Gastkommentar

Dicke Bretter

Auch auf Basis des neuen Koalitionsvertrags wird es in den nächsten Jahren keine Ruhe an der Gesundheitsfront geben, meint Dr. Jutta Visarius, Gesundheitspolitische Fachjournalistin in Berlin.

Die Koalitionäre haben hart um die Passagen zum Gesundheitswesen gerungen und viele Einzelpunkte festgelegt, wie das dreijährige Moratorium zum Paragraphen 73b, die kritische Überprüfung des Paragraphen 116b, die Reduzierung des Morbi-RSA auf ein „notwendiges Maß“, die Novellierung der Approbationsordnung für Zahnärzte, und anderes mehr. Vieles sind eher vage Absichtserklärungen wie Bürokratieabbau, eine Präventionsstrategie und ähnliches.

Dennoch – auch in vielen Punkten, die sich recht unbeschwert vereinbaren lassen, ist erheblicher Sprengstoff verborgen, wenn es an die Umsetzung geht, so in der Anpassung der GOZ an den aktuellen Stand der Wissenschaft unter Berücksichtigung der Kostenentwicklung.

Dass dieses Vorhaben unaufschiebbar ist, gilt als unbestritten, es ist aber schon in der letzten Legislaturperiode gescheitert. Für die neue Regierung wird die Novellierung noch problematischer, fühlt sie sich doch sowohl der Zahnärzteschaft als auch der PKV verbunden. Die Zahnärzte fordern deutlich mehr Vergütung, die PKV bedarf einer Öffnungsklausel für Verhandlungen.

Auch wenn die schlechten Risiken weitgehend in der GKV versichert sind und die Alterung der Gesellschaft durch die Öffnung der GKV für Rückkehrer Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch kaum in der PKV durchschlägt, lässt sich mit hoher Sicherheit prognostizieren, dass sich allein aufgrund dieser Faktoren in naher Zukunft Druck auf die Beiträge aufbaut.

Um attraktiv zu bleiben, muss die PKV auf einer Öffnungsklausel bestehen, und die Bundeszahnärztekammer wird wieder um jeden Cent mit aller Härte kämpfen. Auch die Abkoppelung der vertragszahnärztlichen Vergütung von der Grundlohnsummenentwicklung dürfte wie seinerzeit bei den Krankenhäusern zu Problemen führen. Dies alles wird aber mit gutem Willen aller Beteiligten zu regeln sein.

Das dickste Brett wird die Überführung der GKV in ein neues System mit einem festgeschriebenen Arbeitgeberbeitrag, einem einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeitrag, einem höheren, kassenvariablen Zusatzbeitrag, mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten, einem steuerfinanzierten sozialem Ausgleich und noch vielem mehr sein.

Das soll schlicht ein neues Gesundheitswesen werden, mit niederländischen und Schweizer Elementen, mehr Markt, mehr Eigenverantwortung. Die FDP und Teile der Union sind wild entschlossen, ein solches Modell so schnell wie möglich einzuführen.

„Entwarnung“ erklärte Horst Seehofer schon auf der Vorstellung des Koalitionsvertrags vor der Bundespressekonferenz. Erst einmal bleibe alles so, wie es ist. Die einzusetzende Regierungskommission werde nächstes Jahr in aller Ruhe tagen und dann werde man weitersehen. Er stehe für sozialen Ausgleich.

Jürgen Rüttgers hebt warnend die Hand, und zwar nicht nur wegen der NRW-Wahl im Mai. Die Sozialausschüsse sind in NRW heute zwar nicht mehr dominierend wie in der Nachkriegszeit, aber auch nicht einflusslos. Auf dem Bundesausschuss der CDU haben schon CDA-Gewerkschafter wie Regina Görner warnend die Stimme erhoben. Als Schwarze im Vorstand der IG Metall weiß sie immerhin 2,5 Millionen Gewerkschafter hinter sich.

Ulrike Mascher, ehemalige Staatssekretärin und VDK-Vorsitzende, hat sofort angekündigt, dass sie jeden, der sich irgendwie noch bewegen kann, auf die Straße bringen wird, wenn die neue Regierung ihre Pläne verwirklichen will. Ohne zu unken, kann man schon jetzt prophezeien, dass eine Gesundheitsreform wie geplant Gewerkschaften und Behindertenverbände mobilisieren wird.

Wie diese Reform aussehen wird? Eins ist sicher, es wird auch in den nächsten Jahren keine Ruhe an der Gesundheitsfront geben.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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