Klausurtagung der Bundeszahnärztekammer

Die Zahnarztrolle im Wandel

Das Zusammenspiel von Gesetzesreformen, zahnmedizinischem Fortschritt und demografischem Wandel ist die Herausforderung, der sich der zahnärztliche Berufsstand in den kommenden Jahren stellen muss. „Aktive Professionalisierungspolitik – Die Zahnarztrolle im Wandel“ lautete folgerichtig das Generalthema einer Klausurtagung der Bundeszahnärztekammer, die am 1. und 2. Juni auf Einladung der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern in Göhren-Lebbin stattfand.

„Professionalisierung“ ist „keine weiche Thematik“. Auch wenn die Kollegenschaft vielfach zu dieser Einschätzung neige, weise die Gesellschaft dem Thema eine zentrale Bedeutung zu. Diese von Bundeszahnärztekammer- Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp in seinen einleitenden Worten vermittelte Bedeutung des Schwerpunktes der Klausurtagung am Fleesensee in Mecklenburg-Vorpommern wurde in der zweitägigen Diskussion immer wieder bestätigt.

„Robert Virchows These der Medizin als soziale Wissenschaft“, so BZÄK-Vizepräsident und Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern Dr. Dietmar Oesterreich in einem moderierenden Eingangsreferat zur „Zahnarztrolle im Wandel“, bewahrheite sich in vielen Bereichen der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung. Nicht nur das sich wandelnde Verhältnis zwischen dem von neuem Selbstverständnis geprägten Zahn-/Arzt und seinem zunehmend mündigen Patienten, auch die an den Hochschulen bereits sichtbare Feminisierung des zahnärztlichen Berufsstandes sowie die wachsende Bedeutung des Begriffs Medizin innerhalb der Zahnmedizin seien Hinweis für die sich merklich verändernde Sachlage. Ferner erzwingen die veränderten Formen der Berufsausübung, die zukünftigen Behandlungsbedarfe aber auch die zunehmende Spezialisierung im Berufsstand eine Veränderung in den strukturellen und strategischen Ausrichtungen der Zahnärztekammern. „Aktive Professionalisierungspolitik unter Beachtung dieser Aspekte ist unsere Aufgabe”, so Dr. Oesterreich als Auftakt für die zweitägige Klausurtagung.

Gut aufgestellte Zahnärzte

Dabei sind die Zahnärzte trotz ihrer „Außenseiterposition“ zum medizinischen Feld im Vergleich zu anderen Heilberufen durchaus gut aufgestellt, meinte Gastreferent Prof. Dr. Jürgen Freiherr von Troschke, emeritierter Professor für Sozialmedizin an der Universität Freiburg. Von Troschke verwies in seinem Gastvortrag zum „Arztberuf im Spannungsfeld sozialer Wandlungsprozesse in unserer Gesellschaft“ auf das sich ändernde Selbstverständnis der Ärzte. Es sei eben nicht mehr durch die Heilberufler selbst definiert, sondern zunehmend aus der ihnen von der Gesellschaft zugeordneten Rolle. Das ehemals „idealisierte Arztbild“, das „heute noch in unseren Köpfen“ stecke, bezeichnete der Sozialmediziner als „anachronistisch“.

Zum einen habe sich der Gesundheitsbegriff in den letzten zwei Jahrzehnten „sehr breit ausgeweitet“. Seitens der WHO werde Gesundheit inzwischen sogar „als bürgerrechtlicher Anspruch auf Wellness“ verstanden. Deutschland selbst konstatiere eine weitere Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung, habe aber immer noch „kein Modell für das Alter“.

Obwohl der Berufsstand auf gesellschaftliche Kritik und die Zurücknahme ärztlicher Autonomie mit Gegenpositionen bis zum Streik reagiere und sehr offensiv auch finanzielle Interessen vertrete, herrsche intern eine hohe Verunsicherung. Von Troschke formulierte in dreißig Thesen Maßgaben für die Analyse und Therapie der fehlgerichteten gesellschaftlichen Entwicklung, die viele der Teilnehmer provozierten und nicht ohne Kritik aufgenommen wurden.

Die Zahnärzteschaft forderte der Freiburger Sozialmediziner auf, ihr eigenes Plus einer weltweit führenden Behandlungsqualität – die „Dental Health made in Germany“ – aktiv zu nutzen. Der Arztberuf sei, so der emeritierte Professor, kein Gewerbe. Er plädierte für einen Rückzug auf das Gebiet medizinischer Bereiche jenseits von Wellness.

