Schön dank Myrte, Myrrhe und Mastix
Der Geschichtsschreiber Diodorus aus Sizilien berichtet uns, dass dem Tyrann Agathokles von Syrakus (um 360 bis 289 v. Chr.) seine Zahnpflege zum Verhängnis wurde. Bei der Zahnreinigung soll der Herrscher, der sich selbst zum „König von Sizilien“ ausgerufen hatte, durch einen vergifteten Zahnstocher zu Tode gekommen sein. Ob die Überlieferung des Diodorus nun zutrifft oder nicht, Tatsache ist, dass die alten Griechen den Zahnstocher gerne und häufig gebrauchten.
Um Essensreste aus dem Gebiss zu entfernen, nutzten sie bevorzugt Zahnstocher, die aus Doldenstielen ganz bestimmter Schirmblütler oder Strohhalmen, Federkielen, und Holzstückchen des Mastixbaumes gefertigt waren. Der Gebrauch des Zahnstochers wurde so intensiv betrieben, dass die alten Griechen sogar als „Zahnstocherkauer“ bezeichnet wurden.
Durch den berühmten griechischen Arzt Hippokrates von Kos (um 460 bis 370 v. Chr.) wurde die wissenschaftliche Medizin in Europa begründet. In seiner Werksammlung, dem Corpus Hippocraticum finden sich neben zahnmedizinischen Lehrtexten auch ausführliche Unterweisungen zur Pflege der Zähne. Unter anderem nennt er eine Essenz zur Zahnpflege, die dem neuzeitlichen Menschen kurios vorkommt: Asche von verbrannten Mäuseköpfen und abgekochten Hundezähnen sowie den Knöcheln frisch geschlachteter Ziegen sollte mit dem Saft zerriebener Minze und Weißwein zur Mundspülung dienen.
Der im 4. Jahrhundert v. Chr. in Athen wirkende Arzt Diokles von Karystos, ähnlich angesehen wie Hippokrates, rät in einer Abhandlung, nach dem Aufstehen die Zähne mit den Fingern und dem Saft einer zerriebenen Minze zu reinigen. Die Zahnbürste war bei den Griechen unbekannt, nirgends wird sie in antiken Quellen erwähnt.
Einfluss der Griechen
Nach der Eroberung Griechenlands durch die Römer geriet auch Rom unter den Einfluss der griechischen Medizin. Viele der hervorragenden Ärzte in Rom, besonders die Hofärzte, waren Griechen. Eine ganze Reihe von Ärzten und Gelehrten haben sich zum Thema der Zahnpflege geäußert. Dies ist nicht verwunderlich, denn in Rom waren schöne Zähne nahezu ein Statussymbol. Tadellose Zähne wurden selbst in der Dichtung der damaligen Zeit verewigt.
Vor allem in der Zeit des Imperiums seit Kaiser Augustus war ein schönes, vollständiges und besonders weißes Gebiss das Ideal. Vom Leibarzt des Kaisers Claudius (Kaiser 41 bis 54 n. Chr.), Scribonius Largus, erfahren wir die Zusammensetzung von Zahnpulvern, die die Kaiserin Messalina und Octavia, die Schwester des Kaiser Augustus, verwendet haben sollen.
Um den Zähnen Glanz zu verleihen, verwendete laut Scribonius Octavia folgende Mixtur: „…eine Metze [altes Hohlmaß] Gerstenmehl muß man mit Essig, der mit Honig vermischt ist, besprengen, längere Zeit durchkneten und dann in sechs Kügelchen teilen; nachdem man diese ausgerollt hat, muß man 1/2 Unze Steinsalz beimischen und sie dann in einem Backofen dörren, bis sie sich in Kohle verwandeln. Dann wird man diese Kügelchen zerreiben und ihnen soviel Nardenblüte beimengen müssen, als zur Erzeugung von Wohlgeruch hinreicht.
Kaiserin Messalina, die dritte Frau des Kaisers Claudius, soll sich laut Scribonius folgendes dentifricium für den Glanz und die Kräftigung ihrer Zähne bedient haben: „1 Metze in einem neuen Topfe gebrannter und in Asche verwandelter Hirschhörner, 1 Unze chiischen [von der griechischen Insel Chios] Mastixharzes, 1 1/2 Unzen Ammonsalz“, (aus: Die Rezepte des Scribonius Largus übersetzt von Wilhelm Schonack, Jena 1913).
Gekochte Frösche
Auch der römische Geschichtsschreiber Plinius Secundus (23 bis 79 n. Chr.) berichtete in seinem berühmten 37-bändigen Werk „Naturalis Historia“ von Substanzen, die die Zähne weißer machen. So empfahl er: „Gerstenasche streicht man mit aufgestreutem Salz und Honig auf die Zähne, sie gibt den Zähnen Weiße und angenehmen Mundgeruch.“ (Naturalis Historia, XXII, 134)
Für den perfekten Mundatem pries Plinius Myrte und Mastixblätter zu gleichen Teilen. Diese sollten zusammen mit einem halben Teil syrischer Galläpfel verrieben und mit altem Wein besprengt am Morgen gekaut werden. Zur Spülung des Mundes rät er unter anderem, Zitronensaft zu verwenden. Aber das Rezept des Plinius, zur Mundspülung die Brühe von in Essig gekochten Fröschen zu gebrauchen, mutet für unser heutiges Empfingen seltsam an.
