Die Krise trifft alle
Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist
Die Rentenversicherung trotze der Krise. So wird gemeldet. Das ist richtig und falsch zugleich. Im ersten Quartal 2009 sind die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung um gut zwei Prozent gestiegen. Auch daraus leitet Arbeitsminister Scholz ab, dass die Rentenversicherung die Krise ohne Beitragserhöhungen überstehen wird. Und auch der Arbeitgebervertreter in der Selbstverwaltung, Gunkel, sieht für dieses Jahr eine stabile Entwicklung. Die Rentenversicherung verfüge über eine Rücklage von 14,6 Milliarden Euro; das entspreche 0,9 Monatsausgaben. Solche Hinweise widersprechen der Erfahrung, dass in der Vergangenheit weit höhere Reserven rasch dahin geschmolzen sind, wenn die Konjunktur stagnierte.
Aber die Rentenversicherung kann tatsächlich hoffen, in diesem Jahr noch halbwegs ungeschoren über die Runden zu kommen. Das liegt an der rechtlichen Ausformung des Beitragsrechts. Steigende Arbeitslosigkeit schlägt nur mit Zeitverzögerung auf die Beiträge durch. Im ersten Vierteljahr war die Zahl der Arbeitslosen noch geringer als zur Vergleichszeit des Vorjahres. Das wird sich jetzt ändern, die Zahl der Arbeitslosen steigt rasch. Da sich aber der Rentenbeitrag der Bezieher von Arbeitslosengeld nach 80 Prozent des zuletzt erzielten Arbeitseinkommens bemisst, nehmen die Beitragsausfälle nur langsam zu.
Bei Kurzarbeit wird der Rentenbeitrag nach dem vom Arbeitgeber zu entrichtenden Lohn für die geleistete Arbeitszeit bemessen. Durch den Rentenbeitrag auf das den Arbeitslohn ergänzende Kurzarbeitergeld wird gewährleistet, dass die Rentenversicherung bei Kurzarbeit im Durchschnitt noch gut 90 Prozent der bei voller Beschäftigung fälligen Beitragseinnahmen erhält. Die Rentenversicherung und die Versicherten profitieren also von der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes von sechs auf 18 Monate und wohl noch weiter auf 24 Monate. Erst wenn die Beschäftigung stark zurückgeht und die Zahl der Hartz IV-Empfänger deutlich steigt, wird die Rentenversicherung massiv ins Minus geraten. Als schwere Hypothek könnte sich auch erweisen, dass die Renten trotz der Krise zur Jahresmitte fühlbar um 2,41 Prozent im Westen und um 3,38 Prozent im Osten angehoben werden.
Auch die Arbeitsagentur kann auf Reserven von rund 16 Milliarden Euro zurückgreifen. Aber schon 2010 werden diese, wenn es wieder mehr als vier Millionen Arbeitslose geben sollte, verbraucht sein. Weder in der Rentenversicherung noch in der Arbeitslosenversicherung müssten die Beiträge erhöht werden, sagt Scholz. Das wird bis zum Wahltermin im September gelten. Und auch für die Beiträge der Krankenversicherung wird der Wahltag ein Datum sein.
Wie die Sozialsysteme mittel- und langfristig stabilisiert werden sollen, sagen die politischen Akteure nicht. Wer Beiträge festschreibt, dem bleibt nur die Möglichkeit, Leistungen zu beschneiden und/oder die Zuschüsse des Bundes kräftig aufzustocken. Da Beitragszahler, Arbeitslose, Patienten und Rentner geschont werden, sind am Ende die Steuerzahler zu belasten. Dieser Weg ist mit den Konjunkturpaketen vorgezeichnet. Die exzessive Schuldenpolitik zwingt dazu. Wer den „kleinen Mann“ bei der Einkommensteuer entlasten will, der muss früher oder später die Mehrwertsteuer weiter erhöhen. Nach 2009 kommt die Politik nicht an tiefen Einschnitten in das Sozial- und Finanzsystem vorbei. Diese Prognose ist ohne Risiko.
Wenn das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr, wie die Experten voraussagen, um etwa sechs Prozent schrumpfen und danach bestenfalls langsam wieder steigen wird, so bedeutet dies massive Wohlstandsverluste, die durch sozial motivierte Umverteilung nicht wettzumachen sind.
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