Die Gefahr der Ökonomie
Sehr geehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege,
trotz deutlicher Abwehrhaltung wird Ulla Schmidt eine offene Diskussion um die Priorisierung von Gesundheitsleistungen nicht verhindern. Dafür waren die Rufe des Bundesgesundheitsministeriums nach immer strikterer Ökonomisierung des Gesundheitswesens viel zu laut. Allenfalls kann die Ministerin eine Schamfrist bis zur nächsten Legislatur herausschinden. Danach wird man sich der Diskussion, was in diesem System noch geht und was nicht, politisch verantwortlich stellen müssen.
Diejenigen unter uns, die diese Debatte immer wieder anmahnen, wollen alles andere als ein qualitatives Niedrigstniveau einer Versorgung à la „Geld oder Leben“. Ganz im Gegenteil: Wir fürchten um die Aufrechterhaltung des international anerkannt hohen Standards medizinischer Versorgung in Deutschland. Es geht um Mittel und Wege, dieses Niveau zu schützen.
Die Zeit ist reif für eine konstruktive, offene Diskussion unserer Grundsätze: Nicht zuletzt die weltweite Wirtschaftskrise hat dazu beigetragen, dass die Besinnung auf ethische Werte und Normen gesellschaftlichen Lebens einen ganz neuen Stellenwert erfährt. Und das ist gut so.
Für uns Zahnärzte ist diese Diskussion alles andere als neu. Wir müssen nur wieder lernen, unsere gesellschaftliche Grundhaltung mit Kraft in die Öffentlichkeit zu tragen. Das erfordert mehr, als nur Gutes zu tun. Wir müssen im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe auch wieder verstärkt darüber reden.
Gerade jetzt ist es wichtig, der Gesellschaft wieder zu verdeutlichen, dass diejenigen, die Medizin oder Zahnmedizin studieren, das eben nicht des „lieben Geldes“ wegen tun. Wer nur das will, hat in dieser Welt andere, aussichtsreichere, vielleicht auch weniger beschwerliche Möglichkeiten.
Es ist ganz im hippokratischen Sinn, wenn der Berufsstand jetzt eine offene Diskussion über die Manifestierung eines Gelöbnisses – ob im Sinne der Genfer Deklaration oder des Ethical Code der FDI oder des CED – führt. Die in den zm in der Ausgabe 11/2009 mit dem Beitrag des Kollegen Staehle begonnene und in dieser Ausgabe fortgesetzte Diskussion ist eine nur logische Reaktion auf die so gefährliche Variante rein ökonomisch motivierten Denkens. Systemisch betrachtet kann Geld nur Mittel zur Sicherstellung der Versorgung im Gesundheitswesen sein. Dass es vornehmlich auch von nichtärztlichen Dritten als Ansatz gewinnbringender Spekulation zulasten kranker Menschen wird, widerspricht ärztlichen Grundsätzen. Dem einen Riegel vorzuschieben, ist ethische Pflicht.
Wie defizitär – im ökonomischen und ethischen Sinne – sich eine Vernachlässigung solcher Grundpfeiler auf unser Handeln auswirken kann, bedarf keiner großen Vorstellungskraft: Zu präsent sind monetäres Wellness-Gefasel oder durchökonomisierte Medizin-Discounter, als dass die schleichende Vergewerblichung unseres Berufsstandes als pure Phantasterei abgetan werden könnte. Letztlich gilt für alle Heilberufe: In der medizinischen Versorgung kann der staatlich gewollte Wettbewerb allein auf der Basis von Leistungen, nicht von Preisen erfolgen.
Unser übergeordnetes Prinzip freiberuflichen Handelns muss sich also ganz neuen Herausforderungen stellen. Es kann nicht darum gehen, dass man alles erlaubt, was nicht verboten ist. Wir müssen wieder bewusst machen, dass Freiberuflichkeit entscheidend geprägt ist von Eigenverantwortung, Selbstverpflichtung und ethischen Grundsätzen. Sie werden getragen von der Kompetenz, die nach wie vor vom „nihil nocere“ und „de lege artis“ bestimmt ist.
Vor diesem – und zwar ausschließlich diesem – Hintergrund sind Begriffe wie Aus-, Fort- und Weiterbildung, Qualitätssicherung oder Fehlermanagement zu diskutieren. Sie sind getragen von nur einer Idee: Kein Patient darf jemals zu einem „die Effizienz störenden“ oder gar „den Gewinn maximierenden“ Faktor werden. Das ist unsere Prämisse, auf allen Ebenen unseres berufspolitischen Wirkens. Für Vater Staat, der uns schließlich unsere Aufgaben übertragen hat, sollte das genauso gelten.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer