Abgeltung auf alles
Am 6. Juli 2007 hat der Bundesrat abgenickt, was das Parlament bereits am 14. März dieses Jahres beschlossen hat: die Einführung der lange diskutierten Abgeltungssteuer zum 1. Januar 2009 in Höhe von 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
Die neue Abgabe auf Kapitalerträge soll eigentlich dem Wirrwarr um Spekulationssteuer, Halbeinkünfteverfahren, Besteuerung von Kursgewinnen und Zinsen ein Ende machen. Sie gilt für:
• Einkünfte aus Kapitalvermögen wie Zinsen und Dividenden• Erträge aus Forderungswertpapieren wie Pfandbriefe• Optionsprämien• Einnahmen aus Finanzinnovationen• Erträge aus Wertzuwächsen aus Investmentfonds und Zertifikaten• Veräußerungsgewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften wie Wertpapiere, Investmentanteile, Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, Edelmetallen und Antiquitäten.
Anleger mit höherem Einkommen profitieren von der neuen Regelung. Denn statt Zinsen mit dem persönlichen Steuersatz von bis zu maximal 47,5 Prozent (Reichensteuer inklusive Soli) zu belegen, zieht die Bank direkt die 25 Prozent (inklusive Soli 26,375 Prozent) ab. Der Kunde hat selbst keinen Einfluss mehr darauf, ob er Erträge versteuert oder nicht.
Nachteilig wirkt sich je nach Steuersatz die Streichung des Halbeinkünfteverfahrens bei Dividenden aus. Sie wurden nur zur Hälfte besteuert. Aktienfans sind gleich zweifach betroffen, sie betrauern zusätzlich die Streichung der Spekulationsfrist, gemäß der Kursgewinne nach einem Jahr steuerfrei waren. Nun bleibt nur noch der Sparerfreibetrag in Höhe von 750 Euro pro Person, um die Abgaben zu senken. Er wird jetzt mit der Werbungskostenpauschale von 51 Euro zu einer Pauschale von 801 Euro zusammengefasst. Für Ehepaare gelten 1 602 Euro. Sparer, deren persönlicher Steuersatz unter 25 Prozent liegt, können von einer Veranlagungsoption Gebrauch machen. Sie geben ihre Kapitaleinkünfte in der Steuererklärung an und bekommen die zuviel gezahlte Steuer erstattet.
Statt allgemeiner Beruhigung prägt harsche Kritik jetzt das Feld, die neue Steuer treffe in erster Linie die Jungen, die unbedingt für ihr Alter vorsorgen müssen. Die hätten das Nachsehen. Das verdeutlicht eine Beispielrechnung, die der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) aufmachte. „Bei einem Sparplan, bei dem der Vorsorgende 30 Jahre lang jeden Monat 100 Euro in Aktienfonds anlegt, kann der Sparer nach 30 Jahren durchschnittlich ein Endvermögen von 150 000 Euro erreichen. Bislang bekam er diese Summe komplett ausbezahlt. In Zukunft muss er auf den Wertzuwachs in Höhe von 114 000 Euro 25 Prozent Abgeltungsteuer plus Soli plus Kirchensteuer zahlen – macht einen Abschlag von 32000 Euro.“ Die Kritiker weisen auf die Nachbarländer hin. Langfristige Wertzuwächse bleiben in Österreich, der Schweiz, Belgien Luxemburg und den Niederlanden steuerfrei.
Sparer, die langfristig denken, müssen sich jetzt umorientieren. Wer Aktien bevorzugt, kann noch die Gunst der Stunde nutzen und sich vor dem 1. Januar 2009 mit attraktiven Papieren eindecken. Denn diese werden nach der alten Regelung besteuert. Kursgewinne bleiben nach einem Jahr abgabenfrei und die Dividenden unterliegen nur zur Hälfte der Steuerpflicht. Insider befürchten bis Ende nächsten Jahres einen Run auf die Anteilscheine.
Verlustrechnung
Will der Anleger sich noch fristgerecht eindecken, sollte er nicht übers Ziel hinausschießen und allzu spekulative Papiere ordern. Geht seine Rechnung nicht auf und rutschen die Kurse ins Minus, kann er nicht wie früher diese Verluste mit eventuellen Einnahmen aus Zinserträgen ausgleichen. Verluste aus Aktien dürfen in Zukunft nur mit Gewinnen aus Aktien verrechnet werden.
