Erste gemeinsame Tagung von Parodontologen und Internisten
Die in ihrer Form bislang einmalige Kooperation zwischen der DGP und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) führte erneut eindrucksvoll vor Augen, dass die Parodontologie eine der zentralen Schnittstellen zwischen Zahnmedizin und Medizin ist.
Parodontale Therapie fördert Gefäßgesundheit
Prof. Dr. Maurizio S. Tonetti, Genua, Italien, eröffnete das wissenschaftliche Hauptprogramm mit einem Paukenschlag, dem Thema Parodontale Therapie und Gefäßentzündung. Er stellte fest, dass eine eindeutig belegbare Korrelation zwischen der Gesundheit der Gefäße und der Gesundheit des Parodonts besteht und dass darüber hinaus eine erfolgreiche parodontale Therapie signifikant den funktionellen Zustand der Gefäße verbessert. Prof. Tonetti präsentierte hierzu harte Daten eigener Untersuchungen, die er erst vor Kurzem im New England Journal of Medicine hatte publizieren können. Auch an die anwesenden Vertreter der zahnärztlichen Standesorganisationen gerichtet stellte er fest, dass es gerade die schweren und fortgeschrittenen Parodontitiden sind, die einen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit haben und dass eine Reduktion der Gefäßentzündung nur durch konsequente Parodontitistherapie zu realisieren sei. Gerade für diese konsequente Therapie der schweren und fortgeschrittenen Parodontitiden forderte er Fachzahnärzte und Spezialisten für Parodontologie.
Dr. Nikos Werner, Universität Bonn, widmete sich aus internistischer Sicht dem Thema kardiovaskuläre Erkrankungen. Insbesondere ein Herzinfarkt oder ein Hirninfarkt entstehen häufig auf dem Boden arteriosklerotisch veränderter Gefäße. Einer manifesten Arteriosklerose gehen funktionelle Störungen des Endothels voraus.
Dr. Werner beschrieb ausführlich und sehr anschaulich, wie spezifische Risikofaktoren (wie Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, Rauchen, Familienanamnese) über eine Dysfunktion des Endothels zu Arteriosklerose und letztlich zu koronaren Herzerkrankungen führen können. Er belegte anhand zahlreicher Studien den Zusammenhang zwischen Parodontitis und kardiovaskulären Erkrankungen.
Parodontitistherapie mit Antiinflammatorika
Prof. Dr. A. Kantarci, Boston, schloss den Freitagvormittag mit dem Thema Medikamentöse, antiinflammatorische Parodontaltherapie ab. Durch vielfältige Mechanismen ist der menschliche Körper selbst dazu in der Lage, sich gegen Infektionen zu schützen. In diesem Kontext thematisierte der Referent insbesondere bioaktive körpereigene Substanzen, wie Lipoxine und Resolvine. Lipoxine (LX), sind endogene, das heißt vom Körper selbst gebildete, entzündungshemmende Eicosanoide, die sich von der Arachidonsäure ableiten. Sie wirken auf unterschiedliche Weise Signalen entgegen, die Entzündungsprozesse auslösen und aufrechterhalten. Resolvine bilden eine ganze Familie bioaktiver Stoffe, die im Körper aus Omega-3-Fettsäuren hergestellt werden. Lokal appliziertes Resolvin E1 (RvE1) kann im Tierversuch parodontale Abbauprozesse durch Hemmung der Aktivität der Osteoklasten bei gleichzeitiger Stimulation der Aktivität der Osteoblasten verhindern.
Der Internist Prof. R. Bretzel, Gießen, referierte zum Thema Diabetes mellitus: Stimulator chronischer Entzündungen. Diabetes mellitus hat sich mittlerweile zu einem weltweiten Gesundheitsproblem entwickelt. Vor allem Adipositas scheint eine tragende Rolle zu spielen. Insulinresistenz, Übergewicht, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen treten selten unabhängig voneinander auf. Das Metabolische Syndrom bekommt zunehmend Bedeutung. Die bidirektionale Beziehung zwischen Stoffwechselstörungen und Infektionen wird am Beispiel der Wechselwirkungen zwischen Parodontitis und dem Diabetes mellitus deutlich: Bei Diabetikern ist die Abwehr insgesamt geschwächt, und durch die hohen Blutzuckerwerte kann es auch in der Mundhöhle zu Mikroangiopathien kommen. Umgekehrt kann jedoch auch eine Parodontitis den Diabetes mellitus ungünstig beeinflussen: Die chronische Entzündung induziert in den Zielzellen eine Insulinresistenz.
Parodontitis und Diabetes aus Sicht de Parodontologie
Prof. J. Meyle, Gießen, stellte dem Auditorium zunächst die durch Studien klar belegten Zusammenhänge zwischen Diabetes mellitus, Adipositas und Parodontitis dar. Aktuellen Studien zufolge sind Adipozyten nicht nur Fettspeicher, sondern nehmen durch Ausschüttung zahlreicher Zytokine auch signifikant Einfluss auf die Stärke von Entzündungsprozessen im Körper. Deshalb kann inzwischen davon ausgegangen werden, dass Übergewicht mit der Ätiologie vieler chronischer Entzündungen im Organismus in Zusammenhang steht. Übergewicht ist nicht nur ein Risikofaktor für die Entstehung des Diabetes mellitus, sondern auch ein Prädiktor für Parodontitis. Die Insulinresistenz scheint dabei das Bindeglied zwischen Übergewicht und Parodontitis zu sein. Die erfolgreiche Therapie einer parodontalen Erkrankung kann unter anderem zur signifikanten Absenkung des HbA1CWertes bei Diabetikern führen und somit die metabolische Kontrolle des Diabetes mellitus verbessern.
Prof. Dr. Thomas Kocher, Universität Greifswald, nutzte das umfangreiche Datenmaterial der Greifswalder SHIP-Studie (Study of Health in Pomerania), um Zusammenhänge zwischen Parodontitis und zahlreichen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ausbildung, Rauchen, Übergewicht, physische Aktivität, psychische Faktoren und Ernährung herzustellen. Die SHIP-Studie läuft seit etwa zehn Jahren im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern mit etwa 4 000 Studienteilnehmern. Die Frage, ob Parodontitis ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist, oder ob beide Erkrankungen lediglich den gleichen Risikofaktoren unterliegen, konnte er anhand dieser Daten nicht eindeutig beantworten. Der Referent empfahl: „Es darf geschrubbt, gekratzt und geputzt werden“, um eine stabile Zahngesundheit zu erreichen. Investitionen in Ausbildung, Sport und Ernährung wären sinnvoll und notwendig, um möglichst viele der Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel zu reduzieren. Möglicherweise ist Parodontitis ebenso wie eine Reihe anderer chronischer Krankheiten Ausdruck eines hyperinflammatorischen Phänotyps. Der Vortrag schloss mit einem Zitat: „Genes load the gun. Lifestyle pulls the trigger“.
Schlechte Laune, schlechte Zähne
Dr. Johannes Baulmann, Würzburg, zeigte Zusammenhänge von Psychosozialem Stress, Depression und Gefäßgesundheit aus der Sicht eines Experten für Gefäßerkrankungen auf. Die Depression ist eine komplexe Störung, die bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz häufig zu beobachten ist und in dieser Kombination mit einer sehr hohen Mortalität einhergeht. Die kausalen Zusammenhänge zwischen psychischer Erkrankung, pathophysiologischen Effekten und Gefäßerkrankung sind bisher ebenso wenig klar wie der Einfluss anderer chronischer Entzündungen, etwa Parodontitis. Es stellt sich deshalb die Frage, welchen Therapieansatz man wählt und wie er sich auswirkt. Die Wechselwirkungen zwischen Depression und Herzerkrankung werden aktuell in einer Studie in Würzburg bearbeitet. In einer von Prof. Tonetti durchgeführten Studie wurde der positive Effekt einer Parodontitistherapie auf die Gefäßelastizität nachgewiesen, der kausale Zusammenhang zwischen Parodontitis und arterieller Gefäßsteifigkeit ist aber noch immer unklar.
Prof. Dr. Georg Ertl, Past-President und Erster Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Würzburg, hob hervor, dass bei der Primärdiagnostik von internistischen Erkrankungen wie Diabetes, bei hämatologischen Erkrankungen, bei Infektionskrankheiten oder zur Fokussuche die Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt große Bedeutung hat. Beim Diabetes und bei rheumatischen Erkrankungen kann der Circulus vitiosus der chronischen Entzündungen, die das Fortschreiten der Erkrankung begünstigen, durch die konsequente Therapie einer vorhandenen Parodontitis unterbrochen werden. Möglicherweise kann durch Parodontitistherapie auch das Fortschreiten einer Atherosklerose und entsprechender Folgekrankheiten (Schlaganfall, koronare Herzkrankheit) günstig beeinflusst werden. Ein weiterer Schwerpunkt des Referates war die kürzlich von der American Heart Association (AHA) aktualisierte Leitlinie zur infektiösen Endokarditis (IE). Da nur wenige Fälle von IE durch Antibiotikaprophylaxe verhindert werden können, wird sie in Zusammenhang mit zahnärztlichen Maßnahmen nur noch bei Höchstrisikopatienten empfohlen. Aufgrund des eingeschränkten Evidenzniveaus der Leitlinie ist aber unter Umständen bei Komorbidität oder höherem Alter des Patienten von der Leitlinie abweichend doch eine Antibiotikaprophylaxe empfehlenswert. Bei Gingivitis und Parodontitis ist die Gefahr einer IE durch das tägliche Zähneputzen für den Patienten ungleich größer als durch zahnärztliche Maßnahmen. Deshalb kommt einer guten Mundhygiene und Mundgesundheit bei gefährdeten Patienten eine besonders große Bedeutung zu.
