Falsche Hoffnungen
Dank der bilateralen Verträge sind Zahnärzte aus den 15 alten EU-Staaten und den EFTA-Ländern seit Mitte 2004 ihren Schweizer Kollegen gleichgestellt. Die vermeintlich guten Verdienstmöglichkeiten und vorteilhaften Arbeitsbedingungen üben eine starke Anziehungskraft aus, wie die Statistik des Bundesamtes für Gesundheit zeigt. 1 389 Zahnärzte haben seit 2002 ihr an einer Universität im Ausland erworbenes Diplom anerkennen lassen und könnten damit in der Schweiz eine Praxistätigkeit aufnehmen. Ob sie das allerdings getan haben, geht aus der Statistik nicht hervor. Vor allem die Region Zürich ist für die Zuzügler offenbar attraktiv. Seit Juli 2004 hat die Gesundheitsdirektion des Kantons rund 70 Praxisbewilligungen an deutsche Zahnärzte erteilt – im selben Zeitraum wollten 45 Schweizer eine Praxis eröffnen. Doch längst nicht alle der Zugewanderten haben das erhoffte Eldorado gefunden, wie der Zürcher Kantonszahnarzt Werner Fischer sagt: „Ein Viertel der von Deutschen neu eröffneten Praxen hat nach kurzer Zeit bereits wieder geschlossen oder wurde entgegen gemachten Ankündigungen gar nie eröffnet.“
Gesättigter Markt
Bei einem weiteren Viertel weiß Fischer nicht, ob und in welcher Form die ausländischen Zahnärzte noch in der Schweiz tätig sind, da sie inzwischen bereits die Praxis gewechselt haben. Beat Wäckerle, Präsident der Zürcher Zahnärztegesellschaft, weiß von einer Praxis in einer Vorortgemeinde der Stadt Zürich, die in den letzten anderthalb Jahren viermal verkauft worden ist. Exakte Zahlen hat auch Wäckerle nicht, „doch man schätzt, dass ein Drittel der ausländischen Zahnärzte aufgegeben hat, ein Drittel in finanziellen Schwierigkeiten steckt und ein Drittel sich in der Schweiz etabliert hat“. Die hohe Misserfolgsquote ist gemäß Wäckerle darauf zurückzuführen, dass sich die Konkurrenten aus Deutschland, wo jedes Jahr 1700 frisch ausgebildete Zahnärzte die Uni verlassen, falsche Vorstellungen gemacht haben: „Sie waren sich nicht bewusst, dass sie im Raum Zürich in einem bereits gesättigten Markt tätig werden.“ Die Illusion, das schweizerische Preisniveau unterbieten zu können, hätten sie bald aufgeben müssen. „Löhne, Mieten, technische Geräte und Materialien sind in der Schweiz viel teurer, so dass man hier nicht zu deutschen Produktionskosten arbeiten kann“, sagt Wäckerle.
Sein Kollege Martin Wüest von der Basler Zahnärztegesellschaft macht zudem Mentalitätsunterschiede aus: „In der Region Basel hätten sich die Patienten schon vorher jenseits der Grenze behandeln lassen können, haben dies aber kaum gemacht.“ Trotzdem würden gegenwärtig überdurchschnittlich viele deutsche Zahnärzte Praxen in der Stadt Basel und in den Vororten eröffnen und dabei teilweise „extrem aggressiv“ auftreten. Wüest vermutet, dass sich damit die Entwicklung, wie sie in Zürich stattgefunden hat, am Rheinknie wiederholt. „Auch hier wird sich das Problem relativ schnell entschärfen, wenn die deutschen Kollegen merken, dass in der Schweiz nicht Milch und Honig fließen“, sagt Wüest.
Erfolg in Zentren
Erfolgreicher als in Einzelpraxen praktizieren ausländische Zahnärzte, wenn sie in den Zentren tätig sind, von denen immer mehr eröffnet werden. Bei der Firma Zahnarzt-Zentrum Praxisnetz, die Gemeinschaftspraxen in Zürich, Winterthur, St. Gallen und Baden betreibt, arbeiten 28 Zahnärztinnen und Zahnärzte. Davon haben 15 ihr Studium an einer deutschen Uni absolviert, vier in Schweden und vier in der Schweiz. Diese Zentren funktionieren nach dem Belegarztsystem. Jeder Zahnarzt arbeitet selbständig und auf eigene Verantwortung. Für die Benutzung der Infrastruktur entrichtet er eine Gebühr an den Betreiber, die vom Umsatz abhängig ist. Dank dieses Konzeptes liegen die Preise „jeweils knapp unter dem Durchschnitt der Städte, in denen sich unsere Zentren befinden“, heißt es auf der Homepage von Praxisnetz. Einen generellen Preiszerfall aufgrund der ausländischen Konkurrenz hat Kantonszahnarzt Werner Fischer jedoch nicht festgestellt.
Erich AschwandenSteinbrüchelstraße 22CH-8053 Zürich
Nachdruck eines Artikels der NZZ am Sonntag vom 5. November 2006