Raumgestaltung mit Konzept

Ganz in Farbe

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Rot, gelb, grün? Welche Farben eignen sich für den Platz, den die Patienten während der Behandlung vor Augen haben? Die Fachhochschule Hildesheim ist der Frage nachgegangen und hat vier verschiedene Vorschläge für unterschiedliche Praxistypen entwickelt. Grundlage des Konzepts sind nicht etwa die individuellen Vorlieben des jeweiligen Praxisinhabers, sondern kollektiv gültige Wahrnehmungsmuster.

Bis vor wenigen Jahren mussten sich Zahnärzte über die Gestaltung ihrer Praxis nur wenige Gedanken machen. Viele Patienten waren an kaltes Neonlicht, kahle Wände oder vergilbte Kunstdrucke im Wartezimmer gewöhnt. Das hat sich inzwischen deutlich verändert. Längst betreten die meisten Menschen eine Zahnarztpraxis mit der bewussten oder unbewussten Erwartung, eine positive „Wohlfühl-Atmosphäre“ vorzufinden. Die soll ihnen ihre Angst oder Aufregung vor der Behandlung nehmen – mit schönen Möbeln in angenehmem Licht und vor allem durch eine harmonische Farbgestaltung. Denn Farben wirken unmittelbar auf unser Unterbewusstsein. Und sind daher ein wirksames, einprägsames und zugleich kostengünstiges Marketinginstrument.

Zehn Sekunden, die zählen

Ausschlaggebend für das subjektive Empfinden ist vor allem der erste Augenblick! Denn Innerhalb der ersten zehn Sekunden entscheiden die Patienten – bewusst oder unbewusst –, ob sie sich vor Ort wohl fühlen und dem Zahnarzt und seinem Team vertrauen. Und damit auch, ob sie noch einmal wiederkommen oder beim nächsten Mal vielleicht eine andere Praxis aufsuchen. Warum auch zwischen zwei Behandlungsschritten in einem muffigen und farblosen Wartezimmer sitzen, wenn ein anderer Zahnarzt „nebenan“ bei gleicher medizinischer Leistung seinen Patienten eine Wohlfühl-Atmosphäre bietet?

Vor diesem Hintergrund wäre es wenig sinnvoll, wenn der Zahnarzt sich ausschließlich auf seine fachliche Kompetenz zurückzöge, statt die veränderten Ansprüche als Chance begreifen. Denn nicht nur die Patienten wissen ein angenehm gestaltetes Praxis-Ambiente zu schätzen – eine durchdachte Raumgestaltung beeinflusst auch den Zahnarzt selbst und sein Mitarbeiterteam positiv. Schließlich verbringen sie rund ein Drittel ihrer Zeit am Arbeitsort. Und in angenehmer Umgebung fühlen sich Menschen deutlich besser, arbeiten effektiver und mit mehr Begeisterung und sie werden seltener krank. Gleichzeitig bietet eine durchdachte Farbgestaltung Möglichkeiten, die eigene Persönlichkeit sowie die Praxisphilosophie auf nonverbale Weise zu transportieren.

Wenn Biochemie und Biophysik die Psyche reizen

Dass der erste optische Eindruck – und dabei vor allem die Farbwahrnehmung – so entscheidend für unser Wohlbefinden sind, kommt nicht von ungefähr. Im Verlauf der menschlichen Evolutionsgeschichte wurde das Sehen neben den anderen Wahrnehmungsformen Hören, Riechen, Schmecken, Greifen und Fühlen immer wichtiger. Heute erfährt der Mensch einen Großteil seiner empfindungsrelevanten Informationen über die Augen. Das Wahrnehmen von Farben – das eigentlich ein Wahrnehmen unterschiedlicher elektrischer Lichtwellen ist, die vom betrachteten Objekt reflektiert werden –, gehört dabei zu den unmittelbarsten Eindrücken, die wir von einem Objekt oder einer Umgebung aufnehmen. Wenn Licht einer bestimmten Wellenlänge auf die Netzhaut trifft und dort über Rezeptoren als Signal ans Gehirn weitergeleitet wird, dann hat das neben der einfachen Sinnesempfindung und Farbinformation immer auch emotionale Auswirkungen. Über diesen Mechanismus greifen Farben direkt in biochemische und biophysikalische Prozesse unseres Körpers ein und beeinflussen unsere Organfunktionen genauso wie unsere Psyche.

Colour follows function

Auch die Zahnärzte können dieses Wissen über die Wirkung und die Bedeutung von Farben ganz gezielt nutzen, um durch eine angenehme Praxisgestaltung das Wohlbefinden und Vertrauen der Patienten zu steigern. Vor einer Um- oder Neugestaltung sollte jedoch bedacht werden, dass die Farbwahrnehmung zwar bei Menschen des selben Kulturkreises viele Gemeinsamkeiten, aber auch individuelle Unterschiede aufweist. Was der Zahnarzt oder ein Teil der Patienten als angenehm erlebt, kann bei anderen durchaus auch negative Gefühle auslösen. Denn welche Farbkompositionen wir in unserer Umgebung als wohltuend empfinden, hängt außer vom jeweiligen kulturellen Umfeld immer auch von unserer individuellen Prägung, von unserem Alter, aktuellen Moden und von unserer aktuellen Situation und Stimmung ab.

