Neues Forschungsprojekt

Eine Datenbank für historische Ärztebriefe

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Ärztebriefe des 16. und 17. Jahrhunderts sollen künftig in einer Internet-Datenbank erstmals systematisch erfasst und präsentiert werden. Dazu wurde jetzt ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen. Die Ärztebriefe von damals waren nicht nur ein wichtiges Medium, um medizinische Fachkenntnisse zu verbreiten. Sie dienen heute auch als aufschlussreiches Zeugnis der Sozial- und Kulturgeschichte.

Auf Initiative des Würzburger Medizinhistorikers Prof. Dr. Dr. Michael Stolberg werden in den nächsten 15 Jahren Briefe von Ärzten des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem deutschsprachigen Raum in einer Internet-Datenbank erstmalig systematisch erfasst. Das wissenschaftliche Vorhaben wurde von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) bewilligt und wird unter der Leitung von Professor Stolberg an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchgeführt und von der neu ins Leben gerufenen Kommission für Wissenschaftsgeschichte der Bayrischen Akademie der Wissenschaften betreut.

In der Datenbank können dann Forscher gezielt nach bestimmten Themen, Personen, Werken, Theorien oder Orten suchen. Die Briefe aus Bibliotheken und Archiven in Deutschland und dem Ausland werden mit einer Zusammenfassung und Schlagworten und – wenn möglich – durch Digitalisate der Originalbriefe ergänzt. Die Datenbank wird für jedermann kostenlos zugänglich sein.

Einblicke in die Lebenswelten

Zur Motivation dieses umfangreichen geisteswissenschaftlichen Forschungsprojekts heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung der Bayrischen Akademie der Wissenschaften und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vom 27. 10. 2008: „Frühneuzeitliche Ärztebriefe sind für die Geschichtsforschung im Allgemeinen und für die Medizin- und Wissenschaftsgeschichte im Besonderen von hohem Wert. In der Frühen Neuzeit gab es keine Fachzeitschriften, Briefe waren daher ein wichtiges Medium, um neue medizinische Erkenntnisse zu veröffentlichen, zu diskutieren und weiter zu verbreiten. Die überlieferten Briefe erlauben es uns heute, die Entstehung und Verbreitung neuer Theorien und Praktiken und die Reaktionen darauf zu verfolgen. Zugleich sind sie von großem Interesse für die Sozial- und Kulturgeschichte, denn sie geben Auskunft über die alltägliche medizinische Praxis, berufliche Herausforderungen und Schwierigkeiten, Auseinandersetzungen mit städtischen oder höfischen Brotgebern, das Verhältnis von Ärzten zu Patienten, Mäzenen und Konkurrenten und vielem anderen mehr. Indem sie über Tagesablauf und Haushaltsorganisation, das Verhältnis zu Ehefrau und Kindern, die eigene Gesundheit oder auch über religiöse und politische Auseinandersetzungen berichten, eröffnen die Ärzte in ihren Briefen zudem wertvolle Einblicke in die Lebenswelt der zeitgenössischen Gelehrten und der bürgerlichen Schichten insgesamt.“

Die außerordentliche Bedeutung der Ärztebriefe aus dem 16. und 17. Jahrhundert ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass diese Briefe damals die Aufgabe hatten, die heute medizinisch-wissenschaftlichen Fachjournalen zukommt. Die große Anzahl dieser ärztlichen Korrespondenz ist bisher kaum erschlossen. Der Leiter des Projekts konnte bereits in vielen Bibliotheken und Archiven (unter anderem in Augsburg, Erlangen, Bamberg, Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe, Heidelberg, Berlin, Schwerin, Leipzig, Dresden, Weimar, Jena, Halle, Hamburg, Bremen, Lindau, Memmingen, St. Gallen, Basel, Zürich, Bern) interessante Bestände ausfindig machen. In ganz wenigen Fällen sind bisher Ärztebriefe in Katalogen dokumentiert, zum Beispiel in der Trewschen Briefsammlung in der Erlanger Universitätsbibliothek und der Uffenbach-Wolffschen Briefsammlung in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, aber ohne dass eine konkrete inhaltliche Bestandsaufnahme und Analyse erfolgt wäre. In diesen Briefen sind auch Berichte über Naturkatastrophen, Hexenprozesse oder Prodigien zu erwarten.

Aspekte der Zahnmedizin

Es ist zu vermuten, dass diese Briefe auch interessante Aspekte aus dem Bereich der Zahnmedizin beinhalten. Allerdings haben sich die akademischen Ärzte nur selten explizit mit Zahnerkrankungen beschäftigt. Die Zahnbehandlung oblag im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend den Wundärzten, Barbieren oder Badern. Aber die Ärzte berichteten von Zahnbehandlungen an sich selbst oder ihren Familienmitgliedern. So heißt es in einem Züricher Ärztenachlass des 17. Jahrhunderts:

•1650: Jacob Koller, Wundarzt zog mir zwei Zähne heraus, als ich 10 war 16 ß [ß bezeichnet wahrscheinlich einen Halbbatzen – der Batzen war eine Währung in den westlichen Kantonen der Schweiz].

•1662: Wundarzt Hirtzgartner ebf. zwei 10, zahlte ihm 36 ß.

•1676: Barbierer Wagmann, 2 Zähne, „den einten hat er abgebrochen“ ß16.

•1680: der Wägmannsgeselle zog mir 2 Zähne, gab ihm 15 ß „den 10. Mai hatte ich ziemlichen Schmertzen an dem abgebrochenen Zahn (Acetum vini name alsobald den Schmertzen hinweg)“.

•„Ein Dotzet Zähn sind albereit evulsiert auß meinem Mund. Man sagt allwägen es ist nur das Zahnwehe! Aber es gibt schmertzen“.

Die Wissenschaftswelt darf gespannt sein, was durch dieses Projekt in den nächsten Jahren zu Tage gefördert wird.

Kay LutzeLievenstraße 1340724 Hildenkaylutze@ish.de

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