Der Ball rollt
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Weltwirtschaftskrise, Wahljahr oder auch vorbestimmte Wege zur Einheitsversicherung – wer mag unter solchen Prämissen überhaupt noch an reelle Chancen zielorientierter Veränderungen im deutschen Gesundheitswesen denken?
Das zurzeit öffentlich exerzierte Paradebeispiel einer von der Politik zu Wahlkampfzwecken entfremdeten Auseinandersetzung um die Honorarentwicklung der Ärzte macht jedenfalls wenig Mut zu neuen Initiativen. Alles erinnert eher an das aktuell beklagte Gekicke der Nationalfußballer: starke Gegner, Streit in der Mannschaft und das Gefühl, ohne klare Führungsstrukturen im Raum steckenzubleiben. Kein Wunder, denn klare Linien fehlen, Vorgaben und Zielsetzungen sind angesichts des bevorstehenden Wahlkampfs verdrängt; man spielt auf Zeit. Von Visionen und mutigen Konzepten derzeit keine Spur. Man spielt quer und lieber auch mal zurück. Den Klinsis, Löws, Ballacks und Poldis des Gesundheitswesens fehlen Strukturen, fehlt der Wille zur Gemeinsamkeit. Oder hat man schlicht vergessen, dass der Ball rund ist und man gemeinsam dafür zu sorgen hat, dass er ins Eckige kommt?
Aber auch in Zeiten, in denen Hoffnungen kaum haltbar scheinen, rollt mancher Ball in die richtige Richtung. So hat das seit Jahren unstrittig anerkannte Ziel der Ost-West-Angleichung (besser: Ostanhebung auf Westniveau) trotz der Gesamtlage für die Zahnarztpraxen bisher eine gesunde Entwicklung genommen. Nicht nur die Fachreferenten des Bundesrats-Gesundheitsausschusses, auch der Bundesrat als Plenum hat ein Votum für die Zahnärzte getroffen. Intensive Vorgespräche mit Politikern aller Parteien in Bund und Ländern sowie zusätzliche Überzeugungsarbeit in den Länderministerien tragen deutlich Früchte. Sicher liegt es mit daran, dass hier alle Beteiligten in die gleiche Richtung arbeiten. Keine störend turbulenten Alleingänge, keine Allüren, sondern konsequenter Spielaufbau prägen die Arbeit an diesem Projekt.
Klar war von Anfang an, dass es in dieser Angelegenheit – anders als bei den Ärzten – keine Verlierer geben darf: Die Angleichung der Honorare, so waren wir uns von Anfang an einig, kann nur die des Ostens auf das Niveau des Westens sein – nicht wie beim Zahnersatz auf Kosten des Westens. Und die Hausaufgaben wurden gemacht: Mit den erforderlichen 165 Millionen Euro geht es um viel geringere Größenordnungen als bei den Ärzten. Ganze 0,017 Beitragssatzprozentpunkte schlagen hier zu Buche.
Wichtig war auch, dass die Entscheider begriffen haben, dass hier nicht Luxus, sondern die Notwendigkeit im Spiel ist, die Versorgung im Osten durch vernünftige Grundlagen für Praxen und ihre Teams zu erhalten. Mit der Angleichung geht es auch darum, die Abwanderung von Fachangestellten in vermutlich lukrativere Ecken Deutschlands zu verhindern. Das ist nachvollziehbar, dafür haben Politiker offene Ohren. Selbst in Zeiten, in denen das Umschichten von Billionen die Rechtfertigung von Millionenbeträgen immer schwerer macht.
Am Ziel ist die Zahnärzteschaft mit ihrem gemeinsamen – und gerade deshalb so stark wirkenden – Ansinnen noch nicht. Letztlich muss der Bundestag der in Sachsen und Thüringen initiierten, vom Berliner Senat dann eingebrachten „Empfehlung“ des Bundesrates folgen. Dafür muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden – und zwar bei jedem, der im Bundestag eine Stimme oder auch nur Einfluss auf eine Stimme hat. Hier werden weitere Gespräche genau so wichtig sein wie überzeugend argumentierende Briefe, egal ob auf Bundes-, Landesoder Kreisebene. Egal ob im Abgeordnetenbüro, im privaten Kreis oder im Gespräch in der eigenen Praxis. Es gilt deutlich zu machen, dass diese Form der gesellschaftlich ohnehin anerkannten Angleichung jetzt – auch zu vermeintlichen „Unzeiten“ erfolgen muss, um eventuellen späteren Versorgungsproblemen in Teilen dieser Republik gezielt vorbeugen zu können. Diese Form der Gerechtigkeit ist praktizierte Prophylaxe für ein funktionierendes Gesundheitssystem. Die Mühe lohnt ohnehin: Das Thema wird allemal auf der Tagesordnung bleiben, der Ball also angenommen und gezielt nach Vorne getrieben. Seien Sie sicher: Der Ball rollt.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV