Makroglossie im Rahmen einer Akromegalie
Von einer echten Riesenzunge muss die Pseudomakroglossie abgegrenzt werden. Hier ist das Zungenvolumen eigentlich normal groß. Durch Verlagerung und Interaktion mit benachbarten anatomischen Strukturen tritt die Zunge jedoch störend hervor und führt zu ähnlichen Symptomen. So können hyperplastische Gaumentonsillen die Zunge nach ventral verlagern, ein Gaumentiefstand den Isthmus faucium von kranial einengen oder Ober- und Unterkieferanomalien die Mundhöhle verkleinern.
Wichtig ist die Unterscheidung in echte Makroglossie und Pseudomakroglossie insbesondere für eine kausale Therapie.
Eine weitere Differenzialdiagnose der Makroglossie sind akute Zungenschwellungen durch Allergien, Insektenstiche, ein angioneurotisches Ödem, Hämatome oder Infektionen. Sie lassen sich anamnestisch und durch den zeitlichen Verlauf gut von einer Zungenhypertrophie abgrenzen und bedürfen aufgrund der Gefahr einer Atemwegsobstruktion einer sofortigen Diagnostik und Therapie.
Fallbericht
In unserer HNO-Ambulanz stellte sich eine 62-jährige Patientin mit einer seit mindestens fünf Jahren zunehmenden Zungenhypertrophie vor (Abbildungen 1 a bis c). Die Patientin klagte über eine kloßige, zunehmend undeutliche Sprache, ein störendes Völlegefühl im Mund und Probleme beim Essen. Sie müsse sehr langsam und vorsichtig kauen, um sich nicht in die Zunge zu beißen. Die Unterkiefertotalprothese habe keinen festen Sitz mehr und würde ständig durch die Zunge verschoben. Auf gezielte Nachfrage wurden auch typische Zeichen einer nächtlichen Atemwegsobstruktion mit Schnarchen, Atempausen und Arousal, Tagesmüdigkeit und Einschlafneigung berichtet. Andere Symptome, wie Schmerzen, Blutung oder Geschmacksstörungen, wurden von der Patientin verneint.
Bei der HNO-Spiegeluntersuchung zeigte sich eine ausgeprägte muskuläre Hypertrophie der Zunge. Die Schleimhaut der Zunge und gesamten Mundhöhle war rosig und reizlos. Erosionen fanden sich nicht. Palpatorisch war die Zunge weich. Die Sensibilität, Motorik und das Geschmacksempfinden waren erhalten. Der Unterkiefer war zahnlos und der Alveolarfortsatz atroph. Der Oberkiefer war bei wenigen Restzähnen mit einer Klammerprothese versorgt. Neben der Zunge waren auch die Nase, die Ohrmuscheln, das Kinn sowie die Hände und Füße auffallend groß, so dass der Verdacht einer Akromegalie nahe lag (Abbildung 1d). Dies bestätigte sich durch Bestimmung des Wachstumshormons (STH) und des IGF-1 (insulin-like growth factor-I) im Blut. Beide Werte waren deutlich über die Norm erhöht. Häufigste Ursache einer Akromegalie ist ein gutartiges STH-produzierendes Hypophysenadenom [Danzig, 2007]. Daher wurde eine Magnetresonanztomografie des Schädels veranlasst. Hier fand sich ein Makroadenom des vorderen Hypophysenlappens mit einem Durchmesser von 23 mm. Zur kausalen Therapie wurde die Patientin den Kollegen der Endokrinologie und der Neurochirurgie vorgestellt.
Diskussion
Eine Makroglossie kann vielfältige Ursachen haben. Umso wichtiger ist eine gründliche Diagnostik. Nur so können zugrunde liegende Erkrankungen erkannt und gezielt behandelt werden. Nicht selten führen die Symptome den Patienten zuerst zum Zahnarzt, Kieferchirurgen oder Kieferorthopäden. Dabei können die Beschwerden sehr unterschiedlich sein.
Je nach Ausmaß der Makroglossie können folgende klinische Zeichen auftreten:
• auffallend vergrößerte, breite, dicke Zunge; Zungenfurchung• offener Biss (anterior oder posterior)• mandibuläre Prognathie• Klasse III Malokklusion mit oder ohne Kreuzbiss• Wangenkontakt der hinteren Zähne• verbreiterter Ober- und Unterkieferbogen mit Diastema der Ober- und Unterkieferzähne• Instabilität kieferorthopädischer beziehungsweise kieferchirurgischer Behandlungsresultate• Glossitis (durch chronische Mundatmung)• Sprachartikulationsstörungen• Kau- und Schluckstörungen• Speichelfluss („Sabbern“)• Obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS) mit Tagesmüdigkeit, Abgeschlagenheit, Einschlafneigung
Zur Diagnostik dienen neben der klinischen Befunderhebung auch cephalometrische, funktionelle und röntgenologische Untersuchungen [Wolford, 1996]. Hierbei typische Befunde sind:
• Herausquellen der Zunge aus der Mundhöhle durch einen anterioren offenen Biss,• mandibuläre oder maxilläre dentoalveoläre Protrusion,• disproportionale Vergrößerung des Unterkiefers,• erweiterter Unterkieferwinkel,• Einengung des oropharyngealen Atemweges.
Lässt sich eine Makroglossie objektivieren, sollte das weitere Vorgehen in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgen. Es müssen Tumore und Systemerkrankungen ausgeschlossen werden. Als bildgebendes Verfahren eignet sich besonders die B-Scan-Sonografie. Hiermit können solide Tumore, Zysten, Hämangiome und Lymphangiome in der Zunge gut dargestellt werden. Bei speziellen Fragestellungen ist eine Magnetresonanztomografie oder Computertomografie erforderlich. Findet sich eine unklare Raumforderung der Zunge, ist eine Probebiopsie indiziert, um ein Malignom auszuschließen. Bei Verdacht auf eine Systemerkrankung sollte eine Überweisung zum Hausarzt erfolgen, um eine weitere internistische oder neurologische Abklärung einzuleiten.
Die symptomatische Therapie einer echten Makroglossie besteht in der operativen Reduktion der Zunge. Sie sollte nur bei ausgeprägten Befunden durchgeführt werden, wenn eine kausale Therapie nicht möglich oder nicht erfolgreich ist. Über Indikationen und Techniken der Zungenreduktionsplastiken gibt es zahlreiche Publikationen [Becker, 1962; Gasparini et al., 2002; Tomlinson et al., 2007; Wang et al., 2003; Wolford et al., 1996]. Oft wurden Patienten mit Down-Syndrom oder Beckwith-Wiedemann-Syndrom behandelt. Die Fallzahlen waren mit drei bis 22 Patienten eher gering. Es werden unterschiedliche Operationsmethoden verwendet (Abbildung 2). Hierzu zählen die apikale Keilexzision [Köle, 1965], Resektionen zentraler Zungenanteile [Edgerton, 1950], Kombinationstechniken, wie die „Schlüssellochexzision“ [Morgan et al., 1996], oder laterale Resektionen [Dingman und Grabb, 1961]. Die gebräuchlichste Methode ist die Exzision in Schlüssellochform. Anschließend wird der Defekt durch mehrschichtige Naht primär verschlossen. Zu den Risiken und Nebenwirkungen einer Zungenreduktionsplastik gehören starke Blutungen, Atemnot durch postoperative Schwellung, Hyp- oder Parästhesien durch Verletzung des Nervus lingualis, Geschmacksstörungen, Einschränkungen der Zungenbeweglichkeit durch Verletzung des Nervus hypoglossus oder Narben, Speichelgangverletzungen, Artikulations- und Kaustörungen. Meist ist der Therapieerfolg jedoch gut und die Komplikationsrate gering. Unsere Patientin wünschte trotz deutlicher Beeinträchtigung derzeit keine Zungenreduktionsplastik. Wir vereinbarten einen Wiedervorstellungstermin zur Befundkontrolle nach Therapie der Akromegalie oder bei zunehmenden Beschwerden.
Zusammenfassung
Eine Makroglossie kann durch unterschiedliche Grunderkrankungen entstehen. Oft sind Okklusionsstörungen beziehungsweise Dysgnathie erste Symptome und können vom Zahnarzt erkannt werden. Im Vordergrund der Behandlung sollte die Therapie der Grunderkrankung stehen. Durch Zungenreduktionsplastiken kann eine Makroglossie mit gutem Erfolg korrigiert werden.
Dr. med. Eike KrauseKlinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkundeder Ludwig-Maximilians-Universität MünchenKlinikum GroßhadernMarchioninistraße 1581377 MünchenEike.Krause@med.uni-muenchen.de
Dr. med. dent. Sophia KrausePraxis Dr. S. KrauseAlbert-Roßhaupter-Straße 9281369 München
Dr. med. Robert GürkovKlinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkundeder Ludwig-Maximilians-Universität MünchenKlinikum GroßhadernMarchioninistraße 1581377 München
Weitere Informationen zum Thema Akromegalie finden Sie in unserem Repetitorium auf den Seiten 62 bis 65.
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