Gastkommentar

Kassen im Fusionsfieber

Immer mehr Krankenkassen fusionieren. Dies bedeutet weniger Wahlfreiheit für Versicherte.
Dr. Dorothea Siems
Politikkorrespondentin
der Welt, Berlin

Der Gesundheitsfonds, der zum Jahreswechsel startet, wirft dunkle Schatten voraus. Mehrere große Krankenkassen haben Fu - sionspläne verkündet. Damit kommt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ihrem Ziel, die Zahl der Kassen von derzeit 216 auf 30 bis 50 zu reduzieren, immer näher. Für die Versicherten bedeutet diese Entwicklung weniger Wahlfreiheit – bei gleichzeitig steigenden Beitragssätzen.

Die Techniker Krankenkasse machte den Anfang, als sie jüngst ihren Zusammenschluss mit der IKK Direkt zur künftig größten Kasse Deutschlands bekannt gab. Nur wenige Tage später folgte die Kaufmännische Krankenkasse Hannover (KKH), die sich die BKK Allianz einverleibt. Beide Fälle lassen ahnen, wie die Kassenlandschaft in wenigen Jahren aussehen wird. Die Unterschiede zwischen den Kassenarten wie AOK, Ersatzkassen und Betriebskrankenkassen werden verschwinden.

Die große Koalition behauptet unverdrossen, der Gesundheitsfonds werde den Wettbewerb in der Branche vorantreiben. Doch das Gegenteil ist der Fall. Gerade die kleinen, kostengünstigen Kassen sind die Verlierer der Reform. Weil in Zukunft der Gesetzgeber einen Einheitssatz für alle Kassen festlegt, kann der Wettbewerb nicht mehr über den Beitragssatz gehen. Vor allem die rund 170 Betriebskrankenkassen, die heute dank straffer Verwaltungsstrukturen im Schnitt mit geringeren Beitragssätzen als die großen Versorgerkassen auskommen, büßen ihren wichtigsten Konkurrenzvorteil ein. In Zukunft entscheidet in erster Linie die Größe über den Geschäftserfolg. Je größer eine Krankenversicherung ist, desto besser ist ihre Verhandlungsposition gegenüber Pharmaindustrie, Krankenhäusern und anderen Leistungsanbietern. Und eine große Kasse kann besser mit den enormen bürokratischen Vorgaben des Fonds zurechtkommen.

Mit der Reform werden auch die Unterschiede im Leistungsspektrum der Krankenkassen eingeebnet. Zwar sind schon heute 95 Prozent der Kassenleistungen identisch. Doch nutzen die Kassen bislang ihren Spielraum, um durch Zusatzangebote wie etwa eine Kostenübernahme bei Alternativmedizinoder spezielle Vorsorgeangebote Mitglieder an sich zu binden. Diese Vielfalt wird dem Fusionsfieber zum Opfer fallen.

Mit dem Fonds wird die Umverteilung zwischen den Kassen eine neue Dimension erreichen. Schon heute werden die Mitglieder von Großkassen wie der AOK oder der Barmer von den Versicherten anderer Kassen subventioniert. Begründet wird dieser sogenannte Risikostrukturausgleich mit der ungünstigen Versichertenstruktur der Versorgerkassen. In Zukunft verteilt der Gesundheitsfonds die Beitragsgelder nach dem Krankheitsrisiko der Versicherten. Das neue System erfordert gigantische Datenerhebungen und –auswertungen. Im Ergebnis werden die jetzigen Empfängerkassen noch mehr Geld aus dem Topf bekommen. Schließlich sind Alte und sozial Schwache statistisch gesehen häufiger krank.

Kommen Kassen mit dem Geld aus dem Fonds nicht aus, können sie künftig nicht mehr wie bisher den Beitragssatz anheben und sich auf diese Weise mehr Einnahmen verschaffen. Sie müssen vielmehr von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag verlangen. Allerdings hat der Gesetzgeber hier eine Überforderungsklausel eingebaut. Danach darf die Zusatzbelastung für den Versicherten nicht mehr als ein Prozent seines Einkommens oder acht Euro betragen. Die perverse Folge ist, dass Kassen umso höhere Zusatzbeiträge erheben müssen, je mehr einkommensschwache Mitglieder sie haben. Vor allem gesunde und gutverdienende Versicherte werden bei üppigen Zusatzprämien in Scharen zur Konkurrenz abwandern. Experten prophezeien schon ein großes Kassensterben.

Auch dieses Schreckensszenario erhöht den Fusionsdruck. Denn die Politik wird wohl hinnehmen, wenn kleinere Krankenversicherer Pleite gehen, aber niemals zulassen, dass ein Kassenriese in die Knie geht.  

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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