Parodontologie für die Praxis
Ist Parodontitis epidemiologisch eine „Volkskrankheit“? Fehlt es an Anreizsystemen für die Paro-Behandlung? Was weiß die Bevölkerung über Parodontitis? Die Problematik im Feld der Parodontologie ist, so machte es BZÄK-Vizepräsident und Mecklenburgs Kammerpräsident Dr. Dietmar Oesterreich seinen Kollegen auf dem 17. Zahnärztetag in Warnemünde transparent, umfassend. Gerade deshalb freute sich der BZÄK-Vizepräsident auch über die extrem hohen Teilnehmerzahlen. Sie seien Beleg für das immense Interesse und ein gesundes Problembewusstsein zur Thematik.
Entsprechend war das Ziel der diesjährigen Fortbildung ausgelegt: Das unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Thomas Kocher (Greifswald) konzipierte wissenschaftliche Programm bot umfassende Information über das in Fachwelt und Öffentlichkeit breit diskutierte Thema.
Multifaktorielle Ursachen
Jenseits der bevölkerungsstatistischen Fakten – in Deutschland leiden 12 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an einer schweren form und 40 Prozent an einer moderaten Form der Parodontitis – ergibt sich ein aktueller Kenntnisstand, so Kammerpräsident Oesterreich, dass die Krankheit multifaktoriell verursacht ist, Rauchen, Stress und unzureichende Mundhygiene eine zentrale Rolle spielen. Insbesondere seien aber auch genetische Faktoren und allgemeinmedizinische Erkrankungen (immunologisch, Diabetes, Herzkreislauf, metabolisches Syndrom, gemeinsames Auftreten von Übergewicht, Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck und Insulinresistenz) für die Einschätzung der Parodontitis ausschlaggebend. Angesichts der Erkenntnis, dass wie bei der Karies eine Polarisierung des Erkrankungsrisikos – eng verknüpft mit einem niedrigen Bildungsniveau und einem schlechten sozialen Status – festzustellen ist und Parodontitis auch für Mecklenburg-Vorpommern ein hohes Erkrankungsrisiko bedeutet, forderte Oesterreich mehr Überzeugungsarbeit: „Wir brauchen stärkere Aufklärung – bevölkerungsweit und individuell.“
Gefordert seien aber nicht nur die Organisations-Protagonisten des Gesundheitssystems, sondern vor allem auch das Praxisteam selbst. In Mecklenburg-Vorpommern seien seit 1995 von der Kammer bereits 925 Mitarbeiterinnen, bis heute also fast jede Dritte, im Bereich Prophylaxe fortgebildet worden. Dennoch bleiben Herausforderungen: Es sei insbesondere Aufgabe der Politik, durch Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen für besonders gefährdete Risikogruppen wie alte oder behinderte Patienten verbesserte gesundheitspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Zahnärzteschaft habe hier das ihre getan, die Einrichtung von Pilotprojekten zur Alterszahnheilkunde und damit auch zur Parodontitis-Prävention und Therapie seien gerade auch in Mecklenburg-Vorpommern beispielhaft. Diese Projekte machten anschaulich, was jetzt erforderlich sei. Der Präsident forderte eine „verbesserte Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und medizinischen Kollegen“. Denn die Bedeutung der Zahnmedizin für die Gesamtgesundheit des Patienten wachse stetig.
Alltagstaugliche Antworten
Trotz des immensen Aufklärungsbedarfs sei auf Seiten der Patienten aber heute schon, so Prof. Kocher, eine wachsende Sensibilisierung der Patienten erkennbar. Diese seien augenscheinlich zunehmend überzeugt, „dass der Zahnerhalt eine Alternative zur Prothetik darstellt“. Entsprechend schätzt Kammerpräsident Oesterreich die Voraussetzungen dafür ein, dass jede Praxis sich gut auf die Abwehr „Volkskrankheit“ Parodontitis einstellen könne.
Die Möglichkeiten des State of the Art wie auch realistische Maßnahmen für konkrete Ansätze in der Therapie konkretisierten Fachleute aus dem gesamten Bundesgebiet und der Schweiz. Das Spektrum der Vorträge umfasste Ätiologie und Diagnostik, Besonderheiten der Therapieplanung, Möglichkeiten, aber auch die Grenzen konservierender Parodontaltherapie ebenso wie Ansätze moderner Therapieverfahren, vor allem aber auch durchgehend Maßnahmen zur praxisnahen Systematik der Parodontalbehandlung – konzipiert als alltagstaugliches Wissen, das gegen Paro wappnet.