Gastkommentar

Die Mini-Reform

Die große Koalition hat mal wieder „Eckpunkte“ beschlossen: Die Pflegeversicherung wird reformiert. Was an Plänen präsentiert wird, erfüllt den Anspruch an eine nachhaltig wirkende Reform jedoch nicht.

Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist

Die Partner der großen Koalition spielen seit einiger Zeit mehr gegeneinander als miteinander. Jeder sucht schon jetzt eine gute Ausgangsposition für die nächsten Landtagswahlen und die Bundestagswahl 2009. Das vergiftet das politische Klima. Die Profilneurose hat vor allem die SPD erfasst, aber auch die Union ist nicht frei davon. Die SPD liegt in der Wählergunst inzwischen deutlich hinter der Union. Sie wird auf der einen Seite von den „Linken“ bedrängt, auf der anderen Seite sammelt die Union Punkte, jedoch nicht genug, um eine andere Koalition anstreben zu können.

Ihr Zugpferd ist Angela Merkel, die heute unbestritten nicht nur die Regierung, sondern auch ihre Partei führt. Der SPD-Vorsitzende Beck hat es schwer, sich gegen Kanzlerin und die Linken zu behaupten. Um seine politische Basis zu sichern, versucht er, den linken Flügel seiner Partei an sich zu binden. Er flirtet mit den Grünen und geht mit der FDP pfleglich um. An der Basis seiner Partei denken jedoch manche daran, dass es möglich sein könnte, die Linken politisch wieder einzubinden. Frau Merkel sieht keine Alternative zur großen Koalition, auch wenn sie einer Koalition mit der FDP den Vorzug geben würde.

In diesem politischen Umfeld ist kaum noch Reformpolitik zu betreiben. Am Beispiel der Pflegeversicherung zeigt sich dies. Da setzt man auf Populäres, baut Leistungen aus, schichtet Leistungen um und verschafft sich durch eine simple Beitragserhöhung finanziell Luft. So halten SPD und Union ihre unterschiedlichen Reform- und Koalitionsoptionen für die Zukunft offen. Für die langfristige Absicherung der Pflegeversicherung wird nichts gewonnen. Im Gegenteil.

Demenzkranke sollen bessere Pflegeleistungen erhalten. Dieser Schritt war überfällig. Die Politik hatte dieses Problem bei der Einführung der Pflegeversicherung vor zwölf Jahren bewusst beiseite geschoben, um die Illusion zu stützen, die Pflegeversicherung mit einem Beitrag von 1,7 Prozent langfristig finanzieren zu können. Dieser muss jetzt auf 1,95 Prozent angehoben werden; Kinderlose haben wie bisher 0,25 Prozent mehr zu zahlen. Dafür soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozent gesenkt werden, was Erwerbstätige und Arbeitgeber entlastet.

Die Koalition setzt also auf Zeitgewinn. Die SPD bleibt beim Konzept der Bürgerversicherung und fordert den finanziellen Ausgleich zwischen Privat- und Sozialversicherung. Dies lehnt die Union strikt ab. Auch sind ein Modell mit pauschalen Prämien und der Aufbau einer Kapitalrücklage, die das System demografiefester machen könnte, gegen die SPD vorerst nicht durchzusetzen. Das ist zu bedauern.

Ökonomen befürworten, die heutige Pflegeversicherung mit einkommensbezogenen Beiträgen durch ein kapitalgedecktes System zu ersetzen, dessen Prämien sich am versicherten Risiko orientieren. Das heutige System lässt sich wohl modifizieren und ergänzen, aber nicht total umstellen. So könnte älteren Bürgern, die nun seit zwölf Jahren einkommensbezogene Beiträge entrichten, nicht zugemutet werden, künftig risikoadäquate Beiträge zu zahlen. Ihre Belastung würde sich vervielfachen. Das verstieße massiv gegen den Vertrauensschutz, zumal die Kosten der Pflege durch die Versicherungsleistungen bei Weitem nicht gedeckt werden.

Die Pflegeversicherung deckt heute Teilrisiken ab. Auf weite Sicht wird sie nur noch Grundbeträge bieten können. Dabei wäre an die Ausgabe von Gutscheinen zu denken, deren Beträge sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit richten. Wer im Risikofall mehr will, muss sich zusätzlich absichern. Nur eine ergänzende individuelle und kapitalgestützte Vorsorge bietet verlässlich Schutz.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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