Drei Milliarden Euro sind zu wenig
Es war die größte Gesundheitsdemo in der Geschichte der BRD: Mehr als 130 000 Ärzte, Pflegekräfte, Klinikmanager und Azubis gingen am 25. September in Berlin gegen die fortdauernde Finanzmisere der Krankenhäuser auf die Straße. Getragen wird die Aktion von dem mächtigen wie ungleichen Bündnis aus Krankenhausgesellschaft (DKG), Bundesärztekammer, den Gewerkschaften Marburger Bund und Verdi, dem Städtetag, Universitätskliniken, kommunalen Arbeitgeberverbänden und dem Deutschen Beamtenbund.
Stein des Anstoßes: das Hilfspaket, aus dem die Krankenhäuser insgesamt rund drei Milliarden Euro zusätzlich erhalten sollen. Eine Mogelpackung sei dieses „sogenannte Hilfsprogramm“, unkte die DKG. Erstens habe man hineingerechnet, was den Kliniken gesetzlich ohnehin zustehe, sagte DKG-Präsident Rudolf Kösters. Und zweitens verkaufe man nun sogar den vorgesehenen Wegfall des nicht zu rechtfertigenden Sanierungsbeitrages noch als großzügige Hilfe.
Nach Berechnungen der DKG kämen 2009 nur 1,79 Milliarden Euro zusätzlich bei den Krankenhäusern an. Sie sieht für 2008 und 2009 ein Loch von 6,7 Milliarden Euro in den deutschen Klinikkassen. Zwei Milliarden Euro seien den Kliniken in den vergangenen zwei Jahren entzogen worden. Wenn ein Einbrecher nach dem Raub von beträchtlichem Vermögen endlich von seinen Heimsuchungen ablasse, brauche er nicht zu erwarten, „dass ich ihn als Wohltäter feiere“, kommentierte Kösters die Lage.
Nur Blendwerk
Ärztepräsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe kritisierte das Care-Paket ebenfalls als Blendwerk. Das Geld reiche auch nicht aus, um den Investitionsstau aufzulösen, sagte er im Deutschen Ärzteblatt. „Aber die Bevölkerung soll nicht den Eindruck gewinnen, nun ist alles gut. Es ist nicht nichts, aber es ist auch nicht genug.“
Mehr als jedes dritte der 2 100 Krankenhäuser ist bereits verschuldet. Verstärkt wird der Kostendruck der Krankenhäuser durch besagten Investitionsstau: In den vergangenen Jahren investierten die Länder immer weniger in die Krankenhäuser. Im Jahr 2007 waren es 2,7 Milliarden Euro – laut Bundesgesundheitsministerium deckt die Summe gerade mal die Hälfte des Bedarfs. Der gesamte Investitionsstau an deutschen Krankenhäusern betrage 50 Milliarden Euro, beklagt die DKG. Der DKG-Vorsitzende Georg Baum sieht die deutschen Krankenhäuser in einem „Teufelskreis von Rationalisierung“.
Dem widerspricht Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen: „Wir sind im europäischen Vergleich mit Krankenhäusern überversorgt.“ Während in Deutschland auf 100 000 Einwohner 829 Krankenhausbetten kommen, sind es in Frankreich 719, in Italien 395 und in Schweden 287 Betten. Etgeton: „Es muss weitere Spezialisierungen bei der medizinischen Versorgung geben.“ Problematisch sei aber, dass viele Krankenhäuser den ökonomischen Druck einfach an ihre Angestellten weitergeben würden: „Vor allem bei den Pflegekräften wird gespart.“ 700 Krankenhäuser schrieben rote Zahlen. Die milliardenschwere Kostenlawine bedrohe im kommenden Jahr mehr als 20 000 Arbeitsplätze.
