Literatur online

Das alte Buch und das Netz

Der Gang in die Buchhandlung gehört für viele Menschen zur Vergangenheit. Sie stöbern lieber in Online-Shops nach Lesestoff. Jetzt wagen auch die öffentlichen Bibliotheken den Schritt ins Internet. Per „Onleihe” bieten sie E-Books zum Download an. Doch für die Vernetzung des altehrwürdigen Buches ist das nur ein Beispiel.

„Read around the clock“ könnte das Motto der Onleihe lauten. Über das Portal www.onleihe.de haben Leser rund um die Uhr Zugang zum elektronischen Katalog, der neben E-Books auch Musik, Videos und Zeitschriften anbietet. Berufstätige, die nach Feierabend die Lust auf ein Hörbuch packt, laufen von nun an nicht mehr Gefahr, vor verschlossenen Büchereitüren zu stehen. Sie können sich die vertonten Werke von Kafka bis Mankell bequem am heimischen PC herunterladen. Auch die Rückgabe bereitet wenig Mühe: Läuft die Leihfrist ab, wird das Medium automatisch gesperrt und kann von anderen Nutzern abgerufen werden.

Deutschlandweit ist der Online-Tresen bisher nicht geöffnet. Bedient wird er nur in den Büchereien Hamburg, Köln, Würzburg und München. Wer hier als Mitglied registriert ist, kann nach Belieben durch den Katalog surfen. Für alle anderen bleibt nur eine einwöchige Schnuppermitgliedschaft.

Ein neues Leihzeitalter

Egal, ob Kids oder Silver Surfer – alle Altersgruppen versorgen sich online mit Informationen und Unterhaltung. Täglich. Die öffentlichen Bibliotheken konkurrieren mit beliebten Portalen wie MySpace und You- Tube, die immer nur einen Klick weit entfernt sind. Zur Leihbücherei zu fahren, kostet dagegen Zeit. Seit einigen Jahren versuchen Bibliotheken deshalb, ihr Image aufzupolieren. Etwa, indem sie ihre Regale auch mit CDs und DVDs füllen. Den Nachwuchs scheinen diese Bemühungen kalt zu lassen. Laut der Studie „Jugendliche, Information, Multimedia“ (JIM) surfen zwei Drittel aller Kids mehrmals pro Woche im Internet, in eine Bibliothek verirren sich nur vier Prozent. Ganz klar: Die Mediennutzung im Zeitalter 2.0 hat sich verändert. Die Onleihe ist der Versuch, den Anschluss nicht zu verpassen.

Ihren virtuellen Lesesaal können die Leihbüchereien aus einem 10 000 Titel umfassenden Pool bestücken. Bereitgestellt werden die digitalisierten Medien von dem Wiesbadener Unternehmen DiViBib, das die Onleihe nach den Vorgaben der Bibliotheken betreibt und verwaltet. Wer onleihen will, sollte sich technisch auf neuerem Stand befinden: Erforderlich sind ein Breitbandzugang zum Internet – DSL oder Kabel – und ein PC, auf dem mindestens Windows 98 SE installiert ist. Weitere Grundvoraussetzungen sind die Tools Windows Media Player 9, Adobe Reader 7.0, Internet Explorer 6.0 oder Firefox 1.5.0. Apple- User können bisher nur auf E-Books und E-Paper zugreifen – dieses Angebot soll bald auch für Linux-Nutzer gelten. Downloads audiovisueller Medien sind mit keinem der beiden Betriebssysteme möglich.

Auf Wanderschaft

Ein weiteres Beispiel für gut vernetzte Leseratten ist die Bookcrossing-Bewegung. Ihr Ziel ist es, mehr Buch unter die Leute zu bringen. Kostenlos und weltweit. 2001 in den USA gestartet, zählt der Club mittlerweile mehr als 570 000 Mitglieder, die zusammen vier Millionen Schmöker in Umlauf gebracht haben. In Deutschland machen knapp 38 000 Menschen mit.