Dezidierte Ausführungen zur künftigen Aufgabe der Zahnmedizin bot Prof. Dr. Reiner Biffar (Greifswald). Seine Handlungsvorschläge zu den „Veränderungen der Berufsrolle des Zahnarztes durch sozialmedizinischen Wandel“ stießen im Bundeskammer- Vorstand auf durchgängiges Interesse. Biffar verdeutlichte die Notwendigkeit, dass sich der Berufsstand künftig vermehrt auf die Zielgruppen im Alter von 45 bis 60 Jahren – das Alter, in dem „am meisten los ist beim Zahnverlust“ – einzustellen habe. Die bisherigen Anstrengungen im Bereich der Jugendlichen würden über das bis heute erzielte Maß hinaus künftig nur noch „begrenzte Chancen bieten“. Im Zuge der bevorstehenden deutlichen Überalterung unserer Gesellschaft, so warnte Biffar, werden „wir Zahnärzte im Laufe der Jahre immer teuerer“. Biffar forderte Modelle für Mechanismen, „wie wir mit dieser hoch dramatischen Entwicklung umgehen“ können. Als ebenso „dramatisch“ bewertete Biffar die erwartete Entwicklung im Bereich der Parodontologie. Diese Problematik müsse nicht nur durch systematische Therapie, sondern vor allem auch über Aufklärung angegangen werden. Der Greifswalder Experte verdeutlichte den eindeutigen sozialmedizinischen Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Zahn-/Parodontalschäden. Die Regressionsanalyse zeige, dass für Zahnverluste durch Parodontopathien vorrangig Bildung und Familienstand, an dritter Stelle der Nikotin-Abusus verantwortlich sind. Biffar forderte Strategien, um die Gruppe der „Nichtverständigen“ besser zu erreichen.

Gerade in der Altersgruppe der 35- bis 40- Jährigen könne mit Erfolg antrainiert werden, was für das Alter wichtig wird. Biffar setzte sich dafür ein, die Haltbarkeit von prothetischem Ersatz angesichts der zunehmenden Alterung der Bevölkerung weiter zu verbessern. Dabei sei es wichtig, nicht allein bei hochpreisigen Technologien auf Innovationen zu setzen. Den Zahnärzten komme angesichts dieser notwendigerweise lebenslangen Versorgungsstrategie in der Medizin eine bedeutende Aufgabe zu: „Der Zahnarzt ist der Arzt, der die Patienten in hoher Breite und langer Lebensspanne sieht.“

Hier liege die Chance für eine Position, die heute vergleichbar mit der sei, die früher den Hausärzten zukam. Biffar: „Zahnärztliche Tätigkeit wird immer mehr zu einer lebenslangen Strategie, die im Sinner der individualisierten Medizin auf das individuelle Bedürfnis abgestimmt werden soll.“ Als erforderliches Rüstzeug zur Schaffung künftiger Strategien setzt der Greifswalder Professor auf die verstärkte Befassung mit den Bereichen Qualitätsmanagement, Benchmarking, Versorgungsforschung und Epidemiologie.

In fünf bewusst provozierend aufgestellten Thesen zeigte das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) grundlegende Problemfelder auf, die professionspolitisch aktiv angegangen werden sollten:

• Die sogenannte Flexibilisierung der ärztlichen/ zahnärztlichen Berufsausübungsformen ... zerstört das Basismodell der freiberuflichen Praxis und widerspricht den in der Berufsordnung niedergelegten Prinzipien einer eigenverantwortlichen, unabhängigen und nicht gewerblichen Berufsausübung.  

• Neue Formen der ärztlichen/zahnärztlichen Dienstleistungsangebote (...) verlagern das subjektive Rollenverständnis ... in Richtung „Verkaufen“ statt „Heilen“ und unterminieren die Gemeinwohlorientierung als ein konstitutives Merkmal der freiberuflichen Berufsausübung.

• Durch das Hin- und Herschieben von Patienten im Versorgungssystem kommt es zu einer Verzettelung der ärztlichen/zahnärztlichen Verantwortung, damit zu einer Beschädigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses.  

• Durch Qualitätsauflagen, Erfolgsgarantien und die Methoden der evidenzbasierten Medizin wird der Arzt/Zahnarzt zunehmend in seiner fachlichen Expertise und Autonomie eingeschränkt.

• Die zunehmende Zahl weiblicher Zahnärzte führt zu neuen Rollenbildern der Berufsausübung und einer Imageveränderung der Zahnärzteschaft in der Gesellschaft.

Module für die Fort- und Weiterbildung

Folgerichtig für die intensive Diskussion um die wachsenden Qualitätsanforderungen an den zahnärztlichen Berufsstand war das zentrale Thema des zweiten Klausurtages: Der Vizepräsident der BZÄK Oesterreich skizzierte eingangs den Handlungsbedarf durch den zunehmenden Erkenntniszuwachs in der Zahnmedizin, die Bedeutung für das zahnärztliche Berufsbild (Gutachten des Wissenschaftsrates), die Spezialisierungstendenzen und letztendlich im Sinne der Erhaltung der Definitionshoheit in den Händen des Berufsstandes selbst. In zwei Referaten präsentierten Prof. Dr. Detlef Heidemann, Frankfurt/Main, sowie Westfalen- Lippes Zahnärztekammerpräsident Dr. Walter Dieckhoff Vorschläge des BZÄKBeirates Fortbildung für künftige Modelle eines „Postgradualen Systems in der Zahnmedizin“.

