Gespräch mit dem Experten
zm: Wie kam es dazu, dass vor allem die Oberbergkliniken als wichtiger Anlaufpunkt für suchtkranke Mediziner gelten?
Prof. Mundle:Das liegt in der Historie der Kliniken. Prof. Gottschaldt, Neurologe und Gründer der Einrichtung, war selbst an einer Alkoholsucht erkrankt und hatte erfolgreich eine Therapie durchlaufen. Aus seinen Erfahrungen heraus entwickelte er sein eigenes Konzept, das speziell auch auf die Ärzteschaft zugeschnitten war.
Die meisten Ärzte haben eine hohe fachliche Kompetenz. Auf der Strecke geblieben ist bei einigen jedoch im Verlauf der Berufskarriere die emotionale Kompetenz. Viele haben verlernt, ihre Emotionen und Frustrationen als wichtige Warnsignale wahrzunehmen und ihre Grenzen zu erkennen. Genau da setzen wir an: Wir müssen ran an den Menschen, versuchen mit seiner emotionalen Seite zu arbeiten.
zm:Trotz des Wissens um Suchtgefahren erkranken immer wieder tausende Ärzte. Woran liegt das?
Prof. Mundle:In der gesamten Arbeitswelt und somit auch im Gesundheitswesen ist in den vergangenen Jahren der Druck massiv gestiegen. Mehr Flexibilität und Produktivität werden verlangt, Praxen verlängern ihre Öffnungszeiten oder arbeiten auch am Wochenende. Viele Mediziner betreiben intuitiv ein gutes Stressmanagement, andere müssen das mit externer Hilfe erst lernen. Sobald der Leistungsdruck von außen steigt, muss ein innerer Ausgleich gegeben sein. Fehlt der, gerät der Arzt in eine emotionale Schieflage, die unter anderem in einer Suchtproblematik enden kann.
zm:Sind Ärzte und Zahnärzte in puncto Suchtkrankheit also eine Hochrisikogruppe?
Prof. Mundle:Ich glaube nicht, dass es im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung bei Ärzten einen höheren Anteil an Suchtkranken gibt. Klare epidemiologische Studienergebnisse gibt es dazu leider nicht, aber ich widerspreche Aussagen, nach denen sieben bis acht Prozent der Ärzteschaft substanzabhängig erkrankt sind. Aus Fragebogenaktionen wissen wir, dass wie bei der Normalbevölkerung etwa zwei bis drei Prozent an einer Abhängigkeitserkrankung leiden.
zm:Was unterscheidet den Arzt vom „normalen“ Patienten?
Prof. Mundle:Ärzte haben ein großes Problem damit, zu sagen: „Ich brauche Hilfe! Ich bin krank.“ Das Idealbild des Arztes lässt Schwächen nicht zu und führt dazu, dass sie zu spät Hilfe annehmen. Der Anspruch, sich selbst behandeln zu können, verhindert lange ein Eingreifen von außen. Doch alleine kommt niemand aus der Suchtspirale heraus. Je früher ein Arzt Hilfe zulässt, desto mehr Folgeschäden lassen sich vermeiden. Und unsere Erfolgsbilanz nach der Behandlung ist beachtlich: 80 Prozent der therapierten Ärzte genießen ein suchtfreies und vor allem zufriedeneres Leben. Therapie lohnt sich!
zm:Welche Besonderheiten gibt es bei der Therapie von Ärzten?
Prof. Mundle:Es braucht etwas Zeit, bis Mediziner den Rollenwechsel zulassen. Erst wenn sie akzeptiert haben, dass sie jetzt der Patient sind, können wir mit ihnen arbeiten. Danach unterscheidet sich die Therapie nicht von der all unserer anderen Patienten. Des Weiteren tut es vielen Ärzten gut, sich in Gesprächsgruppen auch mit Berufskollegen auszutauschen. Zu sehen: Ich bin kein Exot, andere Ärzte haben ein ähnliches Schicksal wie ich selbst. Speziell der Medikamentenmissbrauch ist hier auch immer ein wichtiges Thema. Denn der einfache Zugriff auf Arzneimittel sorgt bei Ärzten dafür, dass ein Drittel unserer Klientel auch in diesem Bereich ein problematisches Verhalten aufweist.
zm:Wie beurteilen Sie die Unterstützung suchtkranker Ärzte außerhalb Ihrer Kliniken?
Prof. Mundle:Da möchte ich die Arbeit unserer Ärztekammern loben. Seit etwa zehn Jahren sorgen Interventionskonzepte der Kammern dafür, dass Ärzte frühzeitig das Gespräch suchen, wenn ihre Situation auffällig wird. Bei einem vertraulichen Infodienst melden sich immer wieder Ärzte, die mit Beratern ihre Probleme diskutieren und im Bedarfsfall weitervermittelt werden. Ich würde mir wünschen, dass auch die Zahnärztekammern ein ähnliches Interventionskonzept aufstellen würden.
Zum Zweiten möchte ich einen Appell an die privaten Krankenversicherungen richten. Bislang ist die Entwöhnungstherapie keine Pflichtleistung der Kassen. Zwar wird in den meisten Fällen nach einem Antrag die Behandlung als Kulanzleistung einmalig bezahlt, doch bedeutet dies für viele Erkrankte eine weitere Hürde auf dem Weg in die Drogenfreiheit. Es ist längst überfällig, diese Therapie in eine Pflichtleistung umzuwandeln.
zm:Prof. Mundle, vielen Dank für das Gespräch.