Der Arzt Cornelius Celsus, der im 1. Jahrhundert n. Chr. wirkte, rät dringend, beim Waschen des Körpers auch den Mund sorgfältig zu säubern. Daher soll der Mensch den Mund erst mit warmem und dann mit kaltem Wasser ausspülen. Zeigen sich an den Zähnen schwarze Flecken, so sollen diese abgekratzt werden. Dann muss an diesen Stellen eine Paste aus Galläpfeln, Myrrhe und zerquetschten Rosenblättern aufgetragen werden.
Der wohl berühmteste Arzt des Römischen Reiches war Claudius Galenus (129 bis zirka 199 n. Chr.), der aus dem griechischen Pergamon in Kleinasien stammte. Er diente den römischen Imperatoren Marc Aurel und Commodus als Leibarzt. In seinem umfassenden Werk, das nachfolgenden Generationen Maßstab war, hat sich Galenus auch mit der Zahnmedizin beschäftigt. Er hinterließ eine Vielzahl von Rezepten zur Herstellung von Zahnpasten.
Zahnputzerin angestellt
Alle diese Pflegehinweise wurden von den Reichen und Vornehmen im römischen Imperium intensiver genutzt als von der einfachen Bevölkerung. Die wohlhabende Römerin hatte sogar eine Zahnputzerin, die sogenannte Mastiche (benannt nach dem Harz des Mastixbaumes, das zur Zahnpflege gebraucht wurde), die ihrer Herrin die Utensilien zur Zahnpflege reichte und deren Zähne polierte. Neben Zahnpasten und Mundwässern wurden auch Zahnstocher benutzt.
Der Zahnstocher wurde als dentiscalpium bezeichnet. Eine Reihe archäologischer Funde belegen den Gebrauch dieses Instrumentes zur Zahnreinigung. Im Römischen Reich bestanden die Zahnstocher meist aus Metall, vorzugsweise aus biegsamer Bronze. Es wurden auch Zahnstocher aus dem Holz des Mastixbaumes (Pistacia lentiscus) benutzt, die lentiscus genannt wurden. Auch Federkiele und Gräten kamen zur Anwendung, um Speisereste zu entfernen. Die Zahnstocher konnten bei den gehobenen Schichten aber auch aus Silber und sogar Gold gefertigt sein. Bei der Entdeckung des wohl größten Silberschatzes der Spätantike im Jahre 1961 in Kaiseraugst in der Schweiz wurden auch Zahnstocher gefunden. Diese waren mit vielen anderen wertvollen Silberartefakten im römischen Kastell Augusta Raurica im 4. Jahrhundert n. Chr. vergraben worden. In dem Roman Satyricon des römischen Schriftstellers Petronius Arbiter wird beim Gastmahl des Trimalchos (Cena Trimalchionis, 33,1) der Gebrauch eines silbernen Zahnstochers in Form einer silbernen Feder (pinna argentea) beschrieben.
Oft war der metallene Zahnstocher mit anderen Geräten zur Körperreinigung, wie einem Zungenschaber oder Kopfkratzer, an einem Bund zusammen gefasst. Oder der Zahnstocher war mit einem Ohrlöffelchen kombiniert. Zahnbürsten werden weder in schriftlichen Quellen erwähnt, noch sind sie bei archäologischen Grabungen zum Vorschein gekommen. Die Substanzen zur Pflege der Zähne wurden mit den Fingern oder einem Tuch aufgetragen.
Trotzdem schlechte Zähne
Bei all der Zahnpflege, die viele Menschen in der Antike betrieben haben, sollte man meinen, wären ihre Zähne sehr gut gewesen. Aber dem war nicht so. Vor allem die Essgewohnheiten der vornehmen römischen Gesellschaft führten genau zum Gegenteil. Zudem wurden oft nur die sichtbaren Vorderzähne gepflegt und die Backenzähne vernachlässigt. In den einfachen Bevölkerungsschichten hatte die Zahnpflege nicht den Stellenwert, den sie bei der römischen „High Society“ hatte oder war sogar völlig unbekannt.
Wer dem Ideal eines tadellosen Gebiss nicht mehr entsprach, wurde dem Spott preisgegeben. Der römische Dichter Marcus Valerius Martial hänselt die arme Vetustilla:
„Cum tibi trescenti consules, Vetustilla, Et tres capili quattuorque dentes.”
„Dreihundert Konsuln hast du erlebt, Vetustilla, und geblieben sind dir drei Haare und vier Zähne”, (Buch 3, Epigramm 93).
Wenn die Römerin oder der Römer dem gängigen Schönheitsideal nicht mehr entsprach, wurde auch schon mal mit Prothetik nachgeholfen. Dazu noch einmal der Dichter Martial: „Thais hat schwarze Zähne, weiß sind die Laecanias. Was ist der Grund? Gekauft sind die der einen, ihre eigenen besitzt noch die andere.“, (Buch V, Epigramm 43).
Mit dem Niedergang des Römischen Reiches ließ auch der hohe Stand der Zahnmedizin nach. Im Oströmischen Reich blieben die antiken Traditionen noch länger erhalten. Die Ärzte im Byzantinischen Reich beschränkten sich aber darauf, die klassischen Werke, wie die Schriften des Galenus, zu rezipieren und zu kommentieren.
Kay LutzeLievenstr. 1340724 Hildenkaylutze@ish.de