Das kann der Internist für den Zahnarzt tun
Schließlich betonte der Präsident der DGP und Tagungspräsident Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, Würzburg, den Einfluss des Immunsystems bei parodontaler Zerstörung. Das Ausmaß des Attachmentverlusts hängt stark mit der individuellen Entzündungsaktivität zusammen. Deshalb führt eine schlechte Mundhygiene nicht zwangsläufig zu Attachmentverlust, während umgekehrt eine gute Mundhygiene nicht bei jedem Patienten eine Erkrankung komplett verhindern kann. Die Mundgesundheit wird immer auch von der Allgemeingesundheit beeinflusst. Besondere Befunde im Bereich der Mundhöhle, wie sie bei Diabetes, hämatologischen Erkrankungen und Infektionskrankheiten auftreten, sollten immer internistisch abgeklärt werden, insbesondere dann, wenn trotz guter Mundhygiene und sorgfältiger systematischer Therapie parodontale Entzündungen nicht abklingen oder wiederkehren. Weitere Gründe zur Konsultation des Internisten kann in Zusammenhang mit starken Blutungen die Erstellung eines Gerinnungsstatus vor operativen Maßnahmen sein oder die Abklärung der Frage einer möglichen Änderung der Medikation bei Gingivawucherung durch Nifedipin oder medikamentenbedingter Einschränkung des Speichelflusses. Bei älteren und insbesondere bei multimorbiden Patienten ist der Dialog mit dem Internisten immer sinnvoll.
Zahlreiche wissenschaftliche Kurzvorträge und Posterdemonstrationen ergänzten das Hauptprogramm. Die Resonanz auf die wissenschaftlichen Präsentationen war sehr groß, die betreffenden Säle waren ausnahmslos gut besucht. Die Jahrestagung bot ein interessantes und gut besuchtes Programm mit Vorträgen für das Praxisteam und eine umfangreiche Industrieausstellung. Wer vorbildlich ein Signal gegen Bewegungsmangel setzen wollte, konnte dies am Samstag tun: Um 7:00 Uhr startete in Nürnberg zum zweiten Mal der DGP-Paro-Lauf.
Symposien
Am Vortag des Kongresses hatten bereits zwei firmengesponserte Vorkongress-Symposien auf die Tagung eingestimmt: Prof. Hoffmann, Dresden, Prof. Sculean, Nijmegen, und Dr. Engler Hamm, München, beschäftigten sich mit dem Thema „Nicht locker lassen! Regenerieren statt Reparieren“ (Firma Straumann). Prof. Christof Dörfer, Kiel, fragte „Was hat Parodontitis mit Allgemeingesundheit zu tun?“ (Firma Procter & Gamble). Begleitend zum Hauptprogramm vertieften drei Symposien das Tagungsthema: Die Firma GABA GmbH, Partner der DGP, stellte im Rahmen Ihres Symposiums „Der Patient mit allgemeinmedizinischen Beeinträchtigungen in Ihrer Praxis“ den aktualisierten DGP-Ratgeber 2 vor. Prof. Kocher und Dr. Dörr, Universität Greifswald, sowie Dr. Bastendorf, Eislingen, beleuchteten dieses Thema aus der Sicht der Wissenschaft, des Internisten und des niedergelassenen Zahnarztes. Mit „Diagnostik und Monitoring von Parodontalerkrankungen im Zusammenhang mit Allgemeinerkrankungen“ setzte sich Prof. Bruno Loos, Amsterdam, auseinander (Firma Philips). Schließlich rundeten Prof. Saxer, Zürich, Dr. Ziebolz, Göttingen, Prof. Arweiler und Prof. Frank, Universität Freiburg, mit der Thematik „Biofilm-Infekte im menschlichen Körper – allgemeinmedizinische Erkenntnisse umsetzen in konkrete zahnmedizinische Konzepte“ (Firma GlaxoSmithKline) das Programm ab.
Fazit
In Nürnberg wurden möglicherweise die enttäuscht, die gerne einfache Antworten auf die Fragen zum komplexen Wechselspiel zwischen parodontaler und allgemeiner Gesundheit gehört hätten. Aber so verständlich die Erwartung einfacher Antworten für diese Thematik auch sein mag, so blauäugig ist sie auch. Die DGP-Jahrestagung in Nürnberg hat zumindest eines klar gezeigt: Parodontitis steht im Zusammenhang mit der Gesundheit des Gesamtorganismus. Eine wichtige Erkenntnis angesichts der hohen Prävalenz parodontaler Erkrankungen in Deutschland. Einfache und lineare Kausalitäten, lassen sich bisher nicht eindeutig belegen. Allerdings gibt es erste Hinweise, dass sich parodontale Therapie günstig auf die Gesundheit von Blutgefäßen, auf Diabetes und das Bakteriämierisiko auswirkt. Mehr Parodontologie in Deutschland täte also Not: in der Ausbildung, in der klinischen Umsetzung und in einer angemessenen Repräsentierung in Gebührenordnungen.
Dr. Simone VeihelmannDr. Silvia MangoldYvonne JockelPhilipp BeckAbteilung für ParodontologieKlinik und Polikliniken für Zahn-, Mund- undKieferheilkundeUniversität WürzburgPleicherwall 297070 Würzburg
Dr. Rita ArndtYasmin SiegelinPoliklinik für Parodontologie, Zentrum derZahn-, Mund- und Kieferheilkunde(Carolinum), Klinikum der Johann WolfgangGoethe-UniversitätTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am Main