Weg frei für neue Modelle
Dr. Andreas Lehr
Gesundheitspolitischer
Fachjournalist
Haben Sie das auch schon erlebt? Sie fragen zwei Geschwister, ob eine Familienfeier gelungen war, und erhalten völlig unterschiedliche Antworten, als seien es zwei verschiedene Feste gewesen.
Ebenso verhält es sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beschwerde der PKV gegen den Basistarif, die dreijährige Sperrfrist, etc..
Die Bewertungen sind völlig unterschiedlich – die Antipoden sind das BMG und die PKV.
Ist das Urteil verwirrend? Nein, es ist, auf seinen Kern reduziert, recht einfach zu verstehen. Die Beschwerde ist abgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass durch das GKV-WSG weder die Berufsfreiheit der PKV eingeschränkt wird, noch ihr Geschäftsmodell schwerwiegende Nachteile erfährt. Das GKV-WSG ist in soweit nicht verfassungswidrig. In soweit Erfolg des BMG auf der ganzen Linie. Das Bundesverfassungsgericht: „Der Gesetzgeber will das duale Krankenversicherungssystem erhalten und stärken: dabei soll auch die private Säule zur Vollfunktionalität gelangen und ihre Mitglieder in gleicher Weise wie die öffentlich-rechtliche Versicherung umfassend, rechtssicher und dauerhaft absichern.“
Im Umkehrschluss – würde der Gesetzgeber das duale System abschaffen, die PKV in ihrer Berufsfreiheit einschränken – erfahre ihr Geschäftsmodell schwerwiegende Nachteile und würde sie dadurch wirtschaftlich ausgetrocknet, wäre das verfassungswidrig. Würde die Einführung einer Bürgerversicherung aber nicht genau das bewirken?
Offensichtlich hat das Bundesverfassungsgericht en passant der PKV einen Bestandsschutz attestiert und damit die Bürgerversicherung in das Reich ideologisch bedingter Träume und Schäume geschickt. Damit können auch nicht die prallen Altersrückstellungen in der Pflegeversicherung, die so manchem Gesundheitspolitiker das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, vergesellschaftet werden. Da muss die SPD auch noch mal über ihr Konzept für eine Pflegereform nachdenken.
Ein voller Erfolg der PKV? Nicht ganz, hat doch das höchste deutsche Gericht das duale System ausdrücklich hervorgehoben und Vollprivatisierungsträumen damit ebenso eine Absage erteilt. Gleichzeitig lässt es dem Gesetzgeber weite Spielräume im Rahmen des Sozialstaatsgebots. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass die Portabilität von Altersrückstellungen auch beim Wechsel in die GKV verfassungskonform ist, dass ein systemübergreifender Morbi-RSA und einiges anderes mehr machbar wären.
Aber das Urteil hat auch Folgen für die GKV. Klagt die PKV in Sachen Wahltarife im Nachgang vor dem EuGH, könnte die Sozialversicherungsschutzmauer der GKV fallen. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten dann einen anderen Rechtsstatus mit allen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen erhalten.
Das BVG in seiner großen Weisheit hat zunächst einmal ideologische Seifenblasen zum Platzen gebracht und Politik, PKV und GKV Grenzen aufgezeigt. Das heißt aber nicht, dass keine Veränderungen möglich sind. Nur sie sind nicht beliebig und können nicht mehr mit der Brechstange reingedrückt werden.
Deshalb sollte die Politik vielleicht einmal ganz neu nachdenken. Vielleicht ein einheitlicher Rechtsrahmen für GKV und PKV unter Wahrung des Sozialstaats- gebots? Die Wirklichkeit ist wie so oft um einiges voraus. Große Krankenkassen werden in moderne Versicherungsunternehmen transformiert, die PKV will Öffnungsklauseln in GOÄ und GOZ einfügen, um verhandeln zu können, aus Kooperationen zwischen Krankenkassen und privaten Versicherern werden strategische Allianzen, und einige proben sogar schon Fusionen.
Völlig unterschiedliche Modelle sind vorstellbar. Der Gesetzgeber sollte jetzt rechtliche Hürden aus dem Weg räumen, damit diese Modelle erprobt werden können. Dann kann man weitersehen – dem Bundesverfassungsgericht sei Dank.
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