Soforthilfe für suchtkranke Ärzte
Suchtkranke Ärztinnen und Ärzte standen vor Jahren noch vor großen, fast unüberwindbaren Hürden, wenn sich die Frage stellte, was sie gegen ihre Abhängigkeit tun könnten, ohne ihre Approbation oder den Arbeitsplatz zu gefährden. Die Folge: Man schwieg das Problem tot. Heute droht zwar noch immer der Entzug der Approbation, aber bei Therapiewilligkeit und kooperativem Verhalten ergeben sich mit der Ärztekammer und der Gesundheitsbehörde Chancen für einen Ausstieg aus der Sucht.
Hoher Erwartungsdruck
Ärzte gelten als besonders suchtgefährdet. Sie unterliegen bei ihrer Tätigkeit einem hohem Erwartungsdruck in hierarchischen Strukturen, haben ungeregelte und zu lange Arbeitszeiten sowie lange Aus- und Weiterbildungszeiten. Aber auch die Konfrontation mit Patientenschicksalen im Berufsalltag bringt einen hohen emotionalen Druck. Darüber hinaus kann die pharmakologische Praxis als Katalysator süchtigen Verhaltens wirken. Medikamenteneinsatz und Verfügbarkeit im beruflichen Alltag wirken synergetisch und das vermeintlich genaue Wissen des Arztes um die Risiken führt oft zur Fehleinschätzung beim „Selbstversuch“ beziehungsweise „-gebrauch“.
Es wird lange taktvoll weggeschaut
Bevor nun das Sucht- und Interventionsprogramm der Ärztekammer erkrankten Kolleginnen und Kollegen überhaupt helfen kann, muss die Sucht erkannt werden. Ein Weg mit Hindernissen, denn ein Arzt hat ein im Grunde unverwundbarer Helfer zu sein, der selbst nicht krank wird. So glaubt er auch, sich selbst gut unter Kontrolle zu haben. Die Substanzwirkung selbst tut dabei ihr Übriges, um diese Tendenz zur Einschränkung des Kritikvermögens noch zu vertiefen. So steht das hohe Arztideal in narzisstisch kränkendem Kontrast zur realen ärztlichen Persönlichkeit, die erschöpfbar bleibt und für den bislang selbstlos Helfenden eine Hilfe für sein Selbst erforderlich macht.
Hinzu kommt die Verdrängung, die in der Umgebung stattfindet. Wir treffen häufig auf eine weitgehende, dabei falsch verstandene Kollegialität von ärztlichen und auch nicht ärztlichen Mitarbeitern.
Auch Familienmitglieder und Freunde üben oft Toleranz. Das häufig ratlose Hinwegsehen über die schwache und zunehmend krankhafte Stelle führt zu Koabhängigkeit und für den Betroffenen zur Chronifizierung seiner Erkrankung.
Obwohl also viele Gründe gegen eine Behandlung der Sucht sprechen, kommt es doch regelmäßig vor, dass die Ärztekammer über den Verdacht auf eine bestehende Abhängigkeit informiert wird. Oft sind es Angehörige, Kollegen oder Patienten, die den Verdacht melden.
Oft desolater Zustand
Als erster Schritt findet ein Gespräch mit dem betroffenen Arzt unmittelbar nach der Information statt. Oft ist dieser in einem desolaten, teilweise intoxikierten Zustand.
Häufig gibt es heftige Abwehr- und Verleugnungsreaktionen. Trotz der anfänglichen Aggression gelingt es meist, die Ziele und Inhalte des auf Hilfe und Unterstützung gerichteten Programms zu verdeutlichen. Dabei wird ein konstruktiv nutzbarer Kooperations- und Handlungsspielraum für die Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung geschaffen. Besteht trotz klarer Abhängigkeit keine Compliance, wird dem Kammermitglied mitgeteilt, dass die Abgabe der Unterlagen an die Aufsichtsbehörde erfolgt. In Zweifelsfällen wird eine Untersuchung durch einen suchtmedizinisch erfahrenen Arzt durchgeführt, gegebenenfalls mit einer Therapieempfehlung. In der Regel schließt sich eine stationäre Entgiftungsund Entwöhnungsbehandlung in einer Suchtklinik für die Dauer von meist sechs bis acht Wochen an. Häufige Probleme dort sind die Akzeptanz der Patientenrolle, eine Krankheitseinsicht mit ausreichender emotionaler Akzeptanz und das Rückfallmanagement. Um die Therapie in der Suchtklinik zu ermöglichen, ist die Ärztekammer bei der Auswahl einer geeigneten Einrichtung, der Organisation einer Praxisvertretung und auch bei der Klärung der Kostenübernahme behilflich.
Unterstützung auch nach dem Entzug
Nach der Entlassung beginnt das Nachsorgeprogramm der Ärztekammer vor Ort auf dem Boden einer „freiwilligen Vereinbarung“, die im Regelfall fünf Punkte enthält und für die Dauer von zunächst einem Jahr gilt:
• Durchführung einer gutachterlichen Untersuchung möglichst in der Entwöhnungseinrichtung unter Einschluss des psychopathologischen Befundes und objektiver Laborparameter
• Wöchentliche Psychotherapie, über die die Ärztekammer nur in Bezug auf die Teilnahme informiert wird
• Regelmäßiger Besuch von (AA)-Selbsthilfegruppen
• Monatliche Vorstellung in der Ärztekammer zur Besprechung der Situation und der Ergebnisse
• Unregelmäßige, von der Ärztekammer initiierte Abstinenzkontrollen (Blutund/oder Urinscreening).
Schon der erste Schritt gilt als Erfolg
Die Ärztekammer Hamburg stuft schon die Teilnahme an einer strukturierten Behandlung als Erfolg ein. Ziel ist es, den Betroffenen an eine therapeutische Chance heranzuführen und gleichzeitig die Patienten in der Phase der akuten Erkrankung vor möglichen negativen Behandlungsauswirkungen zu schützen. Gemessen an den realen Zahlen erreicht das Interventionsprogramm jedoch nur den Gipfel des Eisbergs. Seit Juni 2002 begleitet die Ärztekammer pro Jahr zirka 20 Ärztinnen und Ärzte im Suchtinterventionsprogramm. Den größten Anteil stellt die Alkoholabhängigkeit, gefolgt von Opiatmissbrauch, Crack und Kokain sowie Medikamentenmissbrauch. Bei etwa jedem Dritten verlängert sich das Interventionsprogramm aufgrund von Rückfällen. Vereinzelt musste das Programm vorzeitig beendet werden.
Dr. med. Klaus BeelmannGeschäftsführender Arzt der ÄrztekammerHamburgHumboldtstr. 5622083 Hamburgklaus.beelmann@aekhh.de
Nachdruck mit freundlicher Genehmigungaus;MMW-Fortschr. Med. Nr. 27-28 / 2007 (149. Jg.)
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Riskanter Konsum:
10,4 Mio. Personen
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Missbrauch:
2,65 Mio. Personen
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Abhängigkeit:
1,7 Mio. Personen
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Geschätzt:
8 300 abhängige Ärzte
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(Quelle: Alkoholabhängigkeit, Suchtmedizinische Reihe Band 1, Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren)
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