Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
wäre die Bezeichnung „Chaos Computer Club“ nicht längst – noch dazu fachlich höchst respektabel – besetzt, hätten die Protagonisten der elektronischen Gesundheitskarte exzellente Chancen auf diesen „Durcheinander“-Titel. Das allerdings ganz im herkömmlichen Sinne des biblischen Wortes vom „Anfang“.
Was Bundesgesundheitsministerium und mancher Gematik-Helfer trotz aller Kritik von Fachleuten und der Erfahrungen beteiligter Tester hier störrisch-stoisch vorantreiben, hat realiter rein gar nichts Biblisches. Im Gegenteil: Es spottet inzwischen jeglicher Beschreibung.
Ulla Schmidts dauerhafte Mahnung zur Eile hat einen Zeitplan oktroyiert, der weder fachlich opportun, noch einzuhalten ist. Und jenseits der bereits aufgestellten und auf Profit hoffenden Industriekonzerne scheint im Kreise der Beteiligten die Akzeptanz geringer denn je.
Grund für diesen im BMG bekannten, aber ignorierten Widerstand gibt es an allen Ecken auf den ersten Blick. Allein der Test in der Region Flensburg – er wurde mangels Praxistauglichkeit abgebrochen – sprach Bände.
Und nachdem Sachsen seine Bereitschaft als Pionier für den begrenzten Rollout zurückgenommen hatte, wurde Nordrhein im Federstreich als Testregion „verhaftet“. Getestet wird allerdings eine fast nichtige, gegenüber ursprünglichen Plänen weitestgehend abgespeckte Version der Karte.
Das Experiment, das zwangsläufig an den Testgebietsgrenzen in benachbarte Regionen „ausfransen“ muss, zeigt schon vor dem Start hohe Risiken auf – was aber nicht weiter zu interessieren scheint. Angetrieben vom bedingungslosen Erfolgsdrang spielen die Analysen der einzelnen Testphasen scheinbar keine Rolle.
Ohnehin lässt der Zeitplan längst keinen ordentlichen Abschluss von Teiletappen mehr zu. Wohin auch mit den Fehlern von „Release 1.0“, wenn „Release 2.0“ längst gegen die Praxistür bollert?
Alles wird gut? Angesichts solcher Hast mag sich keiner mehr daran erinnern, dass das Projekt noch vor wenigen Jahren von Ulla Schmidt als beispielhaft für ganz Europa angepriesen wurde. Aber das scheint nur Geschwätz von gestern und darf angesichts der heutigen Eile gar nicht erst stören.
Wohin das führen soll? Mangelnde fachlich gebotene Akkuratesse durch Schnelligkeit zu vertuschen, legt – ganz anders als die Schöpfungsgeschichte – im biblischen Sinne den Verdacht nahe, dass „Chaos“ nicht am Anfang, sondern am Ende des Projektes stehen könnte. Und dann?
Mit freundlichem Gruß
Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur