Tod auf der Warteliste
Mads Leben ist eine Mischung aus Angst, Hoffnung, Wut und Trauer. Denn Mad ist schwer nierenkrank, so schwer, dass er alle zwei bis drei Tage zur Dialyse muss. Die Prozedur dauert jedes Mal Stunden und schlaucht Mads geschwächten Körper enorm. Die Nebenwirkungen der Blutwäsche reichen von Müdigkeit und Gedächtnisverlust über Kopfschmerzen bis hin zu Übelkeit.
Mad ist 32 Jahre alt und einer von rund 600 dänischen Patienten, die dringend eine Nierentransplantation benötigen. Mit jedem Jahr ohne Spenderniere schwindet seine Lebenserwartung um 20 Prozent. Eine illegale Spende entgegenzunehmen, käme für den jungen Dänen dennoch nicht in Frage.*)
Mads Chancen, auf legalem Weg an ein lebensrettendes Organ zu kommen, stehen indes schlecht. Denn Nieren von Spendern, die damit kein kommerzielles Interesse verbinden, sind in Europa Mangelware. Gleiches gilt für Lungen oder Herzen.
Kein passendes Spenderorgan
Die Folge: Jeden Tag sterben nach Angaben der EU-Kommission in der Europäischen Union zehn Menschen, weil für sie kein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht. Jahr für Jahr wiederum hoffen etwa 40 000 Menschen darauf, dass ihnen dieses Schicksal erspart bleibt.
In Deutschland stellt sich die Situation keineswegs besser dar als in Dänemark. Die Zahl der Organspenden ging im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr bundesweit sogar um 8,8 Prozent zurück, nachdem die Spendenbereitschaft in den Vorjahren langsam gestiegen war. Auf eine Million Einwohner kamen 2008 somit nur noch 14,6 Organspender. Gleichwohl würden Umfragen zufolge 90 Prozent der Deutschen im Falle einer Erkrankung ein Spenderorgan annehmen. Der EU-Durchschnitt für die Spendenbereitschaft liegt bei 18 Spendern pro eine Million Bürger. Spitzenreiter ist Spanien mit 35 Spendern je eine Million Bürger. Die Differenzen sind nicht leicht zu erklären. Nach Recherchen der Europäischen Kommission beeinflussen vermutlich kulturelle, historische sowie soziale Gründe die Spendenbereitschaft. Entscheidend seien aber auch Unterschiede in der Organisation der Gesundheitssysteme oder bei den Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen für Transplantationen. In den meisten östlichen EU-Ländern beispielsweise finden Organtransplantationen in einem nahezu rechtsfreien Raum statt. In Deutschland hingegen gibt das Transplantationsgesetz (TPG) den rechtlichen Rahmen für den Austausch von Organen vor.
EU-Maßnahmenbündel
Ein von der Europäischen Kommission entworfenes Maßnahmenbündel soll nun dafür sorgen, Qualität und Sicherheit von Transplantationen EU-weit zu verbessern und den Mangel an Spenderorganen zu beheben. Im Dezember vergangenen Jahres legte Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou ihre Pläne hierfür vor.
Die Vorschläge stießen auf ein geteiltes Echo. So begrüßt die CDU grundsätzlich das Ziel, mit Hilfe von europäischen Mindeststandards Transplantationen sicherer zu machen und beispielsweise das Risiko einer Übertragung von Erregern, wie HI-Virus oder Hepatitis-Viren, einzudämmen.
Zu viel Bürokratie könne jedoch schaden und zu einem weiteren Absinken der Spenderzahlen führen, warnt die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Annette Widmann-Mauz. Die Kritik zielt vor allem auf die Brüsseler Pläne, einzelstaatlichen Behörden die Kontrolle der Transplantationseinrichtungen zu übertragen. Dies könnte nämlich das bewährte System der deutschen Transplantationsmedizin untergraben.
In Deutschland verpflichtet das TPG die Krankenhäuser zu einer engen Zusammenarbeit mit den Transplantationszentren und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die DSO wurde 1984 im Auftrag von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassen errichtet. Ihre Aufgabe ist es, bundesweit alle postmortalen Organspenden zu koordinieren. Dies gelingt allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Denn durch zeitliche Überforderung von Ärzten und organisatorischen Problemen in den Krankenhäusern würden zahlreiche potenzielle Organspender nicht erfasst, meint der Europapolitiker Dr. Peter Liese (CDU).
Blick über den Tellerrand
Wichtiger als eine Verschärfung des administrativen Aufwands sei der Blick über den nationalen Tellerrand. „Wir können viel von Ländern wie Spanien lernen“, so Liese. Dort beispielsweise sind Transplantationsbeauftragte in allen Krankenhäusern dafür zuständig, potenzielle Spender rechtzeitig zu erkennen und dann alles Notwendige für die Organspende, einschließlich der Gespräche mit Angehörigen, zu organisieren.
Auch die Europäische Kommission erhofft sich von der Einstellung von Transplantationsbeauftragten in den Kliniken eine Wende zum Besseren.
Dass die europäischen Vorschriften indessen dazu beitragen könnten, den grenzüberschreitenden Austausch zu fördern, halten Transplantationsmediziner für abwegig. Derzeit werden nach Angaben der Europäischen Stiftung Eurotransplant (ET) höchstens ein Viertel aller von ET vermittelten Organe über EU-Staatsgrenzen hinweg ausgetauscht. Nach Deutschland gelangen jährlich etwa 150 Organe aus anderen Ländern.
„Die Rate der Spenderorgane aus dem Ausland zu erhöhen, macht aus medizinischer Sicht wenig Sinn, da ein Austausch über Ländergrenzen hinweg in der Regel mit unvertretbar langen Ischämiezeiten verbunden ist“, so der Präsident der deutschen Transplantationsgesellschaft Uwe Heemann.
Im grenzüberschreitenden Organaustausch sieht Liese zudem noch eine weitere Gefahr, nämlich die des illegalen Organhandels. „Gerade die schwächsten Menschen in ärmeren Ländern setzen sich hohen medizinischen Risiken aus, damit reiche Menschen in den Industrieländern ein Organ bekommen.“ Die EU-Staaten, aus denen die meisten illegalen Spenden stammen, sind Bulgarien, Rumänien und die tschechische Republik.
Auf Druck des Europäischen Parlaments hat sich die Gesundheitskommissarin schließlich dazu durchgerungen, das Prinzip der freiwilligen und unentgeltlichen Organspenden in der geplanten Richtlinie verbindlich festzuschreiben. Auch müssen die EU-Länder sicherstellen, dass die Beschaffung von Organen nicht zu Erwerbszwecken erfolgt, heißt es.
*) das Beispiel entstammt dem Dokumentarfilm „Kidney on Ice“ von Anja Dahloff (Dänemark) und Alina Radu (Moldawien)
Petra SpielbergChristian-Gau-Straße 2450933 Köln