Finger weg von den Rosinen
Die Version zum Versicherungsvertragsrecht, die der Bundestag jetzt abgenickt hat, soll zum Jahreswechsel ein 99 Jahre altes Gesetz ablösen. Und obwohl der Entwurf für das neue „Versicherungsvertragsgesetz“ (VVG) als modern und transparent überwiegend gelobt wurde, hagelte es im Vorfeld harsche Kritik besonders zu Änderungswünsche seitens der PKV. Die hätten das Standing der Versicherungsnehmer deutlich verschlechtert, monierte zum Beispiel der Bundesverband der Versicherten (BdV). Dessen Geschäftsführerin Lilo Blunck postulierte gegenüber den zm: „Da hat der Gesetzgeber den Versicherungsnehmer aus den Augen verloren, die Dinge zu sehr aus dem Blickwinkel der Versicherer gesehen.“ Schon frühzeitig, im Sommer 2006, warnten auch BZÄK und KZBV mit einer gemeinsamen Resolution die Entscheidungsträger vor den geplanten Änderungen. Die „Stärkung des Verbraucherschutzes“ hatte das Bundesjustizministerium sich für die Novellierung des VVG vorgenommen – und etwa bei Lebensversicherungen umgesetzt. Doch „im Schatten dieser Regelungen versucht die PKV, Änderungen im Bereich der privaten Krankenversicherung zu lancieren, die dem Gesetzesauftrag nach mehr Verbraucherschutz diametral entgegenstehen“, kritisierte die BZÄK.
Die Fehlentwicklung kam nicht von ungefähr. Das Gesetzeswerk geht zurück auf den Abschlussbericht aus dem Jahre 2004 – erstellt von einer fast ausschließlich mit Vertretern der Assekuranz besetzten Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts. Fachleute also. Aber frei von Eigeninteressen? Zwar hatte sich die PKV bei dem Wettbewerbsstärkungsgesetz lautstark gegen jegliche Annäherung an die GKV-Bedingungen gewehrt. Aber die Kommission versuchte unter der Überschrift eines „verbraucherfreundlichen und modernen Versicherungsrechts“ das für die GKV prägende Element „Wirtschaftlichkeitsgebot“ in der PKV zu verankern. Dieser Forderung entsprechend sah der VVG-Entwurf zunächst vor, dass die Assekuranz bereits bei einem „unangemessenen Verhältnis“ zwischen Kosten und Leistung des Arztes Zahlungen verweigern dürfe. Eine gefährlich dehnbare Formulierung, die sogar die verbraucherfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aushebeln könnte, befürchteten BZÄK und KZBV. Und brachten ihre Forderungen nach Korrekturen der andernfalls unbegrenzten Definitionsmacht auf PKV-Seite frühzeitig ein.
Auf ein gesundes Maß begrenzt
Die energische Intervention der Standesvertreter fruchtete. Im Oktober 2006 beschloss das Bundeskabinett einen überarbeiteten Regierungsentwurf des VVG, in dem die vorgesehene Regelung zum Wirtschaftlichkeitsgebot wieder auf ein gesundes Maß begrenzt werden konnte: Der PKV wurde in § 192 Abs. 2 ein Leistungsverweigerungsrecht bei „auffälligem Missverhältnis“ zugestanden. Diese Formulierung, wonach der Versicherer nur solche Aufwendungen zu erstatten hat, die nicht in einem „auffälligen Missverhältnis“ zur erbrachten Leistung stehen, hatte sich bewährt. Sie entspricht dem Wucherverbot in § 138 Abs. 2 BGB, das Rechtsgeschäfte als nichtig erklärt, wenn sie in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen.
Doch die PKV pochte weiterhin auf das Recht zur Zahlungsverweigerung bereits bei einem „unangemessenen Verhältnis“. „Wer bestimmt denn hier, was ,angemessen‘ ist?“, kritisierte Blunck vom BdV diese krasse Schmälerung der Verbraucherposition. Zahnarzt und Bundestagsmitglied Dr. Rolf Koschorrek konstatierte: „Es besteht Anlass zu der Sorge, dass die vorgesehenen Bestimmungen zu Einschränkungen der Patientenrechte und der ärztlichen Therapieentscheidung führen.“
Die Parlamentarier zeigten sich in nachfolgenden Gesprächen mit BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp ausdrücklich offen für dessen Bedenken und die aufgezeigten Gefahren für die Versicherten. Die BZÄK erreichte auch mit Unterstützung der Landeskammern, dass der Gesetzentwurf doch mit der Formulierung „auffälliges Missverhältnis“ den Bundesrat passierte; das „unangemessene Verhältnis“ wurde gekippt. Hier wurden schlimme Fehler verhindert.
Das Gesetz weist jedoch weiterhin eine Reihe von Mängeln auf, die rechtssystematisch höchst bedenklich sind, kritisiert die BZÄK. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die PKV ihren Versicherten „zusätzliche Dienstleistungen“ anbieten kann, also in die unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient eindringt (§ 192, Abs. 3). Sprich: Sie will zum Beispiel durch Abtretungserklärungen der Patienten als „deren“ Dienstleister direkt mit dem Behandler über dessen Honorare verhandeln. Diese Kompetenzerweiterung würde ihr erlauben, massiv in das freie Arzt-Patienten-Verhältnis einzugreifen. Eine Reihe der Serviceleistungen werden schon heute von Krankenversicherern erbracht. Sie bedeuten gleichwohl eine völlige Abkehr von der bisherigen Trennung zwischen Behandlungsvertrag (Patient/ Arzt) und Versicherungsvertrag (Versicherter Patient/Versicherung). Damit erlaubte das Gesetz der PKV, in das Verhältnis zwischen Zahnarzt und Patient einzugreifen. Zwecks Kostensteuerung. Das gefährdet Patientenrechte, betonte MdB Koschorrek: „Es muss sichergestellt sein, dass dem Versicherten mit Abschluss des Versicherungsvertrages bekannt ist, mit welchen Erstattungen er bei einzelnen Leistungen rechnen kann.“ BÄK-Präsident Prof. Jörg- Dietrich Hoppe befürchtete: „Patienten sind im ungünstigsten Fall dem jeweiligen Sachbearbeiter der Leistungsabteilung seiner privaten Krankenversicherung ausgeliefert.“ Blunck vom BdV bestätigte die Kritik von BZÄK und KZBV: „Ein Gesetz muss so gefasst sein, dass ich als Versicherungsnehmer sicher sein kann, dass bezahlt wird, was für mich richtig und gut ist – auch wenn es teurer ist.“ Außerdem soll – ebenfalls auf Verlangen der PKV – das Sachleistungsprinzip aufgenommen werden. Statt eine Dienstleistung zu bekommen, wird der Versicherte entmündigt und Transparenz beseitigt, warnt die BZÄK; letztlich ziele § 192 Abs. 3 darauf ab, „Segnungen“ der GKV in der PKV zu etablieren; die mit § 192 Abs. 3 Ziffer 5 mögliche Sachleistung sei dafür ein beredtes Zeugnis. Die BZÄK appelliert an jeden einzelnen Zahnarzt, „bei der möglichen ,unmittelbaren Abrechnung’ immer den Patienten mit einzubeziehen“ und auf diesem Wege die dem Sachleistungsprinzip so fremde Transparenz zu erhalten. Weitkamp zieht das Fazit: „Letztlich liegt auch an dieser Stelle wieder einmal das Schicksal in unseren eigenen Händen.“