Unter heftiger Kritik
So viel Gegenwind wie bei dem von Verheugen vorgelegten Entwurf für das Arzneimittelpaket habe es innerhalb des Kollegiums der Kommissare noch nie gegeben, hieß es aus dem Umfeld der Behörde, kurz nachdem bekannt geworden war, dass der ursprüngliche Termin für die Publikation der drei Richtlinienvorschläge zur Arzneimittelsicherheit geplatzt war. 17 der 27 EU-Kommissare hatten Bedenken gegen Verheugens Vorschläge angemeldet.
Kritik hagelte es vor allem für die Pläne, mit denen der Industriekommissar gegen Arzneimittelfälschungen vorgehen will. Verheugens Idee: Medikamentenpackungen sollen künftig mit speziellen Sicherheitszertifikaten, beispielsweise einem Barcode, versehen werden. Die Verpackungen sollen ferner auf dem Weg vom Hersteller zum Kunden nicht mehr geöffnet werden dürfen. Nur so ließe sich nach Ansicht des Kommissars der Handel mit gefälschten Arzneimitteln innerhalb der EU wirkungsvoll verhindern.
Die Sorge vor einer zunehmenden Gesundheitsbedrohung durch gefälschte Medikamente ist zwar keineswegs unberechtigt. So stieg die Zahl der von den Zollbehörden an den EU- Außengrenzen beschlagnahmten Produkte im vergangenen Jahr gegenüber 2006 um 51 Prozent auf rund vier Millionen. Die Fälschungen gelangen nach Aussage von Zoll und Bundeskriminalamt vor allem über dubiose Internethändler oder den Schwarzmarkt an die Patienten. Die höhere Quote ist aber sowohl auf eine Zunahme gefälschter Arzneimittel als auch auf wirksamere Kontrollen zurückzuführen.
Sturm gegen das Umpackverbot
Vom Parallelhandel, der durch die Pläne Verheugens in arge Existenznöte käme, geht nach Ansicht der Bundesregierung hingegen keine Gefahr für den Gesundheitsschutz aus. Um kostengünstigere Originalarzneimittel zum Beispiel aus Griechenland nach Deutschland zu importieren, müssen die Händler die Verpackungen öffnen und das Produkt mit einem deutschen Beipackzettel sowie einer geänderten Kennzeichnung versehen. Die Branche läuft daher Sturm gegen das geplante Umpackverbot.
Auf wenig Gegenliebe stößt die Idee auch bei EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes und Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy. Denn der Parallelhandel trägt aus ihrer Sicht zum Wettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt bei. Unterstützung erhalten sie von Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou. Auch sie kritisiert, dass Länder mit hohen Arzneimittelpreisen durch einen Wegfall des Parallelhandels mit enormen Kostensteigerungen rechnen müssten. Dem deutschen Gesundheitswesen haben die preisgünstigen Importe nach Angaben der Bundesregierung im vergangenen Jahr knapp 200 Millionen Euro an Einsparungen gebracht.
Ein noch viel größerer Dorn im Auge ist Vassiliou aber der von Verheugen vorgelegte Richtlinienvorschlag, wonach Patienten Zugang zu Informationen der Pharmaindustrie über rezeptpflichtige Arzneimittel erhalten sollen. Ihrer Ansicht nach ist eine saubere Trennung von Werbung und Information nicht möglich. Vassiliou spricht sich deshalb dafür aus, eine Aufhebung des Informationsverbots nur unter strengen Auflagen zu gestatten. So sollten beispielsweise Darstellungen in den Medien – anders als nach den Plänen Verheugens, der Informationen in Printmedien angeblich auf Druck großer Verlagshäuser zulassen will – nicht erlaubt sein. Auch sollte die Industrie dazu verpflichtet werden, entsprechende Internetangebote vorab von offiziellen Stellen prüfen und genehmigen zu lassen.
Vertrauensgüter
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Professor Wolf-Dieter Ludwig, bezeichnet den Vorschlag Verheugens als „grob fahrlässig“. Arzneimittel seien besondere Vertrauensgüter und dürften deshalb nicht wie Shampoos oder andere Konsumgüter „beworben“ werden. Erfahrungen aus den USA sollten der EU als abschreckendes Beispiel dienen, so Ludwig. In den Vereinigten Staaten ist es der Pharmaindustrie seit 1997 gestattet, sich mit Informationen über ihre rezeptpflichtigen Produkte direkt an die Patienten (DTCA) zu wenden. Die Folge: Die Marketingausgaben schnellten in die Höhe ebenso wie die Zahl der Verordnungen. Kritiker sehen hierin einen Beleg, dass das DTCA vor allem den Absatzinteressen der Industrie dient und weniger den Informationsbedürfnissen der Patienten.
Ähnliche Sorgen hegt ein EU-weites Bündnis von insgesamt 21 Interessenorganisationen. In einer gemeinsam verfassten Stellungsnahme sprechen sich die Unterzeichner, darunter die europäischen Vertretungen der Ärzte- und Apothekerschaft, die Vereinigung der europäischen Sozialversicherungen und zahlreiche Patientenorganisationen, dafür aus, die Information der Patienten über verschreibungspflichtige Arzneimittel weiterhin vorrangig den Angehörigen von Gesundheitsberufen zu überlassen. Ferner fordert das Bündnis, zunächst den tatsächlichen Informationsbedarf zu ermitteln und zu belegen, bevor Regelungen auf europäischer Ebene getroffen würden.
In dieselbe Richtung zielt ein deutscher Zusammenschluss von elf Vereinigungen aus dem Gesundheitswesen. Im Rahmen eines Projektes wollen sie einen Vorschlag für seriöse, unabhängige und konstruktive Arzneimittelinformationen entwickeln. Das Bundesministerium für Gesundheit unterstütze die Zielrichtung des Bündnisses, heißt es in einer Pressemitteilung.
Einzig der von Verheugen vorgelegte Entwurf für eine verbesserte Pharmakovigilanz, bei der es im Wesentlichen um die Meldung und Überwachung unerwünschter Arzneimittelwirkungen geht, blieb von Kritik bislang weitgehend verschont. Das Pharmapaket soll nun am 26. November (nach Redaktionsschluss dieses Heftes) nach einigen „technischen Anpassungen“, so ein Sprecher Verheugens, vorgelegt werden.
Petra SpielbergRue Belliard 197/b4B-1040 Brüssel