Ein von BZÄK, DGZMK und VHZMK entwickeltes gemeinsames Modell für ein „Modulares System der Postgradualen Fort- und Weiterbildung“ präsentierte Prof. Heidemann als freiwilliges und selbstbestimmtes Konzept der drei Organisationen, das mit international vergleichbaren, integrierenden und mit ECTS-analogen Kriterien dem Berufsstand angeboten werden soll. Es löse die bisher strikte Grenzziehung zwischen Fort- und Weiterbildung auf. Höchste Stufe dieser postgradualen Qualifizierung sei die Weiterbildung zum Fachzahnarzt oder der Erwerb des PhD (der Habilitation) in einem Gebiet oder Teilgebiet der Zahnheilkunde.

Die berufsbegleitende, an den Erfordernissen der Praxis orientierte Fortbildung, die in Zusammenarbeit zwischen Kammern, Universitäten und wissenschaftlichen Gesellschaften angeboten wird, kann in Form einer nachhaltig betriebenen Schwerpunktbildung dagegen zu einem ausgewiesenen Tätigkeitsschwerpunkt führen.

Um Masterstudiengänge auf Weiterbildungen anrechnen zu können, ist es, so Heidemann, notwendig, die Inhalte und Zielvorgaben zwischen Universitäten/ Medizinischen Hochschulen und Kammern abzustimmen. Hierzu sollten, so das Plädoyer des Beirates Fortbildung, Kooperationsverträge geschlossen werden. Darüber hinaus sei eine Änderung der Heilberufsgesetze erforderlich, um den modularen Aufbau der Weiterbildung mit Anerkennung berufsbegleitend erworbener Qualifzierungen zu ermöglichen.

Das vom Beirat Fortbildung empfohlene System wurde vom Vorstand der Bundeszahnärztekammer mit einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen.

Die vom Beirat erarbeiteten „Empfehlungen zur Entwicklung der zahnärztlichen Weiterbildung“ präsentierte Dr. Walter Dieckhoff als Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit des Kammergremiums mit Universitäten und Wissenschaft. Dieckhoffs Petitum: „Wenn die modulare Struktur ernst genommen wird, dann müssen die Kammern entsprechend Qualitätskriterien aufstellen. Was die Fachzahnarztgebiete angehe, führe bereits „die Existenz postgradualer Studiengänge“ zu ihrer Weiterentwicklung.

Eine Ausweitung der Weiterbildungsgebiete von bisher Kieferorthopädie, Oralchirurgie und „öffentlichem Gesundheitswesen“ auf zusätzliche Möglichkeiten wie Parodontologie, Kinder- und Jugendzahnheilkunde sowie Endodontologie sei Vorschlag der AG Weiterbildung. Hierbei sei berücksichtigt, dass das Gebiet in der ZHK anerkannt, hinsichtlich Versorgungsalltag und -bedarf bedeutend sei und als qualifizierte Weiterbildung in drei Jahren vollzogen werde. Zur Bedeutung der Weiterbildung erklärte der Kammerpräsident Westfalen- Lippes, dass der Hochschulabsolvent zwar „berufsfähig“, aber nicht „berufsfertig“ sei. Vieles, was früher in der Universität beigebracht wurde, sei auf Grund des Ausbaus wissenschaftlichen Fortschritts inzwischen auf die Fort- und Weiterbildung übertragen worden. Die Empfehlung des Beirates an den Vorstand der Bundeskammer war entsprechend: Es sei erforderlich, eine Änderung der Muster-Weiterbildungsordnung anzugehen. Dieckhoff: „Die Kammern müssen handeln.“

Die zweitägige ausführliche Diskussion um die Professionalisierung zeigte immanent die Ausrichtung auf den weiteren Ausbau der Qualität auf – mit all ihren Konsequenzen. Dass aber auch die Kehrseite dieser Qualitätsmedaille berücksichtigt werden müsse, hob BZÄK-Präsident Weitkamp ausdrücklich hervor: „‘Dental Health made in Germany’ zu propagieren, wie es im Rahmen der Diskussion vorgeschlagen wurde, ist gut. Aber Qualität hat ihren Preis und ist ohne wirtschaftliche Grundlage nicht zu leisten.“ Auch das müsse nach außen aktiv und mutig vertreten werden.

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