Pillen bei Problemen
Eine Tasse Kaffee als Wachmacher, eine Zigarette gegen Stress, ein Glas Wein zum Abschalten – das kennt wohl jeder von sich selbst oder von Kollegen. „Um Konkurrenzdenken, Termin- und Leistungsdruck besser auszuhalten, greifen manche Menschen jedoch auch zu wirksamen, aber gefährlichen Tabletten oder Drogen, die aufputschen oder beruhigen sollen“, sagt DAK-Chef Herbert Rebscher bei der Vorstellung des Gesundheitsreports 2009 der Krankenkasse in Berlin.
Akzeptierte Aufheller
Rund zwei Millionen Deutsche helfen laut den aktuellen Zahlen der DAK im Job mit Medikamenten nach – etwa 800 000 von ihnen regelmäßig. Männer griffen eher zu aufputschenden oder konzentrationsfördernden Mitteln, Frauen zu Arzneien gegen depressive Verstimmungen und Ängste. Die Mittel kämen vielfach von Kollegen, Freunden oder aus dem Versandhandel.
Betroffen sei etwa jeder Zwanzigste. „Doping am Arbeitsplatz ist derzeit noch kein weit verbreitetes Phänomen“, erklärt Rebscher. Doch mit der Entwicklung neuer und potenter Wirkstoffe könne das Problem zunehmen.
Als bedenklich wertet die Kasse auch folgendes Ergebnis: Knapp ein Fünftel der Befragten hält die Risiken im Vergleich zum Nutzen für vertretbar. „Das ist ein Alarmsignal“, unterstreicht Rebscher. Fast ebenso viele hätten jemanden im Bekanntenkreis, der schon mal ohne medizinisches Erfordernis Pillen geschluckt hat. Insgesamt befragte die Kasse repräsentativ rund 3 000 Arbeitnehmer zwischen 20 und 50 Jahren.
Diagnose oder Doping
Auch Verordnungs- und Diagnosedaten ihrer erwerbstätigen Versicherten glich die DAK ab, um Anhaltspunkte für Missbrauch auf Rezept zu finden. Resultat: Bestimmte Mittel, etwa gegen Demenz, ADHS oder Depressionen, verordneten Mediziner auch ohne, dass sie eine entsprechende Diagnose gestellt hätten.
Gefehlt habe die Diagnose etwa bei gut 97 Prozent der Patienten, die den Anti-Demenz-Wirkstoff Piracetam bekommen hätten. Ähnlich sei es bei mehr als einem Viertel der Versicherten gewesen, die das ADHS- und Konzentrationssteigerungsmittel Methylphenidat erhalten hätten. „Die Ergebnisse dieser Analyse geben indirekte Hinweise auf eine mögliche Fehl- und Überversorgung oder Medikamentenmissbrauch“, so die DAK. Sie warnt vor Nebenwirkungen und einem hohen Suchtpotenzial. „Der Wunsch, immer perfekt sein zu müssen, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen“, bekräftigt Rebscher.
Die heutige Arbeitswelt begünstige Doping im Job, zitiert die Kasse aus einer Expertenbefragung. Die Wissenschaftler plädierten für mehr Aufklärung in der Öffentlichkeit und unter den Ärzten. Der Schlüssel für dauerhaft gesunde Beschäftigte sei eine ausgewogene Work-Life-Balance, betont der DAK-Chef: „Die Vereinbarkeit von Familienund Berufsleben ist daher für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland von hoher Bedeutung.“ jr
Mehr dazu gibt es unterhttp://www.dak.de