Neue Leistungen, neue Gelder
Erstmals seit dem Start der Pflegeversicherung im Jahr 1995 erhöhen sich mit dem neuen Gesetz die Leistungen. Pflegegeld sowie ambulante und stationäre Sachleistungen steigen stufenweise bis 2012. Ab 2015 sind sie an die Preisentwicklung anzupassen. Die Pflegekassen sollen künftig – auf Antrag der Länder – Pflegestützpunkte einrichten. Unter deren Dach sind Auskunft, Beratung, individuelles Fallmanagement und Service für die Angehörigen von Pflegebedürftigen zu vereinen. Zur Anschubfinanzierung sind 60 Millionen Euro eingeplant.
Berufstätige Angehörige haben ab Juli dieses Jahres Anspruch auf eine Pflegezeit von bis zu sechs Monaten. Kurzfristig können sie bis zu zehn Tage eine Job-Auszeit nehmen, um die Pflege zu organisieren. Heime und ambulante Dienste werden generell stärker kontrolliert. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) prüft sie jährlich – und in der Regel unangemeldet. Die Ergebnisse müssen die Einrichtungen in verständlicher Sprache veröffentlichen.
Um in den Heimen bis 2010 zusätzliche Betreuer für Demenzkranke einzusetzen, sieht das Gesetz rund 200 Millionen Euro vor. Hinzu kommen 560 Millionen Euro für eine bessere Demenzversorgung. Altersverwirrte, psychisch Kranke und geistig Behinderte bekommen erstmals auch ohne Pflegestufe Leistungen. Die Beiträge sollen um 0,25 Punkte auf 1,95 Punkte steigen, bei Kinderlosen von bisher 1,95 auf 2,2 Prozent. Bundesgesundheitsministerin Schmidt lobte die Reform als gelungenen Schritt. „Sie verbessert Leistungen“, betonte sie. Beschlossen mit den Stimmen von Union und SPD, erntete das neue Gesetz viel Widerspruch. Eine „dringend notwendige Finanzreform“ finde nicht statt, bemängelte Heinz Lanfermann (FDP). Dem schlossen sich die Ersatzkassenverbände an, VdAK/AEV-Chef Thomas Ballast warf der Regierung fehlende Weitsicht vor. Den Grünen und den Linken gehen auch die Leistungen nicht weit genug.
Strukturelle Kritik
KZBV und BZÄK nahmen bereits zum Kabinettsentwurf Stellung. Sie begrüßten die grundsätzliche Zielrichtung des Gesetzgebers, die Pflegeversicherung inhaltlich fortzuentwickeln, sie den geänderten Anforderungen in der Gesellschaft anzupassen und Instrumente zur Qualitätssteigerung und Qualitätssicherung zu stärken. Sie seien jedoch der Auffassung, dass der Gesetzgeber zur Umsetzung seiner Ziele teilweise falsche Instrumente wähle und falsche Signale setze.
So sprachen sich BZÄK und KZBV aus grundsätzlichen Überlegungen dagegen aus, ärztliche Tätigkeiten auf nicht ärztliches Personal zu übertragen. Dies widerspreche den hohen Anforderungen an ärztliches Handeln und an das Standes- und Haftungsrecht. Die Pflegereform macht die Substitution ärztlicher Leistungen möglich. Entsprechende Modellprojekte und Richtlinien sollen entstehen.
Wie die Ärzteschaft lehnt die Zahnärzteschaft zudem die Meldepflicht für „selbst verschuldete“ Krankheiten entschieden ab. Sie erschüttere das Vertrauen des Patienten in das (Zahn-)Arzt-Patientenverhältnis und zerstöre damit die Grundlage für eine vertrauensvolle und am Patientenwohl orientierte Behandlung, betonten KZBV und BZÄK. Wenn Ärzte und Zahnärzte Patienten mit Komplikationen nach Schönheits-OPs, Tätowierungen oder Piercings behandeln, müssen sie künftig die Krankenkassen informieren.
Die Zustimmung der Ärzteschäft erhielten die neuen EBM-Abrechnungsziffern für delegierbare ärztliche Tätigkeiten. Im Auftrag des Vertragsarztes können Fachkräfte nun Patienten zu Hause betreuen.
Als richtigen Weg bezeichnete KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller zudem die gewünschte Zusammenarbeit zwischen Heimen und Niedergelassenen. Auf diese sollen die Pflegekassen hinwirken, heißt es im Gesetz. Außerdem haben die Kooperationen Vorrang gegenüber der Anstellung von Heimärzten.
Positiv bewerteten die Ärzte die beschlossene Änderung im Sozialgesetzbuch, die regionale Qualitätsvereinbarungen zwischen Kassen und KVen ermöglicht. Damit könnten Niedergelassene mehr Geld für gute Qualität erhalten. Bevor das neue Pflegegesetz im Sommer in Kraft treten kann, muss es noch den Bundesrat passieren.