Wer allerdings noch an den Folgen von Fehlspekulationen knabbert, darf alle Verluste, die bis zum 31. Dezember 2008 aufgelaufen sind, mit anderen Einnahmen aus Kapitalerträgen verrechnen. Spätestens Ende 2013 müssen die Altlasten verschmerzt sein. Wer Zinspapiere bevorzugt, für den kommen bessere Zeiten. Denn statt der jetzt geltenden 30-prozentigen Zinsabschlagsteuer, die aber nur eine Vorauszahlung auf die Einkommenssteuer ist, gilt die Abgeltungssteuer.
Komplizierter gestaltet sich die Einführung der neuen Abgabe bei den Zertifikaten. Sie gelten nicht als Finanzinnovationen und sind mit dem Risiko des Totalverlustes behaftet. Kursgewinne aus dem Verkauf dieser Papiere sind nach einem Jahr nur noch dann steuerfrei, wenn sie bis oder am 14. März dieses Jahres gekauft und bis Ende Juni 2009 wieder verkauft worden sind. Bei allen später erworbenen Zertifikaten, die nach dem 30. Juni 2009 mit Gewinn veräußert werden, fällt die Abgeltungssteuer an. Ausnahme von der Regel: Zertifikate, die eine Kapitalgarantie enthalten, zählen zu den Finanzinnovationen und fallen nicht unter die Ausnahmeregelung. Ihre Besitzer mussten Kursgewinne schon immer versteuern, unabhängig von der Spekulationsfrist.
Alles beim Alten bleibt bei der Lebensversicherung, wenn sie ab 2005 abgeschlossen worden ist. Dient sie der Altersvorsorge, beträgt die Laufzeit mindestens zwölf Jahre und hat der Sparer das 60. Lebensjahr erreicht, fällt nur die Hälfte der Erträge unter die Steuerpflicht.
Ehrgeiz für Erträge
Viele Anleger werden nun ihren Ehrgeiz darauf setzen, der Abgeltungssteuer ein Schnippchen zu schlagen und die Erträge zu optimieren. Die Strategen bei den Finanzdienstleistern arbeiten schon lange daran. Sie gehen davon aus, dass es zu massiven Umschichtungen in den Wertpapierdepots kommen wird und eine ähnliche Werbeschlacht um die Kunden ausgetragen wird wie 2004, als das Steuerprivileg für Lebensversicherungen auslief. Viele Anleger – besonders die in den höheren Steuerklassen, werden von der Aktie auf Zinspapiere umsteigen. Denn von den Erträgen daraus wird für sie mehr übrig bleiben. Also werden sie Aktien bis Ende 2008 kaufen und die Kursgewinne nach alter Regel nach einem Jahr oder später steuerfrei kassieren. Bei den Zinsanlagen investieren sie in Papiere, die ab 2009 fällig sind. Das können zum Beispiel Sparpläne mit Zinsansammlung sein oder aber Nullkoupon-Anleihen (Zero- Bonds). Dabei werden die Zinsen nicht jährlich ausgeschüttet, sondern über den Kurs gesammelt.
Viele Anleger, die an ihre Alterssicherung denken, werden vielleicht bis Ende nächsten Jahres einen großen Betrag in einen Fonds stecken, in der Hoffnung, das Geld dort lange zu parken und wenigstens die Kursgewinne steuerfrei kassieren zu können. Bei der Wahl ist große Sorgfalt gefragt: Es wird schwierig sein, einen Fonds zu finden, mit dessen Management der Anleger über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren zufrieden sein wird.
Schmerzfreier Wechsel
Um möglichst entspannt sein Geld arbeiten zu lassen, werden sich viele Sparer für Dach- und Zielsparfonds entscheiden. Sie galten bislang als zu teuer, weil die Manager häufig umschichten und dadurch hohe Gebühren verursachen. Von spekulativen Papieren wie Aktien wandert das Kapital bei Zielsparfonds in ruhigere Anlagen wie Anleihen oder Immobilien. Je mehr sich die Anlage dem Zeitpunkt der Auszahlung nähert, desto geringer gestaltet sich das Risiko.
Bei Dachfonds investiert der Manager in verschiedene andere Aktien-, Renten- und Geldmarktfonds. Der Vorteil dieser Konstruktion: Wechselt er von einem Fonds in den anderen, fällt keine Abgeltungssteuer an. So lässt sich ein Fonds schmerzfrei auf die Bedürfnisse der Kunden einstellen. Wechselt der Kunde selbst von einem Fonds in den anderen, hält der Fiskus bei jedem Verkauf der Anteilscheine die Hand auf.