Um trotz dieser großen individuellen Unterschiede ein überzeugendes Gestaltungsergebnis zu erzielen, sollte sich der Zahnarzt bei der Umgestaltung seiner Praxis vorab über die Wirkungen und das Zusammenspiel der beabsichtigten Farben informieren, denn das vermeidet grobe gestalterische Fehler bei der Umsetzung (siehe zm-Info). Für eine besonders hochwertige Farbgestaltung empfiehlt es sich außerdem, einen Farbberater, einen Innenarchitekten oder andere Spezialisten hinzuzuziehen.

Grundlage der zu treffenden Gestaltungsentscheidungen ist in jedem Fall die Funktion der jeweiligen Räume. Denn was für den Wartebereich richtig ist, kann im Behandlungszimmer unter Umständen störend wirken. Schon im Vorfeld sollte daher sorgfältig überlegt werden, welche Atmosphäre in welchem Bereich geschaffen werden soll. Erst wenn die Farben auf das gewünschte Ambiente und die vorhandenen Möbel abgestimmt sind, kann der Zahnarzt mit der konkreten Planung und der praktischen Umsetzung der innenarchitektonischen Neuausrichtung der Praxisräumlichkeiten beginnen.

Der Empfangsbereich sollte dabei ganz bewusst als Visitenkarte der Praxis gestaltet werden. Um den Patienten hier willkommen zu heißen, bieten sich freundliche Töne an. Im Wartebereich gilt es dagegen, mit beruhigenden oder erdigen Tönen eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, die dazu geeignet ist, die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Und im Behandlungsbereich sollten zurückhaltende Farben mit einigen Akzenten eingesetzt werden, die den Patienten von der Behandlung ablenken und gleichzeitig Ermüdungserscheinungen der Mitarbeiter vorbeugen.

Wissenschaft im Farbgemenge

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Vorgaben hat der Praxisinhaber einen großen Entscheidungsspielraum bei der Wahl der eingesetzten Farben. Eine wissenschaftlich fundierte Vorgehensweise verspricht dabei das „Health&Care-Konzept“ der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Fakultät Gestaltung, Hildesheim. Das unter Leitung des Farb-, Trend- und Ästhetikberaters Prof. Dr. Axel Venn entwickelte Projekt setzt wahrnehmungspsychologische Erkenntnisse in die Praxis um und bietet so eine interessante Lösung für Zahnärzte, die sich nicht auf Intuition und subjektiven Geschmack verlassen wollen.

Ganz bewusst versteht sich das Konzept nicht als Trendanalyse, sondern als allgemein gültiges Funktionsmodell, das langfristig von möglichst vielen Menschen akzeptiert wird. Es basiert daher nicht auf subjektiven oder aktuellen Vorlieben, sondern ausschließlich auf wissenschaftlichempirischen Ergebnissen sowie ästhetischharmonischen Grundsätzen.

Ausgangspunkt bei der Entwicklung des Konzepts war der Kontakt von Axel Venn mit der Bochumer Zahnärztin Dr. Gabriele Marwinski, die nach einem überzeugenden Farbkonzept für ihre Praxis suchte. „Nach mehreren gemeinsamen Gesprächen kam schließlich der Kontakt zu der ehemaligen Studentin Ilka Brüderle zustande, die im Rahmen ihrer Diplomarbeit hier in meinen Räumlichkeiten unterschiedliche Farbtests in Aquarell-Wischtechnik durchgeführt hat“, schildert Marwinski rückblickend die Verwandlung ihrer Praxis: „Ganz wichtig war uns dabei, die jeweilige Farbgebung von Anfang an gemeinsam mit den Patienten zu besprechen, um so sehr bewusst den Patienten mit seinen Ängsten und Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen.“ Nach und nach entstand in der Bochumer Praxis eine vielschichtige Gestaltung, die schließlich als eine Art Pilotprojekt für das Health&Care-Konzept diente.

Die vier Modelle

Das Modell geht aus von der eingehenden Analyse verschiedener Praxistypen und ihrer Funktionen. Darauf aufbauend entwickelten Axel Venn und seine Studenten schließlich vier unterschiedliche Modelle für das ganzheitliche Gestalten unterschiedlicher Praxisausrichtungen:

• Die „Angst- und Stressfrei-Praxis“ soll Freundlichkeit, Ruhe und Konzentration ausstrahlen.

