Kurswechsel in der Gesundheitspolitik
Der Koalitionsvertrag zwischen Schwarz-Gelb steht, die Würfel in Richtung Kurswechsel im Gesundheitswesen sind gefallen. Bis zuletzt hatten CDU, CSU und FDP zäh verhandelt – die Gesundheitspolitik war einer der dicken Knackpunkte, besonders deren Finanzierung. Schließlich verständigte man sich auf einen Kompromiss – mit deutlichen Änderungen am jetzigen System.
Das neue GKV-System soll nach dem Willen der Koalition auf drei Säulen ruhen: einem einkommensabhängigen Arbeitgeberanteil, der auf heutiger Höhe (sieben Prozent) eingefroren werden soll, einem einkommensunabhängigen Arbeitnehmeranteil (derzeit 7,9 Prozent) und einem Solidarausgleich. Der Arbeitgeberanteil soll eingefroren werden, um eine Entkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten zu erzielen, der Sozialausgleich zur Vermeidung sozialer Härten soll über Steuern erfolgen. Langfristig soll das bestehende Ausgleichssystem überführt werden in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie und regionalen Differenzierungsmöglichkeiten.
Mit der Überführung des jetzigen Systems in diese neuen Strukturen soll sich eine Expertenkommission befassen. Vor 2011 soll jedoch nichts passieren, sowohl der einheitliche Beitrag in der GKV (derzeit 14,9 Prozent) als auch die Deckelung der Zusatzbeträge auf ein Prozent sollen bleiben. Fest vereinbart wurde dieser Termin nicht, vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 wird jedoch keine Empfehlung der Kommission erwartet.
Die Formulierungen im Vertrag zur GKV-Finanzierung halten noch viele Fragen offen, die in den nächsten Wochen und Monaten kontroverse Diskussionen erwarten lassen. Erste Meinungsverschiedenheiten um das alte Thema Kopfpauschale oder Bürgerversicherung zeichnen sich bereits ab. Nach dem Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass der Gesundheitsfonds in seiner Grundstruktur erhalten bleiben soll, wird er nun nicht abgeschafft, sondern soll stark umgebaut werden. Merkel erklärte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags am 24. Oktober in Berlin, dass ein Sozialausgleich fällig werde, wenn die geltende Belastungsgrenze von einem Prozent des Bruttoeinkommens überschritten werde. Schon jetzt sei es den Kassen möglich, von ihren Versicherten Zusatzbeiträge zu erheben. Dieses System werde weiterentwickelt. Der FDP-Vorsitzende und Außenminister Guido Westerwelle betonte, man wolle ein Gesundheitswesen, das freiheitlich, wettbewerblich und solidarisch sei. Und der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer unterstrich, dass sich vorerst in der Gesundheitspolitik nichts ändere.
Weitere wesentliche Punkte
Hier weitere wesentliche Punkte aus dem Kapitel „Gesundheit“ des Koalitionsvertrags:
• Der Wettbewerb der Krankenversicherungen soll als ordnendes Prinzip mit den Zielen Vielfalt, Effizienz und Qualität der Versorgung wirken. Krankenversicherungen sollen genügend Spielraum erhalten, um im Wettbewerb gute Verträge gestalten zu können und regionalen Besonderheiten gerecht zu werden.
• Der Wechsel in die PKV soll wieder erleichtert werden, und zwar nach einmaligem Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Der Basistarif soll beobachtet werden.
• Unterstrichen wird das Bekenntnis zur Freiberuflichkeit und zur Struktur der ambulanten Versorgung. MVZ sollen nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden. Geschäftsanteile können nur von zugelassenen Ärzten und Krankenhäusern gehalten werden.
• Die Möglichkeiten der Kostenerstattung sollen ausgeweitet, bürokratische Hürden und Hemmnisse sollen abgebaut werden und dem Versicherten dürfen durch die Wahl der Kostenerstattung keine zusätzlichen Kosten entstehen.