Das Prinzip ist schnell erklärt: Bookcrosser geben ihre Lieblingsbücher oder aber Schinken, die im heimischen Regal verstauben, an Unbekannte weiter – sie lassen sie frei, wie die Community es nennt. Bevor ein Buch auf Wanderschaft geht, wird es auf der Club-Homepage in eine Datenbank eingetragen, bekommt eine Identitätsnummer und ein eigenes Tagebuch. Der ursprüngliche Besitzer kann so dessen Reise verfolgen und der neue weiß, welchen Weg sein Fundstück zu ihm genommen hat. Über das Tagebuch tauschen alle Stationen Reaktionen aus.

Frei gelassene Bücher kann man überall finden: im Waschsalon, auf einer Parkbank, in einer Astgabel im Wald. Bookcrosser, die es noch spannender mögen, kündigen auf der Homepage an, wann sie ein Buch wo aussetzen wollen und eröffnen so eine regelrechte Jagd danach.

Im Namen Gutenbergs

Zugang zu Informationen für jeden. Überall. Eines der ursprünglichen Ziele des Internets. Das Projekt Gutenberg hat sich diesem Gedanken verschrieben. Seit 1971 digitalisieren und archivieren seine Mitglieder, größtenteils Freiwillige, Bücher und machen sie im Netz öffentlich zugänglich. Als erstes E-Dokument stellte Gründer Michael Hart die amerikanische Unabhängigkeitserklärung online. Seitdem sind 19 000 weitere E-Books hinzugekommen, jeden Monat wächst der Bestand nach Angaben der Betreiber um 400 Titel.

In Deutschland gibt es seit 1994 eine Zweigstelle. Die Liste der etwa 3 000 Bücher in deutscher Sprache reicht von Äsops „Fabeln” über Alexander von Humboldts „Ansichten der Natur” bis hin zu Kurt Tucholskys „Schloss Gripsholm”. Die Bibliothek zu erweitern, steht jedem offen. Eine Bedingung gilt jedoch für alle: In die Bibliothek dürfen nur Werke mit erloschenem Copyright. Stichtag dafür ist in der Regel der 70. Todestag des Autors.

Digitalisierte Literatur gibt es auch bei Google. Seit fünf Jahren arbeitet der kalifornische Konzern auf diesem Gebiet mit Verlagen zusammen. Der Deal: Die Verlage liefern das Material, Google scannt es ein und stellt es ins Netz. Der große Vorteil für Nutzer: Sie können über eine Volltextsuche gezielt nach Literatur zu allen Themen von Australien bis Zahnmedizin recherchieren. Viele Bücher kann man nur in Auszügen durchstöbern, ein Blick ins Inhaltsverzeichnis ist aber meistens drin. Bisher war das Angebot kostenfrei. Vor kurzem kündigten Google und Partner jedoch an, bald ins kommerzielle Geschäft mit E-Books einsteigen zu wollen.

Heftiger Streit um die Digitalisierung klassischer Medien entbrannte im Jahr 2005. Auch hier wieder Protagonist: Google. Für sein Projekt Google Library scannt die Suchmaschine Bestände wissenschaftlicher Bibliotheken ein – mit deren Erlaubnis. Darunter auch urheberrechtlich geschützte Bücher. Das Okay der Verlage und Autoren wurde dafür nicht eingeholt. Prompt kam Protest. In Deutschland kritisierte vor allem die Wissenschaftliche Buchgesellschaft das „Google-Prinzip“, erst zu digitalisieren und dann auf Widerspruch zu warten. Der Konzern ließ die Arbeit an dem Projekt zeitweise ruhen. Mittlerweile haben aber schon weitere Bibliotheken angekündigt, in die Zusammenarbeit mit den Kaliforniern einzusteigen. Unter anderem die Bayerische Staatsbibliothek. Auch Google-Konkurrent Yahoo und der Online-Shop Amazon planen ähnliche Projekte. So steht, allen juristischen Streitigkeiten zum Trotz, eins wohl fest: Die Vermischung klassischer und digitaler Medien ist nicht mehr aufzuhalten.

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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