Akute und chronische Kiefer- und Gesichtsschmerzen
Der rasche Fortschritt der Schmerzforschung in den letzten Jahren erfordert durch neue Kenntnisse über die Mechanismen der Schmerzentstehung und über neurobiologische Zusammenhänge neue Konzepte für die Behandlung von akuten und insbesondere chronischen Schmerzen. Für die adäquate Versorgung der Patienten sind Kenntnisse über pathophysiologische Mechanismen, Aspekte der zentralen Schmerzverarbeitung sowie psychische Einflussfaktoren oder Komorbiditäten von zentraler Bedeutung.
Schmerz lass nach
Dr. Roman Rolke, Mainz, begann den wissenschaftlichen Teil mit der Darstellung von Schmerz aus Sicht der Grundlagenforschung. So wurde, bezogen auf Zahnschmerz, das nozizeptive System, vom Nozizeptor in der Peripherie über die „Schaltstelle Rückenmark“ zum Thalamus und weiteren Hirnarealen, die für die affektive Bewertung und Einordnung von Schmerzreizen verantwortlich sind, dargestellt. Darüber hinaus ging der Referent auf schmerzmodulierende Systeme, wie die deszendierende Schmerzhemmung, ein.
Nach der differenzierten Darstellung des Unterschiedes zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen betonte er, dass eine veränderte Schmerzempfindlichkeit durch periphere oder zentrale Sensibilisierungsvorgänge induziert werden kann, und gab Hinweise für die klinische Detektion solcher Veränderungen, wie durch eine quantitativ sensorische Testung (QST).
Enge Partner: Schmerz und Psyche
Im Anschluss stellte Priv.-Doz. Dr. Ralf Nickel, Wiesbaden, aktuelle neurobiologische Grundlagen zum Thema „Schmerz und Psyche“ dar. So ist heute wissenschaftlich gut belegt, dass psychische Komorbiditäten, zum Beispiel Angsterkrankungen oder Depressionen, die Schmerzwahrnehmung unter anderem durch Schwächung schmerzhemmender Systeme ungünstig beeinflussen können und so eine Chronifizierung unterstützen. Das Schmerz verarbeitende und das Stress verarbeitende System werden mehr und mehr als sehr eng vernetzt und überlappend verstanden.
Im Hinblick auf die Pharmakotherapie wurden von Dr. Ursula Nickel, Wiesbaden, auf der Basis der zuvor dargestellten pathophysiologischen Mechanismen der Schmerzentstehung (nozizeptiv versus neuropathisch), mechanismenorientierte Therapiekonzepte vorgestellt. Sie wies darauf hin, dass in der Behandlung akuter/postoperativer Schmerzen ein standardisiertes Vorgehen sinnvoll ist, was der aktuellen Literatur zufolge, mit nicht steroidalen Antirheumatika oder auch Paracetamol als Mittel der ersten Wahl in den meisten Fällen gut umsetzbar ist. Die Indikationsstellung für den Einsatz von Opioiden sollte differenziert erfolgen. Diese sehr wirkungsvollen Medikamente sollten, im Hinblick auf die aktuelle Diskussion um deren Einsatz, vom Zahnmediziner allenfalls nur kurzfristig eingesetzt werden.
Die Behandlung chronischer Schmerzen ist aufgrund deren Komplexität, wie in den Grundlagenreferaten ausgeführt, nicht alleine medikamentös durchführbar, sondern erfordert eine differenzierte, individuell ausgerichtete interdisziplinäre Behandlung. Prof. Dr. Matthias Fink, Hannover, stellte im Anschluss ein physiotherapeutisches Therapiekonzept der craniomandibulären Dysfunktion vor, welches Thermo- und Kryotherapie, Massage, Manuelle Therapietechniken, Muskeldehnung und Koordinationstraining beinhaltet. Er wies darauf hin, dass bei chronischen Schmerzen ein interdisziplinärer Ansatz unter Miteinbeziehung psychosomatischer Disziplinen erforderlich wird.
Risikopatienten frühzeitig decouvrieren
Dies bestätigte auch PD Dr. Dr. Monika Daubländer, Mainz, die ein strukturiertes Vorgehen bei komplexen Schmerzzuständen empfahl. Mithilfe einer ausführlichen Anamneseerhebung, Fragebogendiagnostik und sorgfältigen Untersuchung des gesamten orofazialen Systems können Risikopatienten frühzeitig identifiziert werden. Eine kritische Wertung von bildgebenden Befunden, insbesondere bei chronischen Schmerzen, wird gefordert. Bei Hinweisen auf psychosoziale Belastungen oder psychische Komorbidität muss eine interdisziplinäre Diagnostik unter Miteinbeziehung der Psychosomatik erfolgen.
Dr. Rainer Schwab, Mainz, stellte solche interdisziplinären Kooperationsformen am Beispiel eines langjährigen Kooperationsmodells exemplarisch vor und ging auf Voraussetzungen der personellen und organisatorischen Struktur ein.
Vermeiden von Chronifizierung
Zum Abschluss betonte Priv.-Doz. Dr. Ralf Nickel die Bedeutung eines biopsychosozialen Schmerzmodells zur Verhinderung von Chronifizierungsvorgängen. Sowohl somatische, besonders aber psychische, soziale und iatrogene Faktoren können zur Chronifizierung beitragen. Das Erkennen dieser Risikofaktoren und die Vermeidung von Fehlern im Umgang mit Schmerzpatienten, wurde mithilfe von Beispielen verdeutlicht und Hilfestellungen für die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz gegeben.
Zusammenfassend wird deutlich, dass chronischer Kiefer- und Gesichtschmerz ein komplexes Geschehen mit ganz unterschiedlichen Einflussfaktoren darstellt, welches einer differenzierten interdisziplinären Sichtweise und Herangehensweise bedarf.
Soziales Engagement demonstrierte der IAZA in diesem Jahr durch Einbindung des Vereins „Flüsterpost e. V.“. Die Vertreter, Anita Zimmermann und Prof. Dr. G. Trabert, Selzen, stellten die Arbeit, nämlich die Betreuung von Kindern krebskranker Eltern, im Rahmen einer kurzen Präsentation dar.
Dr. med. Ursula NickelFÄ für Anästhesiologie/SpezielleSchmerztherapie,OÄ Tagesklinik Schmerztherapie /FB NeurologieSchriftführerin des Interdisziplinären ArbeitskreisesZahnärztliche AnästhesieAukammallee 3365191 Wiesbadennickel.neuro@dkd-wiesbaden.de