunden Gleichgewicht in der gesetzlichen Krankenversicherung keine Rede mehr sein. Schließlich kann kein Leistungsanbieter auf Augenhöhe mit einem Kassen-Monopol verhandeln.
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