IGSF: Handlungskonzept zur gesundheitspolitischen Agenda 2009

Für ein verlässliches Gesundheitswesen

Zukunftsängste, Zweifel an der Stabilität und der Bezahlbarkeit prägen laut Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF) Kiel gegenwärtig die Haltung der Bevölkerung zur gesundheitlichen Versorgung in Deutschland. Institutsdirektor Prof. Fritz Beske hat mit einer Gruppe von Fachautoren „Ein Handlungskonzept für ein verlässliches, solidarisches und gerechtes Gesundheitswesen“ erarbeitet, das am 12. Mai in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Einzelmaßnahmen sind, so erläuterte Prof. Beske den geladenen Medienvertretern, nicht geeignet, die wegen der Bevölkerungsentwicklung und auf Grund medizinischen Fortschritts wachsender Kosten entstehenden Probleme des Gesundheitswesens zu lösen. Zu groß, zu grundlegend seien die erwarteten Herausforderungen: Bis 2050 erwartet das IGSF bei wachsendem medizinischen Fortschritt eine Steigerung der GKV-Ausgaben von heute 15,5 auf 27 bis 44 Prozent. Beske: „Ein derartiger Beitragssatz wird weder von der Bevölkerung noch von der Politik akzeptiert.“ Belastungen dieser Größenordnung seien nicht umsetzbar.

Das in der IGSF-Schriftenreihe als Band 112 mit den Autoren Franz-Joseph Bartmann, Ralf Wilhelm Büchner, Peter Froese, Peter Knüppper und Ulrich Thamer erarbeitete Handlungskonzept setzt umfassender an: Die Politik müsse ihre gesetzgeberischen Maßnahmen künftig konkret an Gesundheitszielen, im Wesentlichen „Versorgungssicherheit für den Patienten auch im Alter“, „Planungssicherheit für den Leistungserbringer“ und „medizinischer Fortschritt für alle“ ausrichten.

Dabei gehen die Experten von den Maximen eines dezentralen statt zentralen Regelungswesens, der Freiberuflichkeit als wichtiger Voraussetzung des Systems sowie des Gebots der freien Arztwahl aus. Das immer wiederholte Versprechen einer dauerhaft gesicherten Finanzierung sei ohne Definition eines Grundleistungskatalogs bei dem zu erwartenden Finanzierungsbedarf ohnehin nicht einlösbar.

Beibehalten werden soll die solidarische Finanzierung des Systems durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Allerdings müsse es, so die Arbeitsgruppe, bei einem Beitragssatz in jetziger Höhe bleiben. Entlastbar sei die GKV durch Wegfall von Fremdfinanzierungen, die ihr im Laufe der Reformen zunehmend aufgebürdet wurden und die besser durch Steuermittel zu decken seien. Gleichzeitig fordert das Konzept mehr Zuzahlungsleistungen der Versicherten. Perspektivisch seien zusätzliche Mittel durch Zuweisung des bisherigen Solidaritätszuschlags als Demographie-Zuschlag für die solidarische Krankenversicherung einsetzbar.

Grundsätzlich müssten die GKVen ihre ehemaligen Finanz- und Gestaltungsfreiheiten zurück erhalten. Abgeschafft gehörten Wahltarife, der Spitzenverband Bund, der Gesundheitsfonds wie auch der staatlich festgesetzte Beitragssatz und die Morbiditätsorientierung im Risikostrukturausgleich. Mit einer ausschließlich regionalen Organisation auf Länderebene werde sich der Risikostrukturausgleich erübrigen. Der Status der GKV als Körperschaft öffentlichen Rechts sei aufzuheben.

Deutliche Kritik übte die Autorengruppe an dem sich ständig ohne Gegenfinanzierung ausweitenden Leistungskatalog. Hier sei eine Diskussion des Leistungsumfangs der GKV längst überfällig. Bedarfsgerechte Versorgung müsse als Grundleistung erfolgen, darüber hinaus gehende Wunschleistungen seien als Zusatzleistungen vom Versicherten selbst oder privat abgesichert zu zahlen. Maßgabe für die bedarfsgerechte Versorgung sei ein entsprechender Leistungskatalog, dessen Finanzierung und die leistungsgerechte Honorierung. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe deckt sich mit dem von Ärztekammerpräsident Hoppe, der im Vorfeld des Ärztetages die Diskussion und Verabschiedung des vom G-BA vorgeschlagenen Grundleistungskatalogs durch die Politik forderte.

Neben einem dezidierten Zuzahlungssystem hält die Arbeitsgruppe die Ausweisung von Festbeträgen und Festzuschüssen für alle Leistungsbereiche für sinnvoll, die von der Krankenkasse im Rahmen der Grundversorgung aufzubringen wären. Gleichzeitig fordert das IGSF, die Wahl der Kostenerstattung zu erleichtern und zum Prinzip zu erheben.

Plädoyer für stringentes Handeln

Mit Blick auf die aktuelle Gesetzeslage weist das Institut auf die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Erhaltung der gesicherten flächendeckenden Versorgung mit freier Arztwahl durch die Selbstverwaltung hin. Das Institut plädiert für die Aufhebung der Selektivverträge in der hausarztzentrierten Versorgung und fordert ein neues, vereinfachtes Honorarsystem, das medizinische Qualität und Patientenorientierung belohnt. Erforderlich sei auch der Bürokratieabbau und die Überarbeitung des gesamten SGB V. Perspektivisch plädiert das IGSF dafür, die KVen aus dem öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus zu entlassen. Der Gesetzgeber selbst wird aufgefordert, frühere Gesetze zu evaluieren, sie grundsätzlich mit Situationsanalyse und Prognose zu versehen und – wo möglich – zeitliche Befristungen dieser Regelungen vorzugeben.

Angesichts der Sachlage, so schließen die Autoren aus ihrer Analyse, habe die Politik im Grundsatz folgende Handlungsoptionen: Bekenne sie sich zum KV-System, müsse das mit allen Konsequenzen inklusive der Rücknahme von Regelungen erfolgen, die die Arbeitsfähigkeit der Selbstverwaltung beeinträchtigen. Ansonsten müsse ein anderes, ebenfalls durchgängiges Kollektivvertragssystem geschaffen werden. Alternative sei die Ablösung der Versicherungspflicht durch eine Pflicht zur Versicherung mit Markt und Wettbewerb als übergreifendem Prinzip oder – ganz anders – ein staatszentral reguliertes und kontrolliertes System mit Budgetierung, Wartelisten und stiller Rationierung. Würden die letzten beiden Gesundheitsgesetze weiter entwickelt, stünden am Ende ein „staatlich reguliertes Hausarztsystem und eine krankenhauszentrierte Facharztversorgung“, verbunden mit dem Ende der PKV heutiger Prägung.

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