Wachsamkeit zahlt sich beim Kauf von Fondsanteilen aus. Die oben genannten Fondsvarianten sind wegen der vielen Umschichtungen ziemlich kostenintensiv. Zum anderen sollten Käufer von neu aufgelegten Fonds, die sich die Minimierung der neuen Steuer zum Ziel gesetzt haben, bedenken, dass diese Konstruktionen sich in der Vergangenheit noch nicht bewährt haben. Wie ein Manager Baissen und Haussen meistert, muss er erst noch beweisen. Allerdings sollten auch Anleger, die die Risiken des Neuen scheuen und sich beispielsweise für einen der bewährten Fonds wie den DWS I entscheiden, bedenken, dass der vielfach ausgezeichnete Manager Klaus Kaldemorgen nicht ewig den Klassiker verwalten wird. Als eine Alternative zu Aktienund Rentenfonds bieten sich Immobilienfonds an. Die sind nicht von der Abgeltungssteuer betroffen. Außerdem haben sie ihre Krise aus dem letzten Jahr inzwischen weitgehend überwunden.
Die Einführung der Abgeltungssteuer fordert die Anleger zum Umdenken auf. Ein Patentrezept für die günstigste Anlage, die sowohl optimal Steuern vermeidet als auch eine hohe Rendite verspricht, gibt es nicht. Experten warnen schon jetzt vor den vielen neuen Produkten die kommen werden. Auf keinen Fall sollten Sparer ihr Vermögen einem einzigen Fonds anvertrauen. Wie auch schon vor der Abgeltungssteuer lautet der goldene Tipp: Diversifizieren – also das Kapital auf verschiedenen Fonds und andere Anlagen verteilen.
Zurückhaltung ist allerdings bei thesaurierenden Fonds angesagt: Der Fiskus kassiert bei diesen demnächst die Abgeltungssteuer auf die Erträge nämlich jährlich. Veräußert der Sparer seine Anteile, wird die bereits gezahlte Steuer angerechnet. Damit es nicht doch zu Doppelbesteuerungen kommt, muss er alle Unterlagen über Jahrzehnte hinweg aufbewahren, um die erfolgten Zahlungen zu beweisen. Wohl dem, dem ein Vermögen von mindestens 1,25 Millionen Euro zur Verfügung steht. Für den haben sich die Luxemburger eine praktische Lösung für die deutschen Steuerprobleme einfallen lassen. Das Herzogtum erlaubt jedem, der die Mindestsumme aufbringt, seinen eigenen Investmentfonds zu betreiben. Steuern auf Zinsen, Kursgewinne und Dividenden lassen sich damit vermeiden. Statt den Fiskus zu beteiligen, fließen die Erträge in die Taschen der Anleger. Wer den Einsatz nicht alleine aufbringen kann, sucht sich neun Gesinnungsgenossen. Insgesamt müssen zehn Investoren jeweils mindestens 125 000 Euro aufbringen, und zwar bis spätestens ein Jahr nach Auflage des Fonds. So besagt es das luxemburgische Spezialfondsgesetz Specialised Investment Funds (SIF). Das SIFGesetz wurde erneuert und löste am 13. Februar 2007 das alte Fondsgesetz ab, das ursprünglich nur institutionellen Anlegern die Gründung von Fonds erlaubte. Jetzt wurde der Kreis auf „gut informierte private Anleger“ erweitert. Auch die Iren bieten solche Fonds für High Networth Individuals. Als einer der ersten deutschen Fondsgesellschaften lockt Frankfurt Trust mit dem Angebot, Spezialfonds für Anleger aufzulegen, nach Luxemburg. Mit von der Partie sind auch Vermögensverwalter wie Yeald in Nürnberg und das von Köln nach Luxemburg verlegte Bankhaus Oppenheim.
Vielleicht erledigt sich der ganze Trubel um die neue Steuer von allein und das Bundesverfassungsgericht kippt die Abgeltungssteuer so wie die Karlsruher Richter damals die Spekulationssteuer als „Dummensteuer“ gestrichen haben. Sie gingen damals davon aus, dass die meisten Steuerzahler ihre Gewinne sowieso nicht in der Steuererklärung angeben würden und der Staat somit ein „Vollzugsdefizit“ aufweise. Die Argumente von Finanzminister Peer Steinbrück für die Abgeltungssteuer lauten: „25 Prozent von x sind besser als 42 Prozent von nichts.“ Wer aber so viel Vermögen angesammelt hat, dass er nicht mehr arbeiten muss und nur noch von den Erträgen aus seinem Kapital lebt, zahlt deutlich weniger Steuern als Otto Normalverbraucher. Von Gleichbehandlung kann keine Rede mehr sein. Vielleicht findet ein braver Steuerzahler, der sich ungerecht behandelt fühlt, ja den Weg nach Karlsruhe. Frank Pöpsel, Chefredakteur von Focus- Money, jedenfalls ließ sich von einem ehemaligen Verfassungsrichter die Rechtswidrigkeit bestätigen.
Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de