• In der „Wohlfühl-Praxis“ werden Patienten mit Sympathie empfangen. Die Räume vermitteln Leichtigkeit und Geborgenheit.

• In der „Präventiv-Praxis“ sollen Krankheiten verhindert werden, die Umgebung ist dementsprechend entspannt und funktional ausgerichtet.

• In der „Regenerativ-Praxis“ liegt der Fokus auf Erholung und Konzentration.

Die vier Gestaltungsmodelle orientieren sich an den differenzierten Praxismodellen und deren Leistungsangeboten. Das Konzept ist modular angelegt und ohne Weiteres übertragbar auf andere Institutionen des Gesundheitswesens. Für Zahnarztpraxen kommen von den vier unterschiedlichen Konzepten in erster Linie die beiden erstgenannten Modelle für die Angst- und Stressfrei-Praxis sowie für die Wohlfühl-Praxis in Frage.

Ängste dürfen draußen bleiben

Marwinskis Praxis wurde nach den Grundsätzen des Modells als „Angst- und Stressfrei-Praxis“ gestaltet. Die Räumlichkeiten der Zahnärztin befinden sich in einem klassischen Arbeiterstadtteil. Nachdem die Patienten anfangs noch ausblieben, entwickelte die Zahnärztin durch gezielte Weiterbildung im Bereich Marketing nach und nach ihr heutiges Praxiskonzept, konsequent auf Service-Orientierung und Angst-Management ausgerichtet. Ein wichtiger Baustein, um ihre Vision einer angstfreien Praxis räumlich erlebbar zu machen, ist die Gestaltung der Behandlungsräume mit systematisch aufeinander abgestimmten Farben. In der Praxis herrschen deshalb Farbtöne wie Mittelblau, Azur, Beige, Ocker und Orange vor, die ganz gezielt eine angenehme ganzheitliche Raumgestaltung mit freundlichem, ruhigem aber auch konzentriertem Charakter schaffen.

Bestimmend für den Gesamteindruck sind verschiedene Gegensätze wie hell und dunkel, kalt und warm oder getrübt und klar, die sich in der Praxis zu einem ausgewogenen und harmonisch ausbalancierten Gesamteindruck zusammenfügen. „Ganz wichtig dabei ist, dass die Gestaltung nicht nur auf Beruhigung hin ausgerichtet ist“, so die Zahnärztin. „Stattdessen haben wir ganz bewusst auch bewegte Elemente eingesetzt, die gleichzeitig sowohl Ablenkung als auch Konzentration schaffen sollen. Die teilweise angewendete Aquarell-Wischtechnik sorgt ebenfalls dafür, dass Assoziationen frei fließen können.“

Eintreten und entspannen erlaubt

Einen ganz anderen Charakter zeigt die Praxis von Helmut Lerach und Dr. Beate Lerach aus Ulm, die nach dem Konzept der „Wohlfühl-Praxis“ gestaltet wurde. Lediglich in der Prophylaxeabteilung wurde abweichend das Konzept für die Angst- und Stressfrei-Praxis eingesetzt. „Als wir Mitte 2005 unsere Praxis nach einem Brand neu einrichten mussten, schwebte uns eine angenehme und angstfreie Atmosphäre vor“, berichtet Helmut Lerach rückblickend. Nach intensiven Recherchen über die diversen Möglichkeiten, entschied sich das Zahnarztehepaar für das entsprechende Konzept von Axel Venn.

Das Modell für die „Wohlfühl-Praxis“ basiert auf der wahrnehmungspsychologischen Erkenntnis, dass die Menschen durch bekannte und wiederholte Farben und Formen deutlich leichter Vertrauen aufbauen als durch unerwartete oder kontrastreiche Eindrücke. Um eine helle, freundliche, leichte und Geborgenheit vermittelnde Atmosphäre zu schaffen, entwickelten die Planer in der Ulmer Praxis daher ganz gezielt eine Art Landhausstil-Ambiente mit warmtonig-sonnigen aber auch teilweise erdigen und natürlichen Farbtönen wie Gelb, Orange, Terrakotta sowie gebrochenen, warmen Weiß-Tönen. Im Prophylaxebereich wurden dagegen vorwiegend helle Grüntöne eingesetzt. Ausgangspunkt war auch hier die Absicht, eine Gestaltung zu entwickeln, die einen Querschnitt altersund geschlechtsspezifischer Gemütlichkeitsmerkmale abbildet. Der eigene subjektive Geschmack der beiden Praxisinhaber war dabei eher zweitrangig. Stattdessen sollten möglichst viele Patienten positiv angesprochen werden. Das Resultat gibt den Lerachs Recht: Nach Eröffnung ihrer neu gestalteten Praxis zählen sie bei sonst gleichbleibenden Rahmenbedingungen rund zehn Prozent mehr Patienten. Ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.

Robert UhdeGrendierweg 3926129 Oldenburg

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