Gastkommentar

Zweite Halbzeit

Vor den Wahlen soll die Regierung Erfolge nachweisen. Andererseits wollen die Volksparteien ihr Profil schärfen. Die Gesundheitsreform sorgt für weiteren Ärger und ist kein Wahlschlager. Die Parteien suchen neue Partner, doch könnte der Wähler eine Fortsetzung der ungeliebten Koalition erzwingen.
Martin Eberspächer
Leiter der Redaktion Wirtschaft und Soziales, Bayerischer Rundfunk

Kein Wahlkampf ohne Gesundheitspolitik. Das Thema spricht die Bürger emotional an. Weil jeder sechste Amerikaner nicht versichert ist, fordern die Demokraten einen Schutz für alle. Damit war Bill Clinton in seiner ersten Amtszeit gescheitert. Ehefrau Hillary versucht es mit einem neuen Anlauf. Was in den USA stark polarisiert, ist in Deutschland dieses Jahr Gesetz geworden. Die Versicherungspflicht für alle ist hierzulande kein heißes Thema, weil sie nur einen kleinen Kreis betrifft. Eher werden die Volksparteien ihre gegensätzlichen Positionen aus dem letzten Wahlkampf wieder ausgraben. Über die Alternative „Bürgerversicherung“ oder „Pauschalbeitrag“ hat die große Koalition nicht entschieden. Anfang 2008 sind in Hessen, Niedersachsen und Hamburg Wahlen angesetzt.

Die Pläne für eine Minimalreform der Pflegeversicherung zeigen, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten schwindet und nur noch das Notwendigste vorangebracht wird. Im Herbst 2008, ein Jahr vor der Bundestagswahl, will die Regierung den einheitlichen Beitragssatz festlegen, der 2009 für den Gesundheitsfonds gelten soll. Die Einnahmen der Kassen steigen trotz guter Konjunktur nur in bescheidenem Umfang. Der Einheitssatz wird nahe bei 15 Prozent liegen. Ärgern werden sich alle, die mehr bezahlen müssen. Obwohl das Geld vor allem zu AOK und großen Ersatzkassen fließt, sind deren Mitglieder nicht zum Dank verpflichtet. Reicht der Anteil am Fonds nicht aus, wird ein Zusatzbeitrag fällig. Junge und Gesunde könnten deshalb die Kasse wechseln. Sozial Schwache werden als Härtefall vom Zusatzbeitrag befreit. Deshalb fürchten manche Kassen die Insolvenz. Eine Marktbereinigung durch Fusionen ist langfristig sinnvoll. Bevor es dazu kommt, werden die Funktionäre den Pleitegeier beschwören und mit der Angst der Mitglieder spielen. Miteinander das Erreichte loben – oder im Gegeneinander das Profil schärfen ? In diesem Spagat steht jeder Abgeordnete von Union und SPD in der zweiten Halbzeit. Zwei Jahre Stillstand in der Politik – das wäre unverantwortlich und würde bei den Wählern Verdruss erzeugen. Andererseits werden neue Mehrheiten gesucht. Die SPD fürchtet die Wählerwanderung zur Linken. Für eine Neuauflage von Rot- Grün wird es nicht reichen. Die Union kann sich auf eine Mehrheit mit der FDP nicht verlassen. Ein Dreier-Bündnis wäre auch keine flotte Lösung.

Was die große Koalition als Erfolg bilanziert, sehen viele Wähler kritisch.

• Die Gesundheitsreform bringt keine Plus- Punkte.• Die Sanierung öffentlicher Haushalte hat der Bürger teuer bezahlt durch höhere Mehrwertsteuer, stagnierende Einkommen und schrumpfende Renten.• Gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt sind in erster Linie Unternehmern und ihren fleißigen Mitarbeitern zu danken, die ihre Position im Wettbewerb gestärkt haben.

Der Beitragssatz der Bundesagentur für Arbeit könnte stark reduziert werden. Damit die Sozialbeiträge insgesamt unter vierzig Prozent sinken. Das haben die Regierungen von Helmut Kohl und Gerhard Schröder angekündigt, aber nicht umgesetzt. Wenn Angela Merkel das Versprechen im dritten Anlauf einlösen kann, wird die Politik Vertrauen gewinnen. Doch sind die Widerstände enorm. Statt den Bürgern Geld zurückzugeben soll es für Wahlgeschenke verbraten werden. Der Finanzminister will Überschüsse aus Nürnberg in den Haushalt verschieben. Peer Steinbrück sieht die Sozialversicherung als „Teil des gesamtstaatlichen Haushalts“, den zu sanieren er angetreten ist. Nach dieser Logik sind Zwangsbeiträge der Sozialversicherung beliebig für alle Zwecke disponierbar.

In Zeiten der Globalisierung greift der Fiskus rücksichtslos auf Bürger zu, die sich nicht in Steueroasen absetzen können. Kein Wunder, dass Wähler dies als hart und ungerecht empfinden. Wenn vom Ärger und Protest bei der Bundestagswahl 2009 die kleinen Parteien in der Opposition profitieren, endet die zweite Halbzeit womöglich mit einem Eigentor. Dann bliebe die Fortsetzung einer nicht wirklich „großen“ Koalition ohne Reformperspektive.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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