Gesundheit gewinnt an Bedeutung
Zum Hintergrund: Die lange geplante EU-Verfassung war im Jahre 2005 am Veto aus Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Nach intensiven Vorbereitungen einigten sich die Staatsund Regierungschefs auf dem EU-Gipfel im Juni 2007 auf den Entwurf eines neuen Reformvertrags, der inhaltlich so abgespeckt wurde, dass auch Frankreich, Großbritannien und die Niederlande ohne neue Volksabstimmung zustimmen konnten. Am 13. Dezember 2007 schließlich erfolgte die feierliche und förmliche Unterzeichnung im Hieronymus-Kloster in Lissabon (daher: „Lissabonner Verträge“).
Erste Einschätzung
In einer ersten Einschätzung, die der Council of European Dentists (CED) aus Sicht der Heilberufler für die europäische Zahnärzteschaft erarbeitet hat, wird deutlich, dass die Lissabonner Verträge den Gesundheitsbereich deutlich in der Bedeutung des Brüsseler Aktionsrahmens ausweiten wollen. Das lässt sich vor allem an folgenden Bestimmungen erkennen:
•Gesundheit als Ziel verankert
Der neue Reformvertrag beschreibt die Ziele der EU wie folgt: „... den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“. Da „Wohlergehen“ ein zentraler Aspekt von Gesundheit ist, kann daraus gefolgert werden, dass Gesundheit als eines der grundlegenden Ziele der EU verankert wird.
In gewissem Maße spiegelt der Vertragswortlaut auch die weit gefasste WHO-Definition von Gesundheit wider. Danach ist Gesundheit „ein Zustand des völligen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“.
•Recht auf Gesundheitsfürsorge
Der neue Vertrag enthält einen Querverweis auf die europäische Charta der Grundrechte und verleiht ihr damit einen rechtlich verbindlichen Status. Das Recht auf Gesundheitsfürsorge ist in der Charta wie folgt festgehalten: „Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“
•EU für Gesundheitsversorgung zuständig
Der geänderte Artikel 152, der die öffentliche Gesundheit betrifft, verweist ausdrücklich auf die Zuständigkeit der EU, um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Gesundheitswesens zu unterstützen. Dies kann als Rechtfertigung für künftige verstärkte EU-Maßnahmen auf diesem Gebiet interpretiert werden.
Darüber hinaus wird in gewissem Umfang auch die Verantwortung der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheitsversorgung verdeutlicht. Die Bestimmung wird durch einen neuen Verweis ergänzt, nach dem die Verantwortung auch die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel umfassen soll.
•Stärkung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
Neu im Vertrag ist in Artikel 152 eine allgemeine Bestimmung über die Stärkung der Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich. Danach kann die Kommission in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten Initiativen ergreifen, die insbesondere darauf abzielen, Leitlinien und Indikatoren festzulegen, den Austausch bewährter Verfahren durchzuführen und die erforderlichen Elemente für eine regelmäßige Überwachung und Bewertung auszuarbeiten. Diese verstärkte Zusammenarbeit wird sich voraussichtlich auch in der neuen Richtlinie über die Gesundheitsdienste widerspiegeln, deren Veröffentlichung im Frühjahr erwartet wird.
•Hohe Standards für Arzneimittel und Medizinprodukte
Vorgesehen ist, dass die EU Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte ergreift. Europäische Richtlinien in diesem Bereich bestehen bereits, allerdings auf der Rechtsgrundlage des Binnenmarktes. Voraussichtlich werden Maßnahmen gestattet, die primär auf Gesundheitsbelange und nicht allein auf die Erleichterung der Freizügigkeit abzielen.
•Tabak, Alkohol und grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren
Vorgesehen sind Fördermaßnahmen, die den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben sowie Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren. Dies kann als politischer Hinweis darauf gewertet werden, welche Prioritäten die EU im Gesundheitswesen werten wird. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Befugnis der EU im Gesundheitsbereich dadurch wesentlich gestärkt wird.
Penibel beobachten
Der Vizepräsident des CED und gleichzeitige Vizepräsident der BZÄK, Prof. Dr. Wolfgang Sprekels, betont, dass die europäische Zahnärzteschaft die Entwicklungen im Gesundheitswesen aufgrund des neuen Reformvertrags penibel beobachten werde. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass die EU über den geänderten § 152 versuchen könnte, direkt Einfluss auf die nationalen Sicherungssysteme zu gewinnen. Das gelte vor allem für geplante Initiativen im Bereich der Leitlinien- und Indikatorenerstellung. Gerade diesem Punkt schenkten die Heilberufler auch bei der neuen Gesundheitsdienstleistungsrichtline ein besonderes Augenmerk. „Hier gilt es, rechtzeitig auf Gefahren für eine hochqualifizierte Gesundheitsversorgung hinzuweisen, direkt in Brüssel über Kontakte mit EU-Parlamentariern und Institutionen Einfluss zu nehmen und entsprechend gegenzusteuern. Ich will keinen europäischen National Health Service à la Großbritannien.“
Der EU-Reformvertrag muss nun von allen Mitgliedsländern ratifiziert werden. Das erfolgt in einigen Staaten durch ein Referendum, in anderen durch parlamentarische Abstimmungen. Der neue Vertrag soll im Juni 2009 in Kraft treten, rechtzeitig vor den Europawahlen und der Ernennung der neuen Europäischen Kommission. pr/CED