Nicht nur der Verbraucherverband mosert. Auch der Bundesverband der Deutschen Privatkliniken distanziert sich zumindest teilweise von den Forderungen der Demonstranten. Nicht ohne Grund: Laut einer Studie des RWI bieten gerade die ökonomisch erfolgreichen Kliniken ihren Kunden überdurchschnittliche Qualität. Und vor allem private Klinikketten machen den kommunalen und freigemeinnützigen Krankenhäusern vor, wie man mit knappen Mitteln erfolgreich wirtschaftet. Ein Blick in die Krankenhausstatistik zeigt, dass oftmals das Management seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Fast ein Viertel der Krankenhausbetten steht nämlich leer und verursacht trotzdem Kosten. Auch für den viel beklagten Pflegenotstand finden sich Kritikern zufolge keine stichhaltigen Anhaltspunkte. Zwar wurden seit 2000 über 40 000 Pflegestellen abgebaut. Allerdings liegen heute pro Tag auch 65 000 Patienten weniger im Krankenhaus. Die Überlastung vieler Ärzte und Pfleger sei deshalb eher eine Folge schlechter Arbeitsorganisation.
Kranke Strukturen bleiben
Die Kassenbeiträge seien „nicht dafür da, veraltete Strukturen zu konservieren“, rügte auch der GKV-Spitzenverband. Die Gleichung „weniger Krankenhäuser gleich schlechtere Versorgung“ sei „veraltet und falsch“. Patienten profitierten auch von Spezialisierung und besserer ambulanter Versorgung.
Effektiv sparen können die Klinken freilich nur beim Personal, denn das verschlingt zwei Drittel des Kliniketats. In den letzten zehn Jahren wurden bereits 50 000 Pflegestellen abgebaut. Um hier gegenzusteuern, zahlt das BMG jetzt einen Sonderbetrag: Mit 1,3 Milliarden Euro sollen in drei Jahren 21 000 Pflegejobs geschaffen werden. Da den Kliniken aber ein Eigenanteil von 30 Prozent bleibt, könnten sich viele dennoch keine Neueinstellung leisten, mutmaßt die DKG. Auch mit dem Tarifkostenzuschuss ist sie unzufrieden, deckt er doch die Personalkostensteigerungen von 4,2 Milliarden nicht einmal zur Hälfte. Mehr sei den Beitragszahlern nicht zuzumuten, kontert Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Immerhin stecken die gesetzlichen Krankenkassen jeden dritten Euro in die Kliniken – 2007 waren das mehr als 51 Milliarden Euro. Damit ist das Krankenhaus schon jetzt der größte Kostenfaktor.
Allerdings sind die Klinikbudgets seit 16 Jahren auch „gedeckelt“ – sie dürfen nicht stärker steigen als die Löhne der Versicherten. Für 2008 bekamen die Kliniken daher nur 0,64 Prozent mehr überwiesen als im Vorjahr – bei galoppierenden Ausgaben. Das vergrößert den finanziellen Druck weiter. Zuletzt wurden Kliniken sogar zu einer Art Sonderopfer an die Kassen verpflichtet, um diesen über die Runden zu helfen.
Und weil die Länder bei den Investitionen knickrig sind, muss aus den laufenden Ausgaben auch noch manches für die nötige Modernisierung abgeknapst werden. 800 Millionen Euro seien das zusätzlich im Jahr, rechnet Verdi vor. Das alles treibt die Kliniken in die Enge.
Diese müssten freilich „nachhaltige Bemühungen zur Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven unternehmen“, forderte Schmidt. Die Kopplung der Klinikbudgets an die Lohnentwicklung werde jedoch beendet, versprach die Ministerin. Ab 2011 soll sich das Budget an standardisierten Durchschnittskosten orientieren. Schmidt: „Der bisherige Deckel ist damit weg.“
Doch auch wenn dieser Deckel künftig etwas aufgemacht werden soll, sei ein „Ende der Vergütungsgängelei“ damit nicht in Reichweite, klagen die Krankenhausvertreter.
Auch ein Ausweg aus der Investitionsnot zeichnet sich nicht ab. Während der Klinikbetrieb von den Kassen finanziert wird, sind für die Investitionen, also Bauten und Großgeräte, die Länder zuständig. Und diese haben die von Schmidt gewünschte Verpflichtung zu Investitionspauschalen erfolgreich abgewehrt.
Schmidt warnte die Krankenhäuser freilich davor, ihre Forderungen zu überziehen. Die Menschen müssten hart arbeiten, um die Beiträge zu erwirtschaften, und auch sie müssten hohe Energiepreise zahlen. „Es gibt nicht mehr Geld”, betonte Schmidt.