Juveniles Hämangiom der Parotis
Ein Elternpaar stellte seinen drei Monate alten Säugling aufgrund einer zunehmenden Schwellung der linken Wangenregion vor. Die Eltern berichten, dass diese erstmalig vor rund sechs Wochen aufgefallen sei und stetig an Größe zugenommen habe. Anamnestisch waren Schwangerschaft und Geburt des Kindes unauffällig.
Bei der Erstuntersuchung fand sich ein gut genährter Säugling in gutem Allgemeinzustand. Palpatorisch imponierte eine gut pflaumengroße, von der Konsistenz weiche Schwellung der linken Regio parotidea ohne schmerassoziierte Reaktion. Das Hautareal über der Schwellung war in Farbe und Textur ohne pathologischen Befund (Abbildung 1). Die Mimik des Säuglings war ebenfalls ungestört. Sonographisch zeigte sich eine 2 x 3 x 1,5 cm durchmessende lobulierte Raumforderung mit starkem Fluss-Signal in der Doppler-Darstellung (Abbildung 2). Dieses sonographische Erscheinungsbild war typisch für ein Hämangiom und ergab zusammen mit dem klinischen Befund im Säuglingsalter die Verdachtsdiagnose eines juvenilen Hämangioms. Zur Diagnosesicherung erfolgte eine Probeexzision über einen präauriculären Zugangsweg. Intraoperativ zeigte sich ein unmittelbar subkapsulärer, intraparotidealer und lobulierter Tumor mit starker Vaskularisation (Abbildungen 3 und 4). Die histopathologische Aufbereitung ergab sowohl kapillär strukturierte Anteile als auch solide erscheinende, sehr zellreiche Tumorareale (Abbildung 5a). Immunhistologisch weisen die Zellen eine deutliche Expression des Endothelmarkers CD-34 auf (Abbildung 5b). Damit bestätigte sich die Verdachtsdiagnose eines juvenilen Hämangioms.
Therapeutisch wurde in Abstimmung mit der Universitäts-Kinderklinik zunächst ein konservatives Therapiekonzept mit Propanolol verfolgt. Diese Therapie folgte einer Zufallsentdeckung aus dem Jahre 2008. In einer französischen pädiatrischen Klinik wurde ein Kind mit Nasenhämangiom mit Prednisolon therapiert. Im Rahmen des stationären Aufenthaltes entwickelte das Kind eine Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie (HOCM), welche dann mit Propranolol, einem Beta-Blocker, behandelt wurde. Hierunter kam es dann zu einer deutlichen Regression des Hämangioms, trotz Absetzung der Prednisolontherapie [6].
Diskussion
Hämangiome sind mit einer Prävalenz von zehn Prozent die häufigsten benignen Tumoren des Kindesalters [1,2]. Sie entstehen durch eine Proliferation von Gefäßendothelzellen. Hämangiome können bei der Geburt bereits vorhanden sein oder sich früh, zumeist in den ersten Lebenswochen, entwickeln. Sie stellen echte Neoplasien des Kindesalters dar und unterscheiden sich damit von den sogenannten Gefäßmalformationen, das heißt Fehlbildungen der Gefäße ohne echten proliferativen Charakter.
Echte Hämangiome zeigen eine charakteristische Wachstumsdynamik, die oft mit einem Lebenszyklus verglichen wird. So wird initial eine intensive Proliferationsphase beobachtet, die sich über die ersten Lebensmonate erstreckt, gefolgt von einer Stagnationsphase bis zum ersten Lebensjahr. Anschließend tritt häufig, aber nicht immer, eine Involutionsphase ein, die bis zum sechsten und gelegentlich bis zum zwölften Lebensjahr dauern kann. Auf molekularer Ebene findet sich eine vermehrte Expression endothelialer Wachstumsfaktoren (VEGF, vascular endothelial growth factor) [4].
Die Entscheidung, ob eine spontane, gegebenenfalls medikamentös unterstützte Remission abgewartet wird oder eine chirurgische Intervention notwendig ist, stellt die wesentliche Herausforderung in der ärztlichen Entscheidungsfindung dar [1,2]. In der Proliferationsphase kann es, je nach anatomischer Lokalisation und topografischer Lagebeziehung, zu funktionellen Einschränkungen, Ulzerationen, Sehstörungen oder Blutungen kommen, die dann eine therapeutische Intervention erzwingen können [3].
Selten kann das juvenile Hämangiom zum Angiosarkom entarten [5]. Therapeutischinterventionell kommen heute vor allem laserbasierte Verfahren zum Einsatz, die die chirurgische Resektion weitgehend verdrängt haben. Weitere Therapieoptionen sind orale Steroide oder auch die Kryotherapie [3]. Obwohl eine spontane Remission für die Mehrzahl der Hämangiome beschrieben wird, stellt die intraparotideale Lage ein therapeutisches Dilemma dar, da hier die spontane Involutionstendenz vergleichsweise gering ist [2]. Eine supportive interstitielle Lasertherapie geht in dieser Lokalisation mit einer Gefährdung des N. facialis einher. Bei intraparotidealen Raumforderungen sind differenzialdiagnostisch maligne Lymphome zu beachten, daher hat die histopathologische Diagnosestellung einen besonders hohen Stellenwert [1,2]. Ob die Therapie mit Propranolol für kindliche Hämangiome zu langfristigen Remissionen führt, ist derzeit Gegenstand klinischer Studien.
Für die zahnärztliche Praxis soll der Fall daran erinnern, dass auch bei unseren kleinsten Patienten relevante neoplastische Erkrankungen auftreten können. Wie bei erwachsenen Patienten erfordern sämtliche schmerzlosen Gewebevermehrungen dringend eine umgehende weiterführende Diagnostik.
Dr. Tarik MizzianiProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastischeGesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhaus Bochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochumtarik.mizziani@ruhr-uni-bochum.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de