Kunde wird König
Vermutlich investierten rund 40 000 Anleger im Durchschnitt 20 000 Euro in Lehman-Zertifikate und verloren. Ihr Durchschnittsalter lag bei 64 Jahren. Das Geld, für das sie lange gespart hatten, sollte ihnen das Leben im Alter erleichtern. Jetzt kümmern sich die Anwälte um die Wiederbeschaffung. Kosten: rund 3 000 Euro pro Fall.
Die Lehman-Katastrophe ist nur ein Beispiel für das vielfältige Versagen nicht nur der deutschen Finanzdienstleister.
Schon im vergangenen Jahr beauftragte das Verbraucherschutzministerium das Forschungs- und Beratungsinstitut Evers und Jung mit einer Studie über die Arbeit der Finanzvermittler in Deutschland. Sie sollten die Ist-Zustände ermitteln und Vorschläge zur Verbesserung machen. Einige Ergebnisse belegen die erschreckenden Zustände: So arbeiten in Deutschland neben den fest angestellten Beratern in Banken und Sparkassen rund 400 000 bis 500 000 Vermittler, von denen – so die Studie „viele nur gering qualifiziert sind. Die meisten von ihnen sind als Ein-Personen- oder Kleinbetriebe organisiert, die sich vor allem in der Versicherungs- und Fondsvermittlung oder in der Vermögensverwaltung organisiert haben“. Die Studie ergab auch, dass zum Beispiel das Handwerk einer sehr viel höheren Regulierung unterworfen ist als die sensible Finanzbranche. Auf der anderen Seite fanden die Forscher heraus, dass es auch auf der Verbraucherseite Defizite zu beklagen gibt: Die Kunden verfügten im Durchschnitt nur über einen „unzureichenden finanziellen Bildungsstand, was ein produktives Miteinander auf hinreichendem qualitativem Niveau weiter erschwerte.“ Die meisten Verbraucher könnten den Nutzen einer finanziellen Entscheidung nicht erfassen oder gar bewerten. Einige Kunden äußerten sogar den Wunsch, der Berater möge die Entscheidung treffen.
Das Ergebnis der schlechten Voraussetzungen für eine sinnvolle Beratung zeigt sich darin, dass 50 bis 80 Prozent aller Langfristanlagen mit Verlust vorzeitig abgebrochen und die gesamten Vermögensschäden auf Grund mangelhafter Finanzberatung auf jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro geschätzt werden.
Der Batzen in der Tasche des Beraters
Die meisten Berater – egal ob selbständig oder als Angestellte in den Geldhäusern – leben von den Provisionen, die sie für die verkauften Produkte beziehen. Verständlich, dass ihnen sehr daran gelegen ist, Anlagen mit möglichst hohen Provisionen an den Kunden zu bringen. Viele Kunden unterzeichnen einen Vertrag, ohne zu ahnen, dass ein dicker Batzen ihres Kapitals in die Taschen des Vermittlers beziehungsweise der Bank wandert. Wie viel das sein kann, belegen die Zahlen aus internen Provisionstabellen von Finanzdienstleistern, die der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg vorliegen. Danach bekommt der Berater für eine Einmalanlage von 20 000 Euro eine Abschlussprovision von:
• 500 Euro für den Abschluss einer Kapitallebensversicherung
• 400 Euro für die Anlage in einen Aktienfonds
• 170 Euro für die Investition in einen Sparbrief mit einer Laufzeit von vier Jahren
• 400 Euro für den Abschluss eines Bausparvertrags über 50 000 Euro
• 30 Euro für die Anlage in Festgeld.
Bestandsprovisionen, wie sie beispielsweise bei Aktienfonds anfallen, sind nicht mitgerechnet.
Selbstverständlich steht dem Berater eine Bezahlung seiner Tätigkeit zu. Doch sollte der Kunde über deren Höhe informiert sein. Provisionen aber lassen die Vermutung zu, dass sie dem Berater als Motivation dienen. Es fällt natürlich schwer, den scheinbar sinnvollen Argumenten eines Beraters zu widerstehen. Gut geschult wissen sie genau, wie sie den Kunden in ihre Fänge locken könne. Niels Nauhauser, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, berichtet von seinen Erfahrungen mit verärgerten Kunden: „Viele Ärzte, darunter auch etliche Zahnärzte, haben schon als Studenten Versicherungen bei einem MLP-Berater abgeschlossen.“ Dieser Strukturvertrieb ist spezialisiert auf Akademiker und greift sich seine Kunden schon vor deren Examen. Die meisten von ihnen sind, wenn sie nicht gerade ein Wirtschaftsstudium absolvieren, völlig unbeleckt in Finanzdingen. Es wird ihnen Sicherheit zu geringen Beiträgen vorgegaukelt, für die sie in den nächsten 20 bis 30 Jahre in eine Rentenversicherung einzahlen. Später gibt es kaum eine sinnvolle Möglichkeit, aus diesen Verträgen auszusteigen. Dazu Nauhauser: „Die Beratung war in der Regel nicht passend. Die Beiträge sind nicht flexibel und eine Änderung würde teuer.“
Inzwischen sind viele Anleger vorsichtig geworden und suchen verstärkt den Rat kompetenter und unabhängiger Berater. Allein die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg verzeichnet einen jährlichen Zuwachs bei den Beratungen um zwei Drittel.
Die bislang vom Gesetzgeber initiierten verbesserten Vorgaben, wie die EU-Versicherungsvermittlerrichtlinien und MiFid (Markets in Financial Instruments Directive), zünden nicht wirklich gut. Ihr Zweck ist es, für mehr Transparenz bei der Beratung am Banktresen beziehungsweise durch den Versicherungsvertreter zu sorgen. Die Kunden sollten erfahren, welche Gebühren und Provisionen Bank oder Versicherung beim Verkauf eines Finanzproduktes kassieren. Volker Pietsch, Leiter des Deutschen Instituts für Anlegerschutz (Dias) in Berlin, meint: „MiFid wird schlichtweg ignoriert.“ Und die wenigsten Kunden kennen ihre Rechte, sie wehren sich nicht.
Die Konsequenzen aus der Studie
Um die Misere zu beenden, hat Verbraucherministerin Ilse Aigner zusammen mit den Verbraucherschutzorganisationen Konsequenzen aus den Ergebnissen der Studie gezogen. So gibt es jetzt eine Gesetzesvorlage, die mehrere Maßnahmen vorsieht. Die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche aus Falschberatung soll etwa von drei auf zehn Jahre verlängert werden. Aus dem Internet können sich Anleger eine Checkliste herunterladen. Mit ihrer Hilfe sollen sich die Sparer über ihre Anlageziele klar werden. Dazu gibt es ein Formular für ein Protokoll, das der Berater ausfüllen soll. Darin wird der Gesprächsinhalt dokumentiert. Am Ende der Beratung setzt der Berater seine Unterschrift unter das Papier und händigt es dem Kunden aus. Erweist sich die gewählte Anlage später als Fehlentscheidung, hält der Sparer eine Argumentationshilfe in der Hand. Im Idealfall kann dieses Schriftstück später als Beweismittel eingesetzt werden, falls es zu einer Klage gegen den Berater kommen sollte.
Die ursprüngliche Forderung von Ministerin Ilse Aigner und des Vorstands des Verbraucherzentrale Bundesverbands lautete auf eine Beweisumkehr im Fall einer Klage. Die Banken sollten beweisen, dass sie richtig gehandelt haben. Leider hat sich die Lobby der Finanzdienstleister als immer noch zu stark erwiesen. Nun sollen Checkliste und Protokoll helfen. Doch die Verbraucherschützer geben sich eher skeptisch. So glaubt Niels Nauhauser nicht an den Nutzen der Checkliste: „Die meisten Bankkunden werden sich die Checkliste nicht ansehen. Außerdem ist der Bankberater nicht gezwungen, das Papier zu unterschreiben. Die Unterschrift müsste obligatorisch sein.“ Für das Protokoll sieht er größere Vorteile. Er glaubt, dass es im Klagefall als Beweis dienen könnte. Kollege Pietsch von Dias widerspricht: „Der Bankberater führt weiterhin Regie. Er füllt das Protokoll aus. Also schreibt er seine Sicht der Dinge. Er wird sich nicht selbst belasten. Und der Kunde, der sein Gegenüber häufig persönlich kennt, nickt alles ab. Deshalb kann das Schriftstück nicht als Beweis dienen. Das Einzige, was wirklich helfen würde, wäre die Umkehr der Beweislast. Denn der Berater wird nicht gleich vom Saulus zum Paulus.“
Einig sind sich Verbraucherschützer und Regierung jedenfalls darin, dass eine Honorarberatung vor manchen falschen Anlageentscheidungen schützen kann. Denn die Hauptursache für die immensen Verluste der Anleger liegt in der provisionsabhängigen Vergütung. Doch wird es dem unerfahrenen Kunden schwer fallen, hierbei die Spreu vom Weizen zu trennen. Wirklich unabhängige Berater gibt es nur wenige. Der Verband der Honorarberater, der sich sehr strenge Regeln geschrieben hat, zählt gut 1 200 Mitglieder. Sie haben sich dazu verpflichtet, keine Provisionen anzunehmen. Wer dieser Maxime zuwiderhandelt, wird ausgeschlossen. Der Dienst der Spezialisten kostet zwischen 100 und 150 Euro die Stunde. Eine umfassende Erstberatung gibt es für rund 2 000 Euro. Nach Meinung des Vorsitzenden Dieter Rauch lohnt sich eine Beratung etwa ab einem Anlagebetrag von 50 000 Euro. Allerdings sollten Anleger die Bedingungen für eine Beratung genau absprechen. Teuer wird der Service zum Beispiel, wenn der Berater regelmäßig Bericht erstattet. Und so das Honorar künstlich aufbläht. Aber die Bezeichnung Honorarberater garantiert nicht unbedingt eine optimale Beratung. Die hängt von seinem Können ab.
Zwischen Honorar und Provision
Viele selbständige Berater aber kassieren sowohl Provisionen als auch Honorare. Für die Beratung bekommen sie ein Entgelt und für die anschließend abgeschlossenen Verträge Provisionen. Unter ihnen gibt es sehr gut ausgebildete Spezialisten, die ihre Arbeit auf das Wohl des Kunden ausrichten. Allerdings hängen sich auch mindestens eben so viele schwarze Schafe das Schild des unabhängigen Beraters um. Anleger müssen also genau hinsehen bevor sie sich entscheiden. Für sie ist es auch unmöglich festzustellen ob er mit seinen Versicherungsbeiträgen nun Provisionen bezahlt oder nicht. Nauhauser empfiehlt, sich die Provisionsfreiheit des Beraters schriftlich geben zu lassen. Ein weiterer Tipp lautet, nach einer Beratungshaftpflichtversicherung des Beraters zu fragen. Denn im Streitfall wird sie den Schadenersatz leisten. Der Berater selbst wird je nach Höhe der Schadenssumme kaum dazu in der Lage sein.
Dass die reine Honorarberatung sich in den nächsten Jahren auch in Deutschland etablieren wird, davon sind viele Experten überzeugt. Inzwischen haben sich auch schon einige Banken dieses Vergütungsmodell zu Eigen gemacht. So bietet die Quirin-Bank ihre Dienste nur gegen Zahlung an. Ebenso die zur Signal-Iduna-Versicherung gehörende Conrad Hinrich Donner Bank sowie die Wölbern Bank. Inzwischen denken auch andere Bankhäuser über eine Umstellung nach. Schon seit Jahren bieten die Verbraucherzentralen ihre Beratung auf Honorarbasis an. Die Kosten beginnen bei 50 Euro je Stunde. Das Entgelt fließt an die Zentrale. Der Berater bekommt ein Gehalt. Finanziert werden diese Einrichtungen vom Bund und den Ländern.
So nötig dieses Umdenken auf der Anbieterseite auch ist, die Kunden sollten sich ebenfalls mehr mit ihren finanziellen Angelegenheiten auseinandersetzen und sich das nötige Wissen aneignen. Denn nur dann können sie auf Augenhöhe mit ihrem Berater kommunizieren. Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert aus diesem Grund „eine stärkere Verankerung der Finanzbildung in den Lehrplänen der Schulen“. Bislang bleibt der Nachwuchs von diesem Wissen weitestgehend unberührt.
Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de