Unter Bet- und Basta-Schwestern
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es war ein gekonnter Stich ins Wespennest: Da hatte der Münchener Volkswirt Prof. Günter Neubauer, einer der namhaftesten Experten des deutschen Gesundheitswesens, zum Start des Gesundheitsfonds einen GKV-Beitragssatz von 15,5 Prozent prognostiziert (und dabei auf manche „tricky“ Praktiken der Krankenkassen hingewiesen) – prompt steigerte sich das bekannte Klagelied zum Wutgeheul. Als ob es in der Substanz Neues pro oder contra Gesundheitsfonds gäbe. Aber für kurze Zeit übertönte der Aufschrei das Wahlkampfgetöse, das Hessens CDU-Chef Koch ausgelöst hatte.
Also ein Jahresbeginn mit Pauken und Trompeten? Ist Angela Merkels Festlegung, dass der Gesundheitsfonds 2009 komme, nicht nur das erste (und nicht das letzte) „Basta“-Machtwort in einer Regierung, der viele für die 2. Hälfte der Legislaturperiode ohnehin nur noch Knatsch und Knies zutrauen? Zumindest ist es eine bemerkenswerte Allianz zweier Betschwestern, die man bisher nicht für möglich gehalten hat: die eine, Ulla Schmidt, muss beten, dass sie ihr ehrgeizigstes – weil am meisten die Strukturen veränderndes – Projekt „Gesundheitsfonds“ über die Runden bekommt; die andere, Angela Merkel, hat ein politisch vitales Interesse, mit dem pünktlichen Start des Fonds die SPD (noch) in der politischen Mitverantwortung zu haben. Denn die kommende Gesundheitsreform einer kleinen Koalition wird das kompromisslose Contra der großen Oppositionspartei erleben. Auch da hilft womöglich nur noch Beten: Wenn im Herbst die Regierung die neuen GKV-Beitragssätze festlegt, ist die Wahlkampfmaschine in Bayern angekommen. Und dessen Sozialministerin Stewens ist eine hartnäckige Gegnerin des Fonds.
Konsequent ist deshalb auch die Aufräumarbeit dieser neuen Allianz: Nach anfänglicher Abwiegelei der Neubauerschen Prognosen – „unseriös“ – und im Detail sogar erfolgreicher Fehlersuche – Neubauer korrigierte seine Prognose von 15,5 Prozent Beitragssatz geringfügig – wurde dann doch eifrig vor der eigenen Haustür gekehrt. Natürlich werde es für einzelne Versicherte teuerer. Und natürlich, so war von der Bundesgesundheitsministerin zu hören, werde man durch externes Abfangen erwarteter Schwierigkeiten im Bereich Hartz IV einen zu hohen Anstieg der Kosten im Krankenversicherungssystem auffangen.
Helfen wird das alles im Grundsatz nichts. Das ständigen Hin- und Hergestottere zwischen Kosten-Bremse und Beitragssatz-Gas wird der Motor Gesundheitswesen nicht heil überstehen. So viel Hang zur Wahrheit würde auch den Wahl-Geschwistern Schmidt und Merkel gut anstehen. Reden wir doch nicht ständig um den Brei herum, den wir künftig auszulöffeln haben: Wollen wir künftig dieser alternden Gesellschaft den Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung erhalten, kostet das Geld, das im Zweifelsfalle nicht da ist.
Folglich erfordert der Erhalt des Gesundheitswesens intelligentere Lösungen! Früher oder später muss sich auch ein Bundesgesundheitsminister auf flexiblere Denkweisen einstellen und sich von der vorrangig von Ulla Schmidt propagierten staatsnahen Gesundheitsverwaltung trennen. Und es kann doch nicht akzeptierter Grundsatz einer CDU-Kanzlerin sein, das in den neuen Bundesländern erst vor wenigen Jahren mit dem Mauerfall verabschiedete staatsgelenkte System der Polikliniken wieder aus der ideologischen Mottenkiste zu holen und quer über die Republik zu streuen.
Medizin und Zahnmedizin haben oft genug dargestellt, wohin in dieser Altersgesellschaft die Reise gehen wird. In der Zahnmedizin haben wir – im Schulterschluss zwischen Standesvertretung und Wissenschaft – sehr genaue Vorstellungen davon, was uns in den kommenden Jahrzehnten erwartet. Und Modelle, wie wir damit umgehen müssen, schaffen wir auch. Hier können wir nicht beim inzwischen anerkannten Festzuschusssystem für Zahnersatz stehen bleiben. Die Problemlage wird mehr fordern.
Also, Schwestern hin oder her: Bei den anstehenden Problemen hilft weder Beten noch Basta!
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV