31. Jahrestagung des Arbeitskreises für Forensische Odonto-Stomatologie

Alles über rechtliche Konsequenzen

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Heftarchiv Zahnmedizin
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Am 13. 10. 2007 fand in der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die 31. Jahrestagung des Arbeitskreises für forensische Odonto-Stomatologie statt.

Prof. Dr. Dr. Ludger Figgener, Münster, referierte über die „Aktuelle Rechtsprechung zum zahnärztlichen Haftpflichtrecht“ und empfahl nicht nur die Passgenauigkeit eines Kronenrands gewissenhaft zu begutachten, sondern die gleiche Aufmerksamkeit den psychosomatisch erkrankten Patienten bei der Begutachtung zu widmen. Er legte Wert darauf, dass alle zahnärztlichen Gutachter zum Erwerb einer psychosomatischen Grundkompetenz verpflichtet werden sollten. Anschließend folgten aktuelle Beispiele von Gerichtsentscheidungen, insbesondere von psychosomatisch geprägten Fällen. Desweiteren wies Prof. Figgener darauf hin, dass offensichtliche Mängel in der zahnärztlichen Dokumentation ebenso wie grobe Behandlungsfehler vor Gericht zur sogenannten Beweislastumkehr führen würden.

Misserfolge bei Augmentationen

Prof. Dr. Dr. Rolf Singer, Ludwigshafen, stellte Begutachtungsfälle aus dem implantologischen Behandlungsbereich vor und berichtete von Misserfolgen bei augmentativen Massnahmen, insbesondere von Fisteln und Wunddehiszenzen. Er empfahl eine Nicht-Berechnung der zahnärztlichen Leistungen, falls Implantate nicht einheilen würden. Eine Implantation bei vorliegender Ostitis lehnte der Referent strikt ab – auch bei gleichzeitiger antibiotischer Behandlung. Vor einer Implantation sollte eine ausführliche Aufklärung des Patienten erfolgen, insbesondere bei Unterkieferimplantation( en) über mögliche Nervläsionen. Das Aufklärungsgespräch sollte schriftlich dokumentiert werden und sowohl vom Patient/- in als auch vom Behandler/-in unterzeichnet werden.

Der nächste, ebenfalls juristisch geprägte Vortrag von Prof. Dr. Gerhard Wahl, Bonn, beschäftigte sich mit „Komplikationen und Aufklärungspflicht als haftungsrechtliche Aspekte bei der Lokalanästhesie“. Zu den „lokalen“ Komplikationen der Infiltrationsanästhesie (Nerven- und Gefäßverletzungen, Spritzenhämatome, Schleimhautnekrosen) zählen sowohl injektionsbedingte als auch medikamentenbedingte Komplikationen. Zusätzlich existieren „systemische“ Komplikationen, die man in „spezifische“ (wie Lokalanästhetikum, Vasokonstriktor, Konservierungsmittel) und „unspezifische“ unterteilt. Durch Lokalanästhetika können unter Umständen Synkopen, Insulte, Infarkte sowie Atem- und Herzstillstände ausgelöst werden. 46 Prozent aller zahnärztlichen Patienten kämen bereits mit internistischen Risikoerkrankungen zur zahnärztlichen Behandlung. Daher sei eine ausführliche Anamnese, insbesondere bezüglich koronarer Herzerkrankung, Lungenerkrankungen und Allergien erforderlich. 28 Prozent aller zahnärztlichen Patienten würden eine tägliche Medikamenteneinnahme durchführen, die in vielen Fällen der behandelnden Zahnärztin oder dem behandelnden Zahnarzt nicht bekannt seien. Für die zahnärztlichen Behandlungen in Intubationsnarkose, insbesondere bei Kindern, verwies Prof. Wahl auf die wissenschaftlichen Stellungnahmen der DGZMK. Seit 1998 seien die Inhalte der Euro-Norm EU 740 für alle Intubationsnarkosen verpflichtend. Bei der oralen Gabe von Dormicum® zur Schmerzausschaltung sei eine Pulsoximetrie verpflichtend, ebenso wie das Vorhandensein einer Sauerstoffflasche im zahnärztlichen Behandlungszimmer. Die technischen Möglichkeiten zur Reanimation seien ebenfalls unabdingbare Voraussetzung für eine Intubationsnarkose. Eine Entlassung des Patienten – mit einer Begleitperson – dürfe frühestens drei Stunden nach Behandlungsende erfolgen, so dass das Vorhalten eines Aufwachraums zwingend verpflichtend sei.

Der Sinn und Unsinn von Streitverfahren

Die „Entwicklungen in der zivilrechtlichen Sachverständigentätigkeit und bei Streitfällen nach prothetisch-restaurativer Behandlung“ war das Thema von Dr. Gabriele Diedrichs, Düsseldorf. Sie berichtete über 63 abgeschlossene zahnärztliche Gerichts verfahren, in denen meistens Frauen als Klägerinnen aufgetreten seien. In 30 Prozent der Fälle hätten die Kläger/-innen das Gerichtsverfahren für sich entschieden, in 48 Prozent wären die behandelnden Zahnärztinnen und Zahnärzte die Gewinner des Gerichtsverfahrens gewesen. In 22 Prozent der Fälle wären die Gerichtsverfahren durch einen Vergleich beendet worden. Zahnärztinnen und Zahnärzte würden durchschnittlich sechs Monate nach Behandlungsende vor Gericht ziehen, während klagende Patientinnen und Patienten erst ein Jahr nach Beendigung der zahnärztlichen Behandlung eine Klage bei Gericht einreichen würden. In den meisten Fällen würden die zahnärztlichen Sachverständigengutachten rund zwei Jahre nach Beendigung der Behandlung erstellt. Ein Gerichtsurteil würde meist acht Monate später gesprochen, so dass in vielen Fällen fast drei Jahre vergehen würden, ehe von Gerichts wegen über eine zahnärztliche Behandlung definitiv entschieden worden wäre. In einem einzigen Fall ist der Referentin die dreizehnjährige Dauer eines zahnärztlichen Gerichtsstreits bekannt. Der Streitwert der von ihr untersuchten Gerichtsverfahren lag bei 440 DM bis 78 000 DM – mit einem Durchschnittswert von 11 600 DM. Die Referentin empfahl den Teilnehmern in einem Streitfall von einer „Abfertigung“ der Patienten abzusehen. Ebenso sollten von Seiten der behandelnden Zahnärztinnen und Zahnärzte keine vorzeitigen Stellungnahmen abgegeben werden. Die vorhandenen Behandlungsunterlagen sollten sowohl gesichtet als auch gesichert werden. Die zuständige Haftpflichtversicherung sollte umgehend informiert werden, auch wenn sich die behandelnde Zahnärztin beziehungsweise der behandelnde Zahnarzt „im Recht fühlt“.

Der Sachverständige bei Gericht

Dr. Dr. Claus Grundmann, Duisburg, berichtete über die „Grundlagen der zahnärztlichen Sachverständigentätigkeit im Gerichtsverfahren“. Zahnärztliche Sachverständigentätigkeit im Gerichtsverfahren ist unter Umständen erforderlich bei Verletzungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich, zahnärztlichen Behandlungsfehlern, berufsbedingten Zahnschäden in der forensischen Altersdiagnostik und bei zahnärztlichen Identifizierungstätigkeiten. In diesem Vortrag wurden Erläuterungen von Rechtsbegriffen, gerichtlichen Verfahrensabläufen, „Spielregeln“ des Gerichtsverfahrens, mögliche „Todsünden“ des Sachverständigen, Befangenheitsgründe und mehr detailliert dargestellt. Ebenso wurden Unterscheidungsmerkmale zu den Begriffen „Sachverständiger Zeuge“ und „Sachverständiger“ ausführlich behandelt. Es wurde den Anwesenden dringend angeraten, das Gerichtsgutachten frei von Fremdworten zu gestalten und übersichtlich zu gliedern. Dabei sollten sich die Sachverständigen ausschließlich an den vom Gericht gestellten Beweisfragen orientieren.

Mit „Komplikationsmanagement und Abwehr von Behandlungsfehlern in der Allgemeinzahnärztlichen Praxis“ beschäftigte sich Dr. Hans-Peter Kirsch, Saarbrücken, in seiner Präsentation. Dabei ging er nicht nur auf Diagnose- und Therapiefehler, sondern auch auf Beratungs- und Organisationsfehler in der Zahnarztpraxis ein. Bezüglich der Aufklärung von Minderjährigen verwies er auf die vorliegenden Stellungnahmen der DGZMK. Gleichzeitig erinnerte er an die Bedeutung des „Anamnesebogens“, insbesondere bezüglich Hypertonie, Herzerkrankungen, Diabetes mellitus, Gravidität und so weiter. Anhand von umfangreichem Bildmaterial aus mehr als zwei Jahrzehnten zahnärztlicher Berufstätigkeit demonstrierte der Referent zahlreiche Behandlungsunregelmäßigkeiten und Kuriositäten, die er in den vielen Jahren beobachten konnte.

Der Beitrag von Dr. Bianca Gelbrich, Leipzig, stellte die Frage „Beeinflussen Alter und Geschlecht die Bildqualität von OPG-Aufnahmen? Antworten aus der forensischen Odonto-Stomatologie“ über Vergleichsuntersuchungen zweier Röntgengeräte zur Anfertigung von Orthopantomogrammen. Hierbei handelte es sich um Röntgengeräte mit konventioneller beziehungsweise dosisreduzierter Röntgenstrahlung. Mit Hilfe dieser Studie sollte nachgewiesen werden, inwieweit Alter und Geschlecht die Bildqualität von Panoramaschichtaufnahmen beeinflussen. Als Ergebnis konnte unter anderem festgestellt werden, dass mit zunehmendem Alter die Bildqualität bei beiden Geräten abnimmt. Weiterhin ist anzumerken, dass beim weiblichen Geschlecht – insgesamt betrachtet – bessere Ergebnisse als beim männlichen Geschlecht vorliegen.

Das abschließende Referat der diesjährigen Tagung wurde von Priv.-Doz. Dr. Rüdiger Lessig, Leipzig, zum Thema „Zur Problematik der Bissspurenanalyse in der forensischen Routine“ gehalten. Er wies dabei auf die Untersuchungstechnik, wie sie auch vom American Board of Forensic Odontostomatology empfohlen wird, hin. Diese Verfahrensweise ist aber auf Grund verschiedener Umstände, zum Teil spätes Einschalten eines forensischen Zahnarztes in die Bearbeitung des Falles, nicht immer vollständig einzuhalten. Es wurden dazu verschiedene Beispiele vorgestellt. So spielte auch die Analyse von Hundebissen eine Rolle. Es handelt sich bei der Bissspurenanalyse um ein Tätigkeitsfeld, welches einer ständigen Weiterbildung bedarf. Die Möglichkeiten der einsetzbaren Technik haben in den letzten Jahren zu einer Verbesserung der Aussage geführt.

Die diesjährige Tagung hat einmal mehr gezeigt, dass „forensische Zahnheilkunde“ nicht nur zahnärztliche Identifizierungsmassnahmen umfasst. Durch eine umsichtige Referenten- und Themenauswahl war es bei der diesjährigen Tagung gelungen juristische Themen – aus zahnärztlicher Sicht betrachtet – in den Vordergrund der Tagung zu stellen. Lebhafte Diskussionen des Auditoriums mit den Referenten belegen das gelungene Konzept des Arbeitskreises.

Termin 2008

Die 32. Jahrestagung des Arbeitskreises für forensische Odonto-Stomatologie findet am 11. Oktober 2008 in Mainz statt.

Dr. Dr. Claus GrundmannViktoriastr. 847166 Duisburgclausgrundmann@hotmail.com

 

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