• Die Gebührenordnung für Ärzte wird an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst, wobei Kostenentwicklunerstellung der flächendeckenden und bedarfsgerechten medizinischen Versorgung ist ein zentrales Anliegen.
• Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume der Patienten sollen erweitert werden. Geprüft werden soll, wo weitere Mehrkostenregelungen und Festzuschüsse zum Tragen kommen können.
• Die Patientenrechte sollen gebündelt und eine unabhängige Patientenberatung soll ausgebaut werden.
• Vor einer weitergehenden Umsetzung soll bei der elektronischen Gesundheitskarte eine Bestandsaufnahme, Überprüfung und Bewertung des bisherigen Geschäftsmodells erfolgen, bevor über eine Weiterarbeit entschieden wird.
• Die Gemeinsame Selbstverwaltung soll als tragendes Ordnungsprinzip bewahrt und an moderne Verhältnisse angepasst werden.
• Die Versorgungsforschgen zu berücksichtigen sind. Bei der ärztlichen Vergütung soll eine Kurskorrektur erfolgen.
• Die Sichung soll systematisch ausgebaut werden.
Zahnmedizinische Versorgung
Der Koalitionsvertrag widmet der zahnmedizinischen Versorgung ein eigenes Kapitel. Hier die Zusammenfassung:
• Es soll eine Ausrichtung auf Prävention, freiberufliche Strukturen und auf freie Arztwahl des Patienten erfolgen.
• Auch bei der vertragszahnärztlichen Vergütung hat sich die Ausgabensteuerung über die Anbindung an die Grundlohnsummenentwicklung überholt. Insgesamt müssen neue Regelungen gefunden werden. Regionale Besonderheiten sollen berücksichtigt werden. Die vertragszahnärztliche Vergütung in den neuen Bundesländern soll angepasst werden.
• Die GOZ soll an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst werden. Dabei sind Kostenentwicklungen zu berücksichtigen.
• Die Approbationsordnung für Zahnärzte soll novelliert werden.
Neue Lösungsansätze
Positiv reagierte die Zahnärzteschaft auf den zahnmedizinischen Passus der Koalitionsvereinbarungen. BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel sieht darin neue Lösungsansätze und hob besonders die Punkte Freiberuflichkeit, Approbationsordnung und GOZ-Novellierung hervor. Wenn sich die Koalition der Novellierung der GOZ annehme, so sei dies nicht zuletzt aktiver Patientenschutz. Als positive Signale wertete der Präsident den beabsichtigten Abbau bürokratischer Hemmnisse bei der Wahl der Kostenerstattung und die Überprüfung des Projekts der elektronischen Gesundheitskarte. Beim neuen Patientenschutzgesetz werde sich die BZÄK konstruktiv und kritisch einbringen.
Von einer richtigen Weichenstellung für die Zahnmedizin spricht die KZBV. Die Koalitionspartner hätten anerkannt, dass man für die zukünftige Entwicklung der Zahnarzthonorare generell eine neue Basis brauche. Der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz betont: „Unsere Forderung nach einer Abschaffung der Budgets ist damit aufgenommen worden – ebenso die nach einer längst überfälligen Anhebung der zahnärztlichen Vergütung im Osten an das West-Niveau.“ Mit dem Bekenntnis zu einer modernen Selbstverwaltung und zu freiberuflichen Versorgungsstrukturen schlügen die Koalitionäre die richtige Richtung ein. Positiv bewerte die KZBV zudem die Festlegung auf mehr Entscheidungsspielräume für die Versicherten. Sie komme nicht nur in der Betonung der freien Arztwahl, dem geplanten Erhalt des dualen Krankenversicherungs-systems und in der Ankündigung einer Entbürokratisierung der Kostenerstattung zum Ausdruck, sondern auch in der positiven Bewertung von Festzuschüssen, wie sie im Bereich Zahnersatz bereits eingeführt worden seien. Was die Zukunft der elektronischen Gesundheitskarte angehe, sei ein vernünftiges Zeichen gesetzt worden.
Erfreut äußert sich der Bundesverband Freier Berufe (BFB) hinsichtlich des Bekenntnisses zur Freiberuflichkeit. Die erkennbare Weichenstellung des Vertrags zeige, dass die Politik vermehrt auf wirtschaftliche Dynamik ausgerichtet sei, durch die soziale Balance erst möglich werde.
Vielfältiges Echo
Geteiltes Echo kommt aus der Ärzteschaft. Währen die Bundesärztekammer den Koalitionsvertrag als Chance für den Aufbau einer neuen Gesundheitskultur bewertet und die Entbürokratisierung begrüßt, sieht die KBV das neue Konzept mit gemischten Gefühlen. Licht und Schatten lägen eng beieinander. Einerseits sei eine Chance für einen echten Wettbewerb um die beste hausärztliche Versorgung vertan, weil der Hausärzteverband sein Monopol behalte, andererseits sei das tragende Prinzip der Freiberuflichkeit begrüßenswert.
Der NAV-Virchow-Bund bezeichnet den geplanten Umbau der Finanzierung als mutigen und notwendigen Schritt, der Hartmannbund spricht hingegen von einer „Anleitung zum Weiter-Puzzeln“. Mehr Versorgungssicherheit und weniger Bürokratie fordert der Marburger Bund, die Deutsche Krankenhausgesellschaft unterstreicht den „ordnungspolitischen Wechsel mit Augenmaß“. Lob kommt auch von der PKV, vom Verband forschender Arzneimittelhersteller und von den Apothekerverbänden.
Die Krankenkassenseite zeigt sich positiv bis distanziert-kritisch. So begrüßt der GKV-Spitzenverband die Absicht von Union und FDP, die konjunkturbedingten Finanzlücken durch Steuergelder zu schließen. Es sei aber auch wichtig, die Ausgabenseite in den Blick zu nehmen: Die Einnahmen der Pharmaindustrie, der Krankenhäuser und der Ärzte dürften nicht ungebremst steigen. Geschehe hier nichts, seien die Kassen gezwungen, Zusatzbeiträge zu erheben. Der AOK-Bundesverband begrüßt die Zusage, dass keine Kürzungen am Leistungsumfang der GKV erfolgen sollen und dass eine Regierungskommission eingesetzt werden soll.
Die Probleme seien nicht gelöst, sondern nur verschoben, meint hingegen der vdek und kritisiert, dass Arbeitnehmer ihre Kostensteigerungen alleine tragen müssen. Und die DAK moniert heftig, dass sich die Koalition nun vom deutschen Sozialstaatsmodell verabschiedet habe.
Der Zankapfel bleibt
Die Gesundheitspolitik bleibt vorerst Zankapfel zwischen Union und FDP, wie diverse Schlagabtausche in den Medien zeigen. Der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler fordert mehr Freiheit bei der Wahl der Therapie, des Arztes und der Krankenkasse und ist fest entschlossen, ein neues System auf den Weg zu bringen. Krankenkassen müssten wieder untereinander in Wettbewerb treten, müssten unterschiedliche Beiträge verlangen und unterschiedliche Leistungen anbieten können. Rösler setzt sich dafür ein, dass Ärzte wieder mehr Zeit für ihre Patienten haben sollen und von Bürokratie entlastet werden.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer lehnt hingegen den von der FDP geforderten Radikalumbau des Gesundheitswesens strikt ab, die solidarisch verteilten Lasten stünden nicht zur Disposition. Er betont, dass es keine endlosen Beitragserhöhungen geben könne, keine endlosen Leistungskürzungen und auch keinen unbegrenzten Zufluss von Steuermitteln. Letztlich komme es auf die richtige Balance zwischen Kostenminimierung und sozialer Fürsorge an.
Die zweite Runde im Streit um die Gesundheitspolitik ist bereits